Praxistest: Pharmaziestudium während Corona Cynthia Möthrath, 09.06.2020 14:55 Uhr
Die Corona-Krise hat zu massiven Einschränkungen im Schul- und Studienbetrieb geführt. Sowohl für Dozenten als auch Studierende waren die vergangenen Wochen und Monate eine Herausforderung. Mit welchen Veränderungen, Hürden – aber auch Möglichkeiten – sie an der Friedrich- Schiller-Universität in Jena einhergegangen sind, berichtet Universitätsprofessorin Dr. Dagmar Fischer. Außerdem gibt sie spannende Einblicke in den veränderten Alltag als Präsidentin der Deutschen Pharmaziegesellschaft und wagt einen Ausblick in die Lobby der angehenden Apotheker.
ADHOC: Wie hat sich Corona an der Universität Jena bemerkbar gemacht?
FISCHER: Wir sind ab dem 20. März in den Notbetrieb gegangen: alle ins Homeoffice und es gab keinerlei Präsenzunterricht. Der Semesterstart nach Ostern musste also zunächst einmal online beginnen. Erst seit dem 4. Mai ist der Präsenzlehrbetrieb – soweit notwendig – wieder aufgenommen worden.
ADHOC: Welche besondere Herausforderung bringt Online-Unterricht mit sich?
FISCHER: Die Kollegen handhaben das ganz unterschiedlich, je nach individueller Lehrsituation. Ich selbst mache Vorlesungen, indem ich Audio- und Videofiles versende. Diese können sich die Studierenden dann Zuhause anhören. Allerdings können wir so im Moment leider kein direktes Feedback geben – das versuchen wir über Zoom-Meetings in Kleingruppen oder auch per Email wieder auszugleichen. Für uns alle war es anfangs ziemlich gewöhnungsbedürftig. Ich selbst musste erstmal Online-Weiterbildungen machen und mich informieren, wie so etwas gut funktionieren kann. Es ist anfangs sehr zeitaufwendig, klappt aber gut. Auch wenn es den Studierenden viel Selbstdisziplin abverlangt.
ADHOC: Notwendige Praktika finden jetzt wieder statt. Wie haben sich diese verändert?
FISCHER: In meiner Abteilung, der pharmazeutischen Technologie, hat das Praktikum Arzneiformenlehre stattgefunden. Wir mussten einiges vorbereiten, um die vorgeschriebenen Hygiene- und Distanzmaßnahmen der Stadt und der Universität einhalten zu können. Dazu mussten wir die Praktika umstrukturieren und die umgesetzten Maßnahmen vor dem Betrieb von der Universität abnehmen lassen. Normalerweise finden zwölf Studierende Platz im Labor, nun dürfen es aufgrund der Abstandsregelungen jedoch nur noch drei sein. Das hat sich nur realisieren lassen, weil wir im Moment eine nicht besetzte Professur haben und die Räume dadurch zur Verfügung stehen – zehn Praktikumsräume sind normalerweise nicht einfach so verfügbar. Außerdem müssen wir den Studierenden Räumlichkeiten für die Mittagspause zur Verfügung stellen.
ADHOC: Welche Sicherheitsmaßnahmen mussten im Labor umgesetzt werden?
FISCHER: Neben Abstandsregeln und Mundschutz haben wir separat markierte Plätze mit Plexiglas für die Studierenden eingerichtet und arbeiten im Schichtbetrieb mit gestaffelten Anfangs- und Endzeiten. Außerdem haben wir in großen Teilen des Gebäudes ein Einbahnstraßensystem eingeführt, da die Gänge zum Teil sehr eng sind. Jeder Studierende hat seine eigenen Gefäße und Instrumente, die am Ende des Tages desinfiziert werden müssen. Zwischendurch werden zudem auch Reinigungs- und Desinfektionstage angesetzt.
ADHOC: Gibt es praktische Tätigkeiten, die außerhalb des Labors in den eigenen vier Wänden stattfinden können?
FISCHER: Ja, es gibt durchaus Bereiche, die wir nach Hause verlagern. Plausibilitätschecks und Inkompatibilitätsprüfungen konnten beispielsweise mithilfe von Online-Literatur im Homeoffice durchgeführt werden. Die Problematik wurde sozusagen im Trockenkurs behandelt.
ADHOC: Gibt es gravierende Änderungen im Lehrplan? Werden Themen verkürzt oder sogar gestrichen, um Zeit einzusparen?
FISCHER: Wir haben alle Themen behandelt und versucht alle wichtigen Aspekte beizubehalten. Die praktische Durchführung wurde jedoch teilweise verändert: Statt drei Zäpfchen-Rezepturen wurde beispielsweise nur eine hergestellt. Es wurden jedoch alle Arzneiformen behandelt. Die Rezepturen wurden dann von verschiedenen Studierenden hergestellt und anschließend untereinander online vorgestellt, sodass jeder auch die Rezepturen, die er selbst nicht hergestellt hat, kennenlernen konnte.
ADHOC: Kann der Zeitplan gehalten werden oder ist schon absehbar, dass das Semester verlängert werden muss?
FISCHER: Bisher sind wir im Zeitplan, sodass wir das Semester nicht verlängern müssen. Was uns natürlich im Sommer oder im nächsten Semester erwartet, ist derzeit nicht absehbar – das muss dann situationsbedingt entschieden werden. Wir haben allerdings schon erste Überlegungen für das Wintersemester gestartet. In den vergangenen Wochen haben wir viel gelernt und sind daher flexibel was die Zukunft angeht.
ADHOC: Wie gehen denn die Studierenden mit der Ausnahmesituation um?
FISCHER: Viele belastet die derzeitige Ungewissheit in Bezug auf die Zukunft. Die Mehrheit kommt allerdings ganz gut damit klar. Im Moment ist natürlich ein noch größeres Maß an Selbstdisziplin gefragt, sich die Vorlesungen Zuhause im Selbststudium auch kontinuierlich anzuhören.
ADHOC: Nun haben ja bereits erste Prüfungen stattgefunden. Sehen Sie einen Einfluss auf die Leistung?
FISCHER: Nein, die erste Klausur ist geschrieben und sie ist genauso ausgefallen wie in den Vorjahren. Es gibt also keine Leistungseinbrüche oder drastische Veränderungen, obwohl das Praktikum anders strukturiert war.
ADHOC: Sie sind nicht nur Dozentin, sondern auch Forscherin und Präsidentin der Deutschen Pharmaziegesellschaft (DPhG). Wie sehen sie die Situation aus diesem Blickwinkel? Und wie hat sich ihr Alltag als Präsidentin verändert?
FISCHER: Ich bin im Januar angetreten und wollte mehr Digitalisierung – Corona war dafür nun die perfekte Steilvorlage. Alle Mitglieder und der Vorstand der DPhG sind quer durch Deutschland verteilt, daher sind viele Aktivitäten schon vorher online gelaufen. Insofern hat sich da nicht so viel geändert. Wir reisen natürlich sehr viel weniger und es gibt weniger Präsenzveranstaltungen. Leider mussten wir auch unsere Doktorandentagung und die Jahrestagung im September absagen. Wir sind nun dabei die Online-Präsenz zu erweitern, Webinare zu gestalten und sind seit kurzem auch bei Instagram vertreten.
ADHOC: Wie ist die Beziehung der DPhG zur Politik? Gibt es Überschneidungen mit der ABDA?
FISCHER: In der Politik sind wir dazu angehalten, regelmäßig wissenschaftliche Stellungnahmen zu aktuellen Themen von öffentlichem Interesse abzugeben. Das tun wir immer dann, wenn wir Handlungsbedarf sehen – beispielsweise bei Lieferengpässen oder in Bezug auf die Approbationsordnung und Ausbildung von Studierenden. Mit der ABDA und der Bundesapothekerkammer pflegen wir seit vielen Jahren einen sehr engen Dialog. Was die angehenden Apotheker angeht, arbeiten wir auch sehr eng mit dem BPhD zusammen. Wichtig ist, dass das Engagement und die Arbeit der Apotheker entsprechend gewürdigt wird – und das nicht nur in Corona-Zeiten, sondern generell.
ADHOC: Welche Perspektiven haben angehende Apotheker? Haben sie eine gute Lobby?
FISCHER: Ich denke schon. Aus meiner Sicht ist die Lobby in der Corona-Pandemie nochmal deutlich gestärkt worden. Wenn man sich anschaut, wie politisch aktiv der BPhD derzeit ist, dann ist das durchaus etwas, das anerkennenswert ist und was wir als DPhG auch gerne unterstützen.
ADHOC: Was sind aktuell Ihre drängendsten Themen?
FISCHER: Neben der Digitalisierung bin ich als Hochschullehrerin auch daran interessiert, die Qualitätssicherung und Modernisierung der Hochschulpharmazie weiter voranzutreiben. Wir werden weiterhin den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern und das Fortbildungsangebot für Apotheker und Apothekerinnen deutlich – und vor allem online – ausweiten. Wir haben uns auch mit weiteren Zukunftsthemen wie pharmazeutischer Qualität, personalisierten Therapien und evidenzbasierter Pharmazie beschäftigt, welche wir zunehmend in den Fokus rücken.