Nicht nur die Apotheken, auch die Pharmaindustrie hat Corona in den Krisenmodus versetzt. Trotz zusätzlicher Sicherheitsmaßnahmen läuft die Produktion unverändert weiter. Aktuell geht es darum, die Hamsterkäufe der vergangenen Wochen nachzuarbeiten. Parallel wappnen sich die Firmen für mögliche Engpässe.
Bei Stada läuft die Produktion auch in diesen Tagen nahezu auf Normalniveau. „Unter Berücksichtigung erhöhter Sicherheitsmaßnahmen in unseren Produktionsstätten, halten wir auch in dieser schwierigen Situation uneingeschränkt an unserem Selbstverständnis fest, uns als verlässlicher Partner um die Gesundheit der Menschen zu kümmern“, so Deutschlandchef Eelco Ockers.
In Bad Vilbel und an den anderen Standorten sind deutlich weniger Menschen anzutreffen als sonst. Eine Vorsichtsmaßnahme, die auch im eigenen Interesse liegt: „Um die Gesundheit der Mitarbeiter in Produktion, Qualitätskontrolle und Logistik nicht zusätzlich zu gefährden, arbeiten bis auf Weiteres alle anderen von zu Hause aus“, so Ockers.
Und der Konzern bereitet sich auf weitere Herausforderungen vor: Um Lieferengpässen vorzubeugen, wurden bereits vor einigen Wochen weltweit mehr als 50 Millionen Euro für die Bestellung zusätzlicher Wirkstoffe und die Herstellung von Fertigprodukten investiert. Hier ging es laut Ockers hauptsächlich um Präparate, die momentan am Markt besonders benötigt werden: „So sind wir mit Grippostad C derzeit beispielsweise sehr gut bevorratet und voll lieferfähig.“ Auch Produkte zur Unterstützung des Immunsystems seien weiter erhältlich.
Bei Teva mit der Marke Ratiopharm wird ebenfalls unverändert im Drei-Schicht-Betrieb produziert; da die Belegschaft in feste Teams eingeteilt wurde, sind Übergaben und Abstimmungen mit zusätzlichem Aufwand verbunden. Auch in der Logistik wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. So warten Fahrer, die etwa im Ausland unterwegs waren, im Auto, während die Ware entladen wird. Nach wie vor wird in allen europäischen Werken in vollem Umfang produziert, auch in Italien und Spanien. Umgekehrt werden alle Märkte unverändert beliefert. Die Einkaufs-Abteilung prüft bereits jetzt alternative Bezugsquellen für den Fall, dass bestimmte Lieferungen etwa aus China oder Indien abgesagt werden.
„Der Bedarf an manchen Wirkstoffen ist gerade dreimal so hoch wie normal“, erklärt Deutschlandchef Christoph Stoller. „Fällt ein Zulieferer aus, suchen wir auf dem Weltmarkt nach anderen Anbietern. Ist einer gefunden, gilt es, den Wirkstoff schnellstmöglich hierher zu bekommen.“ Derzeit bemühe man sich um Luftfracht. „Das ist zwar deutlich teurer als Seefracht, aber auch sicherer. Oberste Priorität hat die Sicherstellung der Lieferversorgung und dementsprechend nehmen wir die höheren Kosten in Kauf“, so Stoller.
Ähnlich sieht es bei Hexal aus. Zum Schutz der Mitarbeiter wurden allgemeine internationale Reisebeschränkungen erlassen; nicht geschäftskritische Geschäftsreisen wurden komplett abgesagt. Außerdem gibt es Leitlinien, wie sich unsere Mitarbeiter vor einer Coronavirus-Infektion schützen können.
„Die Versorgung mit Medikamenten zu gewährleisten, ist unser primäres Ziel“, so eine Sprecherin. „Unser Standort in Holzkirchen ist offen, wir ersuchen jedoch unsere Mitarbeiter, wie alle Mitarbeiter von Novartis in Europa, den USA und Kanada, von zu Hause aus zu arbeiten, wenn dies möglich ist.“ Eine Ausnahme bilden auch hier Mitarbeiter, die in den Produktionsstätten zum Beispiel im Labor, in der Herstellung oder im Lager vor Ort arbeiten.
„Indem wir die Zahl der Mitarbeiter, die unsere Standorte besuchen, reduzieren, können wir diejenigen Mitarbeiter schützen und keinem erhöhten Infektionsrisiko aussetzen, die nicht außerhalb des Standortes arbeiten können.“ Alles, was der Aufrechterhaltung des Betriebs und somit der Patienten- und Marktversorgung diene, sei in diesen Tagen von besonders hoher Bedeutung.
In Holzkirchen geht man davon aus, auch weiterhin weltweit ausliefern zu können. „Aufgrund solider Prozesse, um das Risikio von Engpässen zu verringern, einschließlich Sicherheitsbestände erwarten wir derzeit keine Unterbrechung der Lieferkette für den Großteil unseres Portfolios“, so die Sprecherin weiter. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, die Lieferkontinuität zu gewährleisten. Die Situation ist jedoch sehr dynamisch und es gibt Aspekte, die außerhalb der Kontrolle eines Herstellers liegen. Nach wie vor sind wir fest entschlossen, unseren Kunden im Falle von Problemen Updates transparent zur Verfügung zu stellen.“
Als Beitrag zur globalen Versorgungssicherheit habe sich Sandoz bereits Ende Februar verpflichtet, weltweit die Preise für eine Reihe wichtiger Medikamente, die bei der Behandlung von Coronavirus-Fällen hilfreich sein können, stabil zu halten – insbesondere für antivirale Medikamente, Antibiotika zur Bekämpfung von Atemwegsinfektionen und zusätzliche Produkte für die Krankenhausversorgung, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als essentiell eingestuft wurden. Zusätzlich spende Sandoz/Novartis bis zu 130 Millionen Dosen von generischem Hydroxychloroquin, das derzeit in klinischen Studien für die Behandlung von Covid-19 untersucht wird. „Wir unterstützten die laufenden Studien und werden den Bedarf an zusätzlichen klinischen Studien prüfen.“
Auch bei Bayer spielt Covid-19 eine zentrale Rolle: Im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie hat das Unternehmen an verschiedenen Standorten in Deutschland über 40 Geräte zur Virusdiagnostik aus der Forschung des Unternehmens bereitgestellt: Damit kann die bundesweite Covid-19-Analysekapazität um mehrere tausend Tests pro Tag erhöht werden. Außerdem wird speziell geschultes Fachpersonal zur Verfügung gestellt.
In Berlin wird derzeit auf dem firmeneigenen Gelände auf zwei Etagen ein eigenes Testlabor eingerichtet. In Nordrhein-Westfalen bekommen zertifizierte, externe Testlabore in Leverkusen, Monheim, Wuppertal und Köln Geräte von Bayer zur Verfügung gestellt. Dadurch kann die derzeitige tägliche Analysekapazität der drei Labore potenziell verdoppelt werden. „Wir wollen schnell und effektiv beim Kampf gegen das Corona-Virus helfen“, sagt Dr. Jörg Möller, Leiter der Forschung und Entwicklung der Division Pharmaceuticals bei Bayer. „Wird mehr getestet, bleiben weniger Infektionen unerkannt. Infektionsketten können so nachvollzogen werden. Das hilft, den Ausbruch zu bremsen.“
Für das neue Testlabor stehen bereits Fachkräfte zur Verfügung: In den vergangenen Tagen haben sich mehr als 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter freiwillig für die Arbeit gemeldet – sie werden dafür von Bayer freigestellt. Die für die Tests benötigten Geräte stammen aus allen Bereichen der Forschung und Entwicklung bei Bayer. So können allein in Berlin zukünftig jeden Tag bis zu 1000 zusätzliche Sars-CoV-2 Tests durchgeführt werden.
Das Unternehmen hat außerdem einem Klinikum im Land Brandenburg sowie einem Klinikum in Wuppertal Beatmungsgeräte für an Covid-19 erkrankte Patienten zur Verfügung gestellt. Zudem half Bayer bei der Produktion von fehlenden Desinfektionsmitteln unter anderem in Unna, Dormagen und Wuppertal und übergab dringend benötigte Atemschutzmasken an die Stadt Leverkusen.
Auch im Mittelstand hat man Maßnahmen ergriffen: „Wir haben die steigende Nachfrage nach unseren pflanzlichen Arzneimitteln und nach Ethanol frühzeitig erkannt und entsprechende Schritte eingeleitet“, sagt ein Sprecher von Bionorica. Dank langjähriger, verlässlicher und fairer Partnerschaften zu Lieferanten könne man die Versorgung mit Rohstoffen sicherzustellen. „Bionorica ist lieferfähig und wir geben alles, um die Herstellung unserer evidenzbasierten Phytotherapeutika und so die Versorgung der Apotheken und damit der Bevölkerung zu gewährleisten, gerade in diesen herausfordernden Zeiten. Apotheker und PTA, Ärzte sowie Patienten zählen jetzt mehr denn je auf uns.“
Außerdem helfe auch das große Zusammengehörigkeitsgefühl im Unternehmen. „Ein Beispiel: Etliche Mitarbeiter, die normalerweise nicht in der Herstellung arbeiten, helfen nun im 3-Schicht-Betrieb in der Konfektionierung mit. Dieses große Engagement und die Solidarität innerhalb unserer Belegschaft machen uns stolz und zuversichtlich.“
Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) bestätigt das Bild: Die Mitgliedsunternehmen setzten alles daran, dass die Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten trotz steigender Nachfrage und unter schwierigen Bedingungen sichergestellt sei, so ein Sprecher. „Mithilfe von Kapazitätserweiterungen mit Sonderschichten und Wochenendarbeit in der Produktion und Lagerhaltung haben sie sich gut vorbereitet. Das heißt, sie produzieren unter vollem Einsatz ihrer Möglichkeiten. Damit ist die Produktion bei den meisten Unternehmen zunächst gesichert. Es kommt jedoch darauf an, wie lange die Krise anhält. Für einen gewissen Zeitraum sind sie zuversichtlich, die Produktion aufrechtzuerhalten.“
Angesichts der Rahmenbedingungen gebe es aber weitere Herausforderungen: „Die Preise von Wirkstoffen und die Logistikkosten sind aufgrund des Ausfalls von Zulieferern und Transportmitteln weltweit deutlich angestiegen: Der Import von Wirkstoffen via Flugfracht hat sich teilweise um den Faktor 10 erhöht. Darüber hinaus gibt es auch noch einzelne Engpässe bei der Seefracht. Das betrifft neben Roh- und Hilfsstoffen auch den Nachschub an Schutzkleidung und -masken sowie Desinfektionsmitteln.“
Die Betriebe müssten außerdem sicherstellen, dass genügend Mitarbeiter in der Produktion in räumlicher Distanz zueinander arbeiten können, so der BAH. „Damit sind auch die Herstellungskosten vieler Arzneimittel über den möglichen Verkaufspreis gestiegen. Hier braucht es pragmatische Lösungen seitens des Gesetzgebers.“
Auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat bereits Vorschläge gegenüber der Politik gemacht. „Klar ist: Mit der aktuellen Corona-Krise sind bislang nie dagewesene Herausforderungen verbunden. Grundsätzlich wird zu überlegen sein, wie die Grundversorgung der Bevölkerung unter den gegebenen Einschränkungen aufrechterhalten und die Wirtschaft arbeitsfähig erhalten werden kann“, so ein Sprecher.
Fest stehe, dass jedes Unternehmen trotz Krisensituation gerne weiter produzieren und zum Erhalt der Arzneimittelversorgung in ihrer Vielfalt beitragen wolle. „Es gibt ja nicht nur Corona-Fälle, sondern wie immer auch therapiebedürftige Chroniker und Akutpatienten. Außerdem muss auch in diesen Zeiten die Möglichkeit der Selbstmedikation bei leichteren Erkrankungen gewährleistet sein.“
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