Übersicht möglicher Therapien

Off-Label Medikamente bei Covid-19

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Berlin -

Bislang ist Remdesivir als einzige Therapieoption bei schweren Covid-19-Verläufen zugelassen. Alle anderen Wirkstoffe werden im Off-Label Bereich eingesetzt. Diese Arzneimittel können grob in drei Gruppen eingeteilt werden: Immunmodulatoren, Lungenmedikamente und Herz-Kreislauf-Medikamente. Über 30 Wirkstoffe werden bei schweren Verläufen verabreicht.

Anfang des Jahres war Sars-CoV-2 noch kaum erforscht. Mittlerweile weiß man mehr über den Verlauf und die möglichen Spätfolgen. Um Komplikationen zu vermeiden, können gewisse Arzneitmittel frühzeitig eingesetzt werden. Zwar existiert mit Remdesivir nur eine speziell für Covid-19 zugelassene Therapie, doch aufgrund der zunehmenden Erfahrungen können immer mehr Mediakemnte gezielt gegen Corona eingesetzt werden. In der Konsequenz fallen auch immer mehr Arzneistoffe aus klinischen Prüfungen heraus.

Folgende Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen können als Off-Label Medikament dienen:

  • Antikoagulanzien
  • Avifavir
  • Bevacizumab, Tocilizumab, Sarilumab
  • Camostat, Nafamostat
  • Chloroquin, Hydroxychloroquin
  • Famotidin
  • Fluoxetin
  • Fluvoxamin
  • Interleukin-6-Blocker
  • Isoprinosin
  • Ivermectin
  • Kortikosteroide
  • Lopinavir und Ritonavir, Favipiravir, Galidesivir, Umifenovir
  • Nitazoxanid
  • Opaganib, Ruxolitinib
  • RAAS-Inhibitoren
  • Statine
  • Stickstoffmonoxid

Bereits zugelassen: Remdesivir

Remdesivir wurde Anfang Juli in Europa zur Behandlung von Covid-19 zugelassen. Die Gabe von Remdesivir soll eine Hospitalisierung im Schnitt um vier Tage verkürzen. Die aktuell zusätzlich präsentierten Daten zeigen, dass eine Behandlung mit dem antiviralen Mittel die klinische Genesung auch in der Praxis verbessert. Auch für Kinder und Schwangere liegen nun Daten vor: Aus Analysen des Compassionate-Use-Programms konnte gezeigt werden, dass 83 Prozent der pädiatrischen Patienten und 92 Prozent der schwangeren Frauen bis zum 28. Tag wieder gesund wurden. In diesen Populationen wurden keine neuen Nebenwirkungen mit Remdesivir identifiziert. Gilead kündigte kürzlich die Einleitung einer globalen, offenen Phase-II/III-Studie an, um die Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik von Remdesivir bei pädiatrischen Patienten von der Geburt bis zu einem Alter von unter 18 Jahren zu bewerten. Gilead arbeitet auch an einer Studie für schwangere Frauen.

Antikoagulanzien

Bei Covid-19-Patienten mit schwerem Verlauf kommt es häufiger zu Thromboembolien. Besonders häufig sind Lungenembolien, aber auch tiefe Venenthrombosen werden beobachtet. Der Grund, weshalb Covid-19-Patienten vermehrt zu Thromben neigen, ist noch nicht geklärt. Aktuell verfolgen die Mediziner zwei Ansätze: Zum einen birgt das lange Liegen ohne Bewegung generell eine erhöhte Blutgerinnsel-Gefahr. Zum anderen wurde in anderen Studien über einen sogenannten Zytokinsturm berichtet, der zur Schädigung und Entzündung der Gefäßwändeführen könnte. Durch diese Schädigung könnten Abscheidungsthromben leichter entstehen. Zusätzlich steigt das Thromben-Risiko mit der Anzahl und Art der Vorerkrankungen.Innerhalb der überarbeiteten S1-Leitlinie „Empfehlungen zur intensivmedizinischen Therapie von Patienten mit Covid-19“ liegt ein Augenmerk auf der Durchführung eines geeigneten Thrombose-Managements. Eingesetzt werden soll niedermolekulares Heparin.

Camostat

Camostat, ein Wirkstoff der gegen Pankreatitis in Japan zugelassen ist, wird auf die Wirksamkeit gegen Covid-19 getestet. Hierfür nutzen die Wissenschaftler auch Erkenntnisse von der Sars-Pandemie 2002/2003. Das aktuelle Coronavirus bindet, ähnlich wie Sars-CoV-1, über Proteine an die Zielzelle. Diese sogenannten Spikes benötigen eine Protease, um in die Wirtszelle einzudringen. In-vitro konnten die Wissenschaftler zeigen, dass der Wirkstoff die Oberfläche des Virus so verändert, dass es nicht in die Zelle eindringen konnte – es konnte keine Virusreplikation stattfinden. Camostat blockiert den Eintritt für Sars-CoV-2 – es wirkt als Antagonist der Serinprotease TMPRSS2.Wirksamer: Nafamostat. Dieser Serinprotease-Inhibitor zeigte innerhalb einer Preprint-Studie, dass der Eintritt von Viruszellen mit einer etwa 15-fach höheren Effizienz als die von Camostat inhibiert werden konnte.

Corticosteroide

Cortisone, insbesondere der seit mehr als 60 Jahren eingesetzte Wirkstoff Dexamethason kann die Beschwerden von Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen lindern. Das synthethisch hergestellte Kortison konnte in der britischen Recovery-Studie überzeugen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einem Durchbruch – Wissenschaftler sehen die Ergebnisse positiv, aber wenig überraschend. Cortisone sollen den Zytokinsturm, der bei einigen Patienten zu Lungenverletzungen und dem akuten Atemnotsyndrom (ARDS) führt, verhindern oder zumindest abmildern. Allerdings gilt es zu beachten,d ass diese Wirkstoffgruppe bei längerer Gabe zu einem generell erhöhtem Infektionsrisiko führt, sodass es zu Begleiterkrankungen kommen kann.

Famotidin

Ende April führten Berichte über eine mögliche Wirksamkeit des H2-Antihistaminikums Famotidin bei der Behandlung von Covid-19 zu einer explosionsartigen Zunahme der Suchanfragen im Internet. Der Wirkstoff wird normalerweise verwendet, um die Magensäuresekretion zu hemmen. H2-Antihistaminika blockieren die histaminvermittelte Säureproduktion der Magenschleimhaut. Daher liegen die Einsatzgebiete der Substanz bei gutartigen Magengeschwüren, Zwölffingerdarmgeschwüren und dem sogenannten „Zollinger-Ellison-Syndrom“. In Kombination mit Antazida wird der Arzneistoff auch zur Behandlung von Sodbrennen und der Refluxkrankheit eingesetzt. Bisher ist der Wirkmechanismus von Famotidin bei der Behandlung von Covid-19 nicht geklärt. Mediziner vermuten, dass der Arzneistoff möglicherweise eine Papain-ähnliche Protease bindet, die vom Sars-CoV-2-Genom kodiert wird und für den Eintritt essentiell ist. Der Wirkstoff kommt seit Berichten aus Wuhan als Behandlungsoption gegen Covid-19 in Frage. In China konnte gezeigt werden, dass Patienten, die diese Medikamente gegen Sodbrennen einnahmen, weniger wahrscheinlich an der Infektionskrankheit verstarben als Patienten, die diese Medikamente nicht einnahmen. Diese Beobachtungen wurden als Preprint veröffentlicht – eine Begutachtung durch Experten steht noch aus.

Favipiravir

In Japan setzen zahlreiche Kliniken bei der Behandlung von Covid-19 auf das Grippemedikament Favipiravir. Bei dem Arzneistoff handelt es sich um ein antivirales Medikament, dessen Wirkung auf der Hemmung der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase beruht. Interessant: Das Medikament war nie auf dem Markt verfügbar – es wird nur auf Anforderung durch die japanische Regierung hergestellt und danach als Pandemiemaßnahme an die Regierung verkauft. Die antiviralen Allrounder zeigen sich wirksam – jedoch nicht spezifisch. Favipiravir ist ein Guanin-Analogon. Der Arzneistoff liegt als Prodrug vor, sodass er erst im Körper in die aktive Form überführt wird. Die Wirkung beruht auf der Blockierung der viralen RNA-abhängigen RNA-Polymerase. Fehlt dieses Enzym, so kann das Virus sich nicht mehr replizieren. Auch Remdesivir wirkt über diesen Mechanisumus – wird aber als Infusion verabreicht, während Favipravir in Tablettenform zu Verfügung steht.

Fluoxetin

Das Antidepressivum Fluoxetin aus der Klasse der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), scheint Sars-CoV-2 In-vitro bereits in geringen Dosen bei der Vermehrung zu hemmen. Bei dem Wirkstoff handelt es sich um ein Racemat, das aus zwei Stereoisomeren besteht. Die S-Form ist das dominierende SSRI. Forscher fanden heraus, dass beide Isomere eine ähnliche Aktivität auf das Virus haben. Weder Escitalopram noch Paroxetin interferrierten mit der viralen Replikation. Dies gilt für die Wissenschaftler als Hinweis, dass die antivirale Wirkung nicht mit einem Klasseneffekt der Wirkstoffgruppe zusammenhängt. Der Vorteil des SSRI: Der Wirkstoff ist seit Jahrzehnten am Markt und demnach gut erforscht. Die Neben- und Wechselwirkungen sind bekannt, sodass Mediziner beim praktischen Einsatz gegen Covid-19 weitestgehend gut informiert wären.

Lopinavir und Ritonavir

Zu den anfänglich vielversprechenden Wirkstoffkombinationen gehörten Lopinavir und Ritonavir. Die Proteaseinhibitoren zeigten Ende Februar in ersten Untersuchungen zunächst positive Ergebnisse. Verlässliche Aussagen über die Wirksamkeit gegenüber Covid-19 standen jedoch noch aus. Mitte Mai wurden im New England Journal of Medicine (NEJM) erste Studienergebnisse zur Wirksamkeit publiziert – die Ergebnisse waren ernüchternd. In Kürze umfasste die Studie folgdene Ergebnisse: Unter der Behandlung mit den Proteaseinhibitoren starben 19,2 Prozent der Behandelten innerhalb von vier Wochen. Ohne die Therapie waren es 25 Prozent. Die Zeit bis zu einer klinischen Zustandsverbesserung verkürzte sich unter der Gabe von Lopinavir/Ritonavir um einen Tag. Anfang Juli zog die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus mehreren Studienergebnissen Konsequenzen: Kaletra (Lopinavir/Ritonavir) schied aus einer von der WHO koordinierten Studie aus. Das HIV-Medikament hätte praktisch keinen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit, so die WHO.

Stickstoffmonoxid

Das eigentlich für den Menschen giftige geruchslose Gas soll in geringen Mengen gegen Covid-19 eingesetzt werden. Stickstoffmonoxid unterbindet die Virusreplikation in hohem Umfang, sodass die Notwendigkeit einer Langzeitbeatmung reduziert werden kann, dieser Effekt wurde in ersten Studien nachgewiesen. Bereits bei der Sars-Pandemie 2002/2003 konnte nachgewiesen werden, dass das Gas die Vermehrung des Virus verlangsamt. Das Gas fungiert als Vasodilatator und wird als gefäßerweiterndes Medikament bei Leiden wie Angina pectoris angewendet. Indikationsgebiete für die Stickstoffmonoxid-Inhalationstherapie sind beispielsweise akutes Lungenversagen und pulmonale Hypertonie. In In-vitro Studien konnte bereits gezeigt werden, dass das Gas eine antimikrobielle Aktivität gegen verschiedene Bakterien, Protozoen und einzelne Viren hat. S-Nitroso-N-acetylpenicillamin, ein organischer Stickstoffmonoxid-Donor, ist in der Lage den Replikationszyklus von Sars-CoV über Inhibition der viralen Protein- und RNA-Synthese zu hemmen.

Tocilizumab

Tocilizumab, der Wirkstoff von Actemra/ RoActemra (Roche), wird eigentlich gegen rheumatoide Arthritis eingesetzt. Der monoklonale Antikörper wurde Ende März innerhalb einer zulassungsrelevanten Studie von Roche auf den potenziellen Nutzen bei Covid-19 untersucht. Eine erste Studie aus China untersuchte die Wirksamkeit von Tocilizumab bei schweren COVID-19-Verläufen. Der immunsuppressive Arzneistoff soll gegen einen drohenden Zytokinsturm wirken. Tocilizumab blockiert Rezeptoren, wodurch Entzündungssignale nicht mehr weitergeleitet werden. Laut Roche wurde Actemra deshalb sowohl in China als auch in Italien bereits eingesetzt. Aktuell wird überprüft, ob diese Einsätze einer klinischen Überprüfung standhalten.

 

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