Das Impfen gegen das Coronavirus rollt gerade erst richtig an, schon drohen neue Varianten das Infektionsgeschehen zu übernehmen. Wie kann der Schutz vor dem Coronavirus trotzdem klappen? Die wichtigsten Antworten im Überblick.
Die Entwicklung in Deutschland klingt besorgniserregend: In stichprobenartigen Untersuchungen hat sich binnen zwei Wochen der Anteil der ansteckenderen britischen Virusvariante B.1.1.7 von knapp 6 auf über 22 Prozent erhöht. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnet damit, „dass die Variante bald auch bei uns die dominierende werden könnte.“ Nur: Was bedeutet das für den mühsam erreichten ersten Fortschritt beim Impfen? Wirken die Impfstoffe überhaupt gegen Mutanten? Experten geben etwas Entwarnung – und machen Hoffnung.
Noch sieht es recht gut aus. Ein Fall in Niedersachsen etwa, wo mehrere bereits geimpfte Bewohner eines Pflegeheims positiv auf B.1.1.7. getestet wurden, sei „nicht besorgniserregend, sondern zeigt, dass die Impfung funktioniert“, sagt der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl. In dem Heim habe es zunächst keine schweren Verläufe gegeben. Und das zu verhindern sei die Aufgabe der Impfung. „Die vorhandenen Vakzine schützen bislang alle vor schwerer Krankheit und Tod“, sagt auch der Gießener Virologe Friedemann Weber. Zwar könne man nun annehmen, dass bei Mutationen der Impfschutz in Bezug auf die Symptomatik etwas sinke und es schwerere Verläufe geben könne. Aber: „Ein Stück weit schützt die Impfung immer.“
Generell bereite die britische Variante «am wenigsten Kopfschmerzen», meint Watzl und verweist auf entsprechende Studien. Kniffliger wird es bei der südafrikanischen Mutante: Studienergebnisse warfen jüngst Zweifel an der Wirksamkeit des Astrazeneca-Impfstoffs auf. Es schützt demnach nur minimal vor leichten und moderaten Erkrankungen. Doch die Studie sei relativ klein, und es seien nur jüngere Menschen mit generell eher leichten Verläufen einbezogen worden, meint Watzl. Es gebe also keine Daten für schwere Krankheitsverläufe. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt den weiteren Einsatz. Beim Impfstoff der Hersteller Biontech/Pfizer deuten erste Laborergebnisse auf eine Wirksamkeit auch gegen Schlüsselmutationen der britischen wie auch der südafrikanischen Variante hin.
Noch helfen Impfstoffe also zumindest teilweise gegen aufkommende Varianten. Sollten sie künftig angepasst werden müssen, könnte das insbesondere bei den auf Boten-RNA (mRNA) basierenden Impfstoffen von Biontech, Moderna oder perspektivisch auch Curevac schnell gehen. „Da muss man nur die Buchstabenreihenfolge im genetischen Bauplan ändern“, sagt Watzl. Er schätzt, dass eine Umstellung der Produktion in rund sechs Wochen machbar wäre. Das deckt sich mit Angaben der Hersteller. Etwa doppelt so lange könnte seiner Einschätzung nach der Prozess bei Vektor-Impfstoffen wie etwa dem von Astrazeneca dauern. Astrazeneca kündigte jüngst eine neue Impfstoff-Generation für den Herbst an, die besser vor Varianten schützen soll.
Hinzu kommt aber noch die Zulassung. Wie lange der Zulassungsprozess dauert und welche konkreten Anforderungen an einen umgestellten Impfstoff gestellt werden, wird derzeit auf EU-Ebene diskutiert. Nach Angaben des in Deutschland für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts werden dort erste Vorschläge und Ideen diskutiert. Nach Einschätzung von Watzl müsste man für den kompletten Prozess bis zur Anwendung grob vier bis sechs Monate veranschlagen.
Das hängt zum einen daran, wie schnell die Wirksamkeit des Impfstoffes nachlässt, wie Weber erklärt. Wie schnell die Wirkung der Corona-Impfstoffe abnimmt und wann eine Nachimpfung nötig wird, dazu fehlen bislang langfristige Daten. Die andere Unbekannte ist, ob neue Mutationen auch neue Impfstoffe erfordern. „Coronaviren sind im Vergleich zu anderen Viren behäbiger“, erklärt Weber. Solange sie jedoch in großer Zahl in Umlauf sind, ist auch die Wahrscheinlichkeit von Mutationen höher. Insgesamt könne er sich „durchaus vorstellen, dass man künftig jeden Herbst nachimpfen muss“. Immunologe Watzl schätzt, dass „erst nach mehreren Jahren“ aufgefrischt werden muss. Einig sind sich die Experten jedoch in einem Punkt: Das Thema wird uns die kommenden Jahrzehnte begleiten.
Viele Menschen werden wohl erst im Sommer geimpft. Was aber, wenn im Herbst bereits eine neue Mutante eine rasche Auffrischung nötig macht? „Ich sehe überhaupt kein Problem, mehrere Dosen hintereinander zu spritzen“, sagt Watzl. Das Immunsystem könne das ab. Mit den mRNA- und Vektor-Impfstoffen wird dem Körper kein abgeschwächtes Virus gespritzt, wie etwa bei einer Gelbfieber-Impfung. Sondern es wird spezifisch eine Immunreaktion gegen einen Teil des Coronavirus angeregt. Daraus entstehen Gedächtniszellen, die dann den Impfschutz geben, wie Watzl erklärt. Wichtig sei, genug zeitlichen Abstand zu anderen Impfungen zu haben und die zweite Dosis in einer Impfreihe nicht zu früh zu setzen. „Denn dann wäre die Immunreaktion der ersten Dosis noch nicht abgeschlossen.“ Kein Problem sei auch, die zweite Impfung etwas später als empfohlen zu erhalten. Die zweite Dosis sei aber in jedem Fall wichtig.
Noch läuft es hierzulande so: Wer die erste Spritze mit Biontech-Impfstoff erhält, wird auch die zweite von Biontech erhalten. Doch theoretisch wäre es auch möglich, in einer Reihenfolge verschiedene Impfstoffe zu spritzen. „Immunologisch geht das, und es wird auch oft gemacht“, sagt Weber. Auch Watzl vermutet, dass das „wahrscheinlich kein Problem“ sei. Solange aber keine Studien vorliegen, könne man nur im Konjunktiv bleiben. Es braucht also Forschung, bevor in Deutschland ernsthaft über solche Schritte nachgedacht wird.
Etliche Stimmen kritisieren die globale Impfstoff-Verteilung und mahnen, das könne auch hierzulande zum Problem werden. Das Argument: Wenn sich das Virus in einigen Weltregionen frei entfalten kann, entstehen mehr Mutationen, die irgendwann auch in Deutschland ankommen. „Die Pandemie ist nicht vorbei, wenn Deutschland geimpft ist, sondern wenn die ganze Welt geimpft ist“, sagt Watzl. Auch Weber plädiert für ein globales Impfprogramm. Beide machen aber auch klar: Sobald in Deutschland ausreichend geimpft wurde, sei eine Grundimmunität in der Bevölkerung vorhanden, die es neuen Varianten schwerer macht. „Wenn dann eine Mutante durchkommt, sind wir nicht mehr so ungeschütz“», erklärt Watzl. Auch Weber rechnet nicht damit, dass neue Mutationen den Fortschritt in der Pandemiebekämpfung in Deutschland auf null zurücksetzen.
Seit Beginn der Pandemie hat das als behäbig geltende Sars-CoV-2 schon mehrere potenziell ansteckendere und gefährlichere Varianten ausgeprägt – obwohl es noch keine Herdenimmunität gab und der Anpassungsdruck für das Virus relativ gering war. Wird es also mit steigender Immunisierung gefährlicher? „Das ist schwierig vorherzusagen“, sagt Weber. Es könne sein, dass eine nur mittlere oder „halbgare“ Immunität in der Bevölkerung die Entstehung neuer Varianten begünstige. Dann seien viele Viren unterwegs, was Mutationen wahrscheinlicher mache. Und es gebe hier und da einen Anpassungsdruck, auf den das Virus reagiere.
Die wirksamste Waffe auch gegen Mutationen wäre die vielbeschworene Herdenimmunität. Die könnte man vielleicht schon im Herbst erreichen, meint Weber. Bis dahin werde die Impfstoff-Produktion massiv hochgefahren. Sollten dann Varianten wie etwa B.1.1.7. vorherrschen, müssten für eine Herdenimmunität wohl mindestens 80 Prozent der Bevölkerung immun sein. Auch Watzl denkt, dass dem Virus bis zum Herbst eine weitgehend immunisierte Bevölkerung gegenübersteht und die Infektionszahlen gedrückt sind: „Ich bin optimistisch, dass wir das schaffen.“ Bis dahin seien ein weiteres Einhalten der Abstandsregeln und andere Maßnahmen nötig: „Wir werden uns aus dieser aktuellen zweiten Welle nicht rausimpfen können.“
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