Staatsschutz ermittelt

Morddrohungen gegen Lauterbach und Drosten Lothar Klein, 27.05.2020 11:13 Uhr

Morddrohungen: SPD-Politiker Karl Lauterbach erhielt zwei Morddrohungen. Foto: Andreas Domma
Berlin - 

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und auch der Virologe Professor Dr. Christian Drosten haben Morddrohungen erhalten – in beiden Fällen offenbar vom selben Absender. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Womöglich gibt es einen Zusammenhang mit der exponierten öffentlichen Rolle der beiden in der Corona-Krise. Drosten wie Lauterbach sind derzeit viel gefragte Medienpartner, unzählige Interviews und TV-Auftritte haben den Politiker und Mediziner ins Rampenlicht gerückt. Obwohl ohne offizielles Amt in Partei und Fraktion, ist SPD-Politiker Lauterbach für seine Partei präsenter als die SPD-Spitze und alle anderen Gesundheitspolitiker zusammen.

Lauterbach hat nach eigenen Angaben sogar zwei Morddrohungen erhalten, sagte der Politiker dem Nachrichtenportal T-online.de. Die Drohungen richteten sich gegen ihn und seine Familie. „Eine Morddrohung ist eine Art Postkarte, auf der ein Kreuz abgebildet ist mit meinem Namen eingraviert. In Schreibmaschinenschrift steht dort, dass ich an meine Familie denken solle“, sagte Lauterbach dem Portal. Er habe die beiden anonymen Drohungen an den Staatsschutz übergeben. Zuvor hatte Lauterbach auf Twitter ein Foto eines Drohpakets geteilt. Auf dem Bild sind ein Fläschchen mit einer unbekannten Flüssigkeit sowie ein Zettel zu sehen, auf dem „Trink das – dann wirst du immun” steht.

Dort schrieb er: „Morddrohungen bis zu Beleidigungen aller Art, einige von uns müssen viel hinnehmen. Daher sollte jeder mit Restbestand von Charakter die Hetze im Netz gegen Virologen, Epidemiologen oder Politiker einstellen. Es animiert Leute, die unberechenbar sind. Denkt an unsere Familien.“ Drosten hatte Lauterbachs Tweet geteilt und dazu geschrieben, dass er das gleiche Paket bekommen habe. Auf den Retweet von Drosten antwortete der Politiker erneut: „Lieber Christian Drosten, es ist traurig, dass es Hetzer gibt, die so etwas verantworten. Aber die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung weiß Ihre Arbeit zu schätzen. Mit mir angefangen.“

Womöglich stehen die Drohungen in Zusammenhang mit den vielen Interviews und Talkshow-Auftritten, in denen Lauterbach während der Corona-Pandemie einen vergleichsweise rigiden Kurs bei den Alltagsbeschränkungen vertritt und damit viel Kritik auf sich gezogen. Den Start der Bundesliga lehnte Lauterbach zuletzt ebenso ab wie die in Thüringen angekündigten Lockerungen. Und zu Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen solle man erst recht nicht gehen. Meistens schlüpft Lauterbach in die Rolle des Spielverderbers.

Als Kanzlerin Angela Merkel Mitte März den Corona-Shutdown verkündete, war auch Lauterbach auf mehreren TV-Kanälen gleichzeitig präsent. Er diskutierte bei Markus Lanz im ZDF und sprach parallel mit Sandra Maischberger in der ARD. Anders als Merkel, Vizekanzler Olaf Scholz und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn benötigt Lauterbach für seine Medienallgegenwart kein hohes politisches Amt. Lauterbach ist Mediziner und Epidemologe – hat also als Fachmann Einiges zum Thema beizusteuern. Lauterbach ist Experte und Politiker zugleich.

In 14 großen Talkshows zur Corona-Krise war Lauterbach seit Anfang März, das hat außer ihm niemand sonst geschafft, hat T-online.de nachgezählt. Hinzu kommen zahlreiche Artikel über seine Talkshowauftritte, viele Interviews, ungezählte Statements. Auf Twitter vergeht selten ein Tag ohne Lauterbach-Tweet. Manchmal macht er auf neue Studien aufmerksam, manchmal kritisiert er Politiker, manchmal macht er beides.

„Ich gehe nie in eine Talkshow oder äußere mich in einem Interview, wenn ich nicht den Eindruck habe, etwas Neues beitragen zu können“, sagt Lauterbach. Und stets wird Lauterbach den medialen Erwartungen gerecht: Als Mitte April die ersten Beschränkungen nach vier Wochen wieder aufgehoben werden, hätte Lauterbach lieber noch länger strikte Kontaktsperren gehabt. Den Neustart der Bundesliga lehnte er als „fatales Signal“ ebenso ab. Als US-Präsident Donald Trump darüber nachdachte, dass man sich doch vielleicht Desinfektionsmittel spritzen könnte, warnte der SPD-Politiker vor einem Bürgerkrieg in den USA.

Lauterbach fetzt, garantiert provokante Thesen und Schlagzeilen. Zuerst sprach er sich angesichts der coronabedingten Schließung von Prostitutionsstätten mit einer Gruppe von Bundestagsabgeordneten von Union und SPD für ein Sexkaufverbot aus. Wenig später fordert er einen finanziellen Rettungsschirm für Protituierte.

Seit 2005 sitzt Lauterbach im Bundestag und macht Politik für die SPD und – wie seine Kritiker gelegentlich frotzeln – vor allem für Lauterbach selbst. 2009 wird er zum gesundheitspolitischen Sprecher, 2013 zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden für Gesundheitspolitik. Bei der Bundestagswahl in dem Jahr ist er Teil von Peer Steinbrücks Schattenkabinett und damit potenzieller Gesundheitsminister.

Im letzten Jahr versuchte Lauterbach sogar den Sprung an die SPD-Spitze. Mit der Umweltpolitikerin Nina Scheer kandidierte er für den SPD-Vorsitz – und scheiterte. Das Amt als Fraktionsvize für Gesundheit gab Lauterbach wegen der Kandidatur ab. Seine nicht wenigen Kritiker in den Reihen der SPD kolportierten prompt, dass er ohnedies bei den im Herbst stattgefundenen Fraktionswahlen nicht wieder zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt worden wäre. Lauterbach sagt trotzdem selbstbewusst: „Ich kann mich über mangelnden Einfluss nicht beklagen.“ Wie groß sein Einfluss in der SPD tatsächlich ist, das ist schwer zu sagen.

Auf jeden Fall aber prägt er die öffentliche Debatte – auch wenn der Professor mit seinen Aussagen und Einschätzungen nicht immer richtig liegt: Als Ende Januar in China die Corona-Fälle für Aufsehen sorgten, äußerte er sich in einem Interview, es werde in Deutschland wohl „bei Einzelfällen bleiben“, mit massenhaft Infektionen sei nicht zu rechnen. „Die Gefahr für die Mehrheit der Bevölkerung ist zum Glück sehr überschaubar.“