Maskenpflicht: Ärzte stellen Atteste ohne Anamnese aus Alexandra Negt, 08.07.2020 12:53 Uhr
Menschen mit gewissen Vorerkrankungen sind von der aktuell geltenden Maskenpflicht im Einzelhandel und in den öffentlichen Verkehrsmitteln ausgeschlossen. Asthmatiker sowie Personen mit COPD oder speziellen psychischen Erkrankungen können sich vom behandelnden Arzt bescheinigen lassen, dass sie keinen Mundschutz tragen können. Aktuell scheinen Mediziner nach Recherchen von „Report Mainz“ (ARD) diese Atteste sehr locker auszugeben – zum Teil ohne vorherige Anamnese des Patienten.
Im Kampf gegen eine weitere Ausbreitung des Coronavirus müssen Menschen in ganz Deutschland seit Ende April Masken tragen. Eine Tragepflicht gilt seitdem in allen Bundesländern im öffentlichen Nahverkehr und mit wenigen Ausnahmen auch im stationären Handel. Ob nun ein einfacher OP-Schutz, eine FFP2-Maske oder ein DIY-Mund-Nasen-Schutz getragen wird, ist egal. Die Art der Bedeckung spielt keine Rolle.
Ärzte-Bündnis gegen Maskenpflicht
Ein Zusammenschluss von mehreren hundert Ärzten wirbt im Internet mit der vereinfachten Ausgabe von Attesten, die es erlauben, sich im Einzelhandel und in den öffentlichen Verkehrsmitteln ohne Maske zu bewegen. „Ärzte für Aufklärung“ nennt sich die Initiative – der Zusammenschluss an Medizinern hält das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für wirkungslos und plädiert für die Abschaffung der Maskenpflicht. So heißt es auf der Internetseite: „Viele der durch die Regierung erlassenen Maßnahmen zur Krankheitsbekämpfung von Covid-19 sind unverhältnismäßig und schädlich für die Bevölkerung.“ Um ein Zeichen zu setzen, wollen sie Atteste in großen Stückzahlen ausstellen, die den Bürger von der Maskenpflicht entbinden. Solch eine Bescheinigung ohne vorherige Untersuchung ist unzulässig. Laut Recherchen von „Report Mainz“ halten sich viele Ärzte nicht daran und stellen fleißig Atteste aus.
Attest für 50 Euro
Laut der Initiative ist die Maskenpflicht nicht nur unsinnig, sondern sogar schädlich: Das Tragen eines Mundschutzes rufe überhaupt erst Unwohlsein hervor. Um diese unerwünschte Wirkung zu vermeiden, sprechen sich die Ärzte gegen das Tragen eines Mundschutzes aus. Im Test von „Report Mainz“ waren es 50 Prozent der kontaktierten Arztpraxen, die kein ethisches Problem in der Ausstellung eines solchen Attestes sahen. Die Mediziner sind namentlich auf der Homepage gelistet. Zwei der Mediziner waren bereit, ein Attest ohne vorherigen Patientenkontakt auszustellen. Ein Arzt verlangte eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro.
Bei Ärzten aus vier verschiedenen Bundesländern machten die Journalisten der ARD den Test vor Ort und erhielten allein aufgrund einer vermeintlichen Ablehnung der Maskenpflicht ein Attest. Diese Art der Ausstellung ist unzulässig. Die Ausnahme der Pflicht gelte allein für Patienten mit medizinisch bestätigten Vorerkrankungen. Allein die Diagnose Asthma reicht für eine Bescheinigung nicht aus – der behandelnde Arzt muss eine Gefährdung des Gesundheitszustandes des Patienten befürchten. Auch der allgemeine Gesundheitszustand kann ein Attest legitimieren. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Patient aktuell eine Exazerbation der COPD aufgrund anderer Begleiterkrankungen (Erkältung) erfährt.
Internetauftritt und Meinung zur Impfung
Der Internetauftritt der Initiative ist durch die Verwendung der Begriffe „Ärzte“, „Mediziner“ und „Außerparlamentarischer Untersuchungsausschuss“ geprägt. Es exsistieren verschiedene Unterseiten zum Thema Corona. Unter der Überschrift „Niemand hat die Absicht, eine Corona-Zwangsimpfung durchzuführen“ erklärt die Initiative das Vorgehen von Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Unicef im Rahmen der klinischen Untersuchung eines Tetanus-Impfstoffes in Kenia 2013 bis 2015. Die Durchführung und Auswahl der Probanden werden bemängelt. Der Artikel schließt mit dem fettgedruckten Satz ab: „Wir sind überzeugt, dass es sich bei der Tetanus-Impfkampagne um ein verschleiertes Programm zur Geburtenkontrolle handelt.“ Auf das eigentliche Thema – eine Impfung gegen Covid-19 – wird nicht weiter eingegangen.
Bundesweite Maskenpflicht – Einzelhandel befürwortet Abschaffung
Mehrere Bundesländer erwägten vor einigen Tagen eine Abschaffung der Maskenpflicht im Handel. „Wenn das Infektionsgeschehen so gering bleibt, sehe ich keinen Grund, länger an der Maskenpflicht im Handel festzuhalten“, sagte beispielsweise Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) der Welt am Sonntag. Er gehe davon aus, dass das Kabinett in Schwerin am 4. August das Ende der Maskenpflicht im Einzelhandel beschließen werde. „Ich kann die Ungeduld des Handels sehr gut nachvollziehen, die Maskenpflicht abzuschaffen“, so Glawe. Die Abstandsregel werde aber grundsätzlich bleiben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat einer Abschaffung der coronabedingten Maskenpflicht in Geschäften einen Tag später eine klare Absage erteilt.