Umstrittene Ansichten zur Corona-Krise

Lauterbach: „Wodarg redet blanken Unsinn“

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Steile Thesen: Dr. Wolfgang Wodarg sorgt gerade mit umstrittenen Äußerungen zur Corona-Krise für Aufsehen.
Berlin -

Derzeit geht ein Video des ehemaligen SPD-Gesundheitspolitikers Dr. Wolfgang Wodarg viral: Der Pneumologe und ehemalige Amtsarzt wirft darin der Politik vor, Panik zu befeuern wegen eines eigentlich wenig gefährlichen Virus, gemeint ist Sars-CoV-2. In seiner Argumentation nimmt er Anleihen bei Verschwörungstheoretikern und fällt bei etablierten Wissenschaftlern durch. Auch seinen Parteikollegen sind Wodargs Äußerungen offensichtlich unangenehm.

Wodarg ist so etwas wie der Thilo Sarrazin der Gesundheitspolitik: Er gehört eigentlich zum SPD-Establishment, macht sich jedoch mit steilen, teils unhaltbaren Thesen viele Feinde – und wird damit zum Problem für seine Partei. Wodarg hat mit seiner Einschätzung der aktuellen Krisenpolitik im Internet für ziemlich viel Wirbel gesorgt, Hunderttausende haben seine Videos gesehen, er soll gar Teil einer „investigativen 90-Minuten-Dokumentation“ über die Coronakrise werden, die deren Macher derzeit über Crowdfunding zu finanzieren versuchen.

Das dürfte auch daran liegen, dass Wodarg es – ebenso wie Sarrazin – versteht, ein diffuses Unwohlsein vieler Menschen aufzugreifen und mit scheinbar wissenschaftlich validen Fakten und Zahlen argumentativ zu untermauern. Wie Sarrazin kommen ihm dabei seine bisherigen Meriten zugute: Wodarg ist selbst Lungenarzt, hat gar als Amtsarzt das Gesundheitsamt in Flensburg geleitet, bevor er für die SPD in den Bundestag eingezogen ist. Dort war er bis 2009 ein angesehener Gesundheitspolitiker der Partei. Schon damals fiel er allerdings mit abwegigen Meinungen auf: 2009 stellte er sich einsam gegen eine Impfung gegen die damals grassierende Schweinegrippe. Er warnte vor einer künstlich erzeugten Pandemie-Panik und unterstellte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Gesundheitsbehörden, auf karrieregeile Wissenschaftler und die Pharmalobby gehört zu haben.

Ähnlich sieht es Wodarg heute bei der Sars-CoV-2-Pandemie. Er sieht die aktuelle Pandemie als „Hype“, von dem er dachte, „er geht bald wieder vorbei“. Jenem Hype liege keine außergewöhnliche Gesundheitsgefahr zugrunde, argumentiert Wodarg dabei. Vielmehr habe es den jetzt Sars-CoV-2 getauften Erreger wohl schon seit längerem gegeben, er sei nur erst jetzt durch einen vom Charité-Virologen Professor Dr. Christian Drosten entwickelten Test erkannt wurden. Coronaviren würden sich nachweislich bei jeder Grippe-Epidemie auch verbreiten, jedoch keine erhöhte Sterblichkeit verursachen. Das Auftreten des Virus sei ein normales Phänomen, das ohne des Test gar nicht aufgefallen wäre.

Die Mehrheit der Fachleute sieht das grundlegend anders. Der Arzt und Biochemiker Professor Dr. Alexander Kekulé beispielsweise: „Auf den ersten Blick klingt das Argument relativ griffig“, erklärte er in seinem Podcast „Kekulés Corona-Kompass“ im MDR. Rechnet man die rund 3000 Toten in China gegen die Todeszahlen der normalen Grippe- und Erkältungswellen, „dann ist das fast nichts“. Allerdings mache Wodarg an entscheidenden Stellen Fehler. „Es ist schon so, dass man sagen muss, Herr Wodarg verwechselt da etwas“, so Kekulé. „Natürlich sind die meisten Coronaviren harmlos, aber bei diesem Virus haben wir relativ früh erkannt, dass es eine Sterblichkeit hat, die zehnmal so hoch ist wie bei Influenza.“

Die Argumentation Wodags sei dieselbe, die das Robert-Koch-Institut (RKI) bis vor ein paar Wochen hatte: Die normale Grippe sei vom Umfang her viel größer. „Es ist nur so, wenn sie eine Infektion mit dem Virus haben, dann ist die Chance daran zu versterben, viel höher als bei der Grippe und wir können unser medizinisches Personal nicht schützen. Deshalb geht sein Argument in die Leere.“

Einen weiteren grundlegenden Fehler mache Wodarg bei seiner Arbeit mit Statistiken: „Er vergleicht da die Zahl der gesamt Gestorbenen in einer Saison mit den Toten durch das Coronavirus und sagt, das ist im Vergleich ja gar nicht so viel Unterschied. Der wichtige Unterschied ist: Wir müssen bei dem Coronavirus jetzt damit rechnen, dass die gesamte Zahl innerhalb von wenigen Tagen oder Wochen auftritt. Und das ist das Problem.“ Wenn man so viele Todesfälle in kürzester Zeit habe, komme es zu Sekundäreffekten – also beispielsweise dazu, dass Menschen nicht behandelt werden können, weil die Krankenhäuser überfüllt sind und sie dann mangels Behandlungsplätzen sterben.

Wodarg muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass er mit seinen Äußerungen Verschwörungstheorien Vorschub leistet und tatsächlich erinnert seine Argumentationsweise an allerlei wissenschaftsfeindliche Argumentationsmuster, die aus anderen Debatten bekannt sind: So erhebt er nicht nur Vorwürfe gegen Drosten und insinuiert, es gebe wirtschaftliche Verflechtungen, die sein Handeln anleiten. Er stellt auch das restliche wissenschaftliche Establishment zur Disposition. Er redet von „Hofschranzen, die um die Regierung herum sind“ und meint damit die Wissenschaftler und Berater. „Die haben das alles mitgemacht, die haben hofiert.“ Und zwar für Geld und Einfluss. „So werden jetzt viele Politiker hofiert von Wissenschaftlern, die wichtig sein wollen in der Politik, weil sie Gelder brauchen für ihre Institute, Wissenschaftler, die dann in diesem Mainstream mitschwimmen wollen.“

Man muss nur Corona-Pandemie durch Erderwärmung ersetzen und hat haargenau die Argumentation, die seit Jahren Leugner des Klimawandels landauf landab verbreiten. Wer seinen Gegenüber derart pauschal delegitimiert, entzieht sich dem Diskurs. Warum auch sollte man Wissenschaftlern glauben, wenn sie sowieso alle korrumpiert sind und nur ihr Eigeninteresse als wissenschaftliche Fakten verkaufen?

Doch Wodarg fällt nicht nur bei den allermeisten Wissenschaftlern mit seinen Ansichten durch, auch seine Partei gibt sich Mühe, sich möglichst schnell zu distanzieren. „Wolfgang Wodarg trägt dazu bei, die Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen zu untergraben“, rügte ihn die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion und gesundheitspolitische Sprecherin Bärbel Bas. Das sei grob fahrlässig. Noch eindeutiger positionierte sich SPD-Gesundheitspolitiker Professor Dr. Karl Lauterbach. „Ich sage das ungerne, aber es muss sein: der von mir eigentlich geschätzte ehemalige SPD-Kollege Dr. Wolfgang Wodarg redet zu Covid-19 blanken Unsinn“, so Lauterbach auf Twitter. „In ganz Europa kämpfen Ärzte um das Leben der Erkrankten. Wodargs Position ist unverantwortlicher Fake News.“

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