28 Millionen verschobene Eingriffe

Krebspatienten warten weltweit auf OP's

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Berlin -

Weltweit wurden rund 28 Millionen chirurgische Eingriffe aufgrund der Corona-Pandemie verschoben, das ist das Ergebnis einer globalen Datenerhebung von Wissenschaftlern einer Abteilung des National Institute for Health Research (NIHR) der Universität Birmingham in England. Das „Abarbeiten“ dieser aufgeschobenen Operationen könne Monate bis Jahre dauern, schätzen die Forscher. Besonders betroffen seien ärmere Länder – hier würden aktuell am meisten Eingriffe nicht stattfinden. Onkologen fürchten eine zweite Tumorwelle im Herbst.

Um ausreichend freie Betten für eventuelle Covid-19-Patienten frei zu halten, wurden die Krankenhäuser dazu angehalten, nur noch dringend notwendige Operationen durchzuführen. Millionen von chirurgischen Eingriffen werden aktuell weltweit aufgrund der Pandemie vereschoben. Insgesamt handelt es sich um rund 28 Millionen OP’s, so das Ergebnis einer globalen Datenerhebung von Wissenschaftlern einer Abteilung des National Institute for Health Research (NIHR) der Universität Birmingham in England.

Jede Woche 2,4 Millionen Aufschübe

Aus den modellierten Abschätzungen ergab sich, dass die Zahl der verschobenen Eingriffe bei Beibehaltung der eingeschränkten Kapazitäten wöchentlich um 2,4 Millionen steigt. Die Daten stammen von Angaben aus 359 Kliniken aus 71 Ländern. Diese Daten wurden dann für 190 Länder hochgerechnet. Ein vergleichbarer Datensatz wurde bislang noch nicht erhoben. „In diese Modellierungsstudie gingen auch die Daten einer Umfrage aus 34 deutschen Kliniken ein“, erläutert Markus Albertsmeier, Chirurg am Münchner LMU-Klinikum, der mit anderen deutschen Chirurgen an der Datenerhebung teilnahm. Für Deutschland ergebe sich eine Zahl von 908.759 aufgeschobenen Operationen.

Sonderfall Krebsoperationen

Unter den aufgeschobenen Eingriffen sind auch zahlreiche Krebsoperationen. Rein rechnerisch wurden laut der Datenerhebung 52.000 Krebsoperationen aufgeschoben. Das entspreche einem Anteil von rund einem Viertel aller Eingriffe bei malignen Erkrankungen. Albertsmeier erklärt, dass nicht jeder Aufschub einer tumorbedingten Operation zwangsläufig mit einer Verschlechterung der Prognose einhergeht. Bei einigen Tumoren spiele beispielsweise auch die Strahlentherapie eine Rolle. „Die deutschen Kapazitäten werden allgemein so eingeschätzt, dass keine dringende Krebsoperation hinausgezögert werden muss“, betont er. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass es viele Monate, wenn nicht gar Jahre dauern könnte, bis alle aufgeschobenen Eingriffe nachgeholt werden konnten.

Neudiagnose-Welle im Herbst

Häufig würden die Erstdiagnosen im Rahmen der Früherkennung gestellt. Durch das Ausfallen dieser Screenings würden daher viele Erkrankungen zunächst unentdeckt bleiben. Die Zahl der in Tumorkonferenzen vorgestellten Patienten sei im April ebenfalls deutlich gesunken – in einzelnen Institutionen um 30 bis 50 Prozent. „Wir sehen Leukämie- oder Myelompatientinnen und -patienten mit Komplikationen, die wir in den letzten Jahren eher nicht gesehen haben“, erklärt Professor Dr. Hermann Einsele, Vorsitzender der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums Würzburg.

Viele Patienten mit fortgeschrittenen soliden Tumoren seien in den letzten beiden Monaten nicht zur Frühdiagnostik oder zu Verlaufskontrollen vorstellig geworden, deshalb befürchten Onkologen eine neue Tumor-Welle im Herbst. „Dabei zeigen die bisher verfügbaren Daten bei onkologischen Patientinnen und Patienten kein erhöhtes Ansteckungsrisiko. Das liegt möglicherweise an der bereits vorhandenen Achtsamkeit dieser Patientinnen und Patienten, die sie aber auch von Arztbesuchen abhält.“

In Deutschland erkranken jährlich nahezu 500.000 Menschen neu an Krebs. Die Überlebenschancen haben sich in den letzten Jahren generell verbessert – auch aufgrund von umfangreichen Screeningmaßnahmen. Krebspatienten stellen eine besondere Risikogruppe bei Covid-19 dar. Wie sich eine Krebserkrankung auf den Krankheitsverlauf auswirken kann und inwiefern das Infektionsrisiko bei Patienten mit Krebs oder einer zytotoxischen Therapie erhöht ist, wurde bisher nur in kleinen Fallserien analysiert. Onkologen sprechen sich deshalb für die Einhaltung von Kontrollterminen und einem generellen Test auf eine Sars-CoV-2-Infektion bei Krebspatienten aus.

Krebs ist tödlicher als Covid-19

Eine Krebserkrankung kann, je nach Art, tödlicher sein als eine Sars-CoV-2-Infektion, geben Onkologen zu bedenken. „Wir machen uns Sorgen, weil die Zahl der Patienten, die mit Neuerkrankungen in frühen heilbaren Tumorstadien vorgestellt werden, in den letzten Wochen stark zurückgegangen ist“, sagt Ulrich Keilholz, Leiter des Comprehensive Cancer Centers (CCCC) der Charité. „Denn es ist ja nicht so, dass weniger Krebs entsteht. Wir haben die Befürchtung, dass wir dadurch in einigen Wochen bis Monaten vermehrt Patienten mit Tumoren in fortgeschrittenen Stadien sehen werden. Bei einer Reihe von Krebsarten würde das intensivere Therapie und geringere Heilungsrate bedeuten“, so Keilholz.

Damit die Patienten besser abschätzen können, welche Arzttermine sie wahrnehmen sollten und bei welchen Symptomen sie lieber zu Hause bleiben, hat der Deutsche Krebsinformationsdienst einen Chat zum Thema „Corona und Krebs“ ins Leben gerufen. Seit Anfang Mai können sich alle Krebspatienten, Angehörige und Interessierte mit ihren Fragen an den Informationsdienst wenden. Die Chat-Zeiten sind Montag bis Freitag von 15 bis 17 Uhr.

Je ärmer, desto mehr Aufschübe

Insbesondere in ärmeren Ländern werden viele Krebsoperationen verschoben, das zeigte die Datenerhebung der Wissenschaftler. In armen Ländern wie dem Sudan werden aktuell 72 Prozent der Krebsoperationen verschoben. In Vietnam sind es laut der Datenerhebung 56 Prozent. In Brasilien finden 44 Prozent der chirurgischen Eingriffe beim onkologischen Patienten nicht statt und in Deutschland sind es 23 Prozent. Auch in den Ländern, die zu den „upper middle income“ Nationen zählen, betreffen bereits über 40 Prozent aller hinausgezögerten chirurgischen Eingriffe maligne Erkrankungen.

 

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