Eine Tennishalle und ein Eissportzentrum, ein Hotel und eine Kaserne: In Baden-Württemberg entstehen dutzende Impfzentren. In der Stuttgarter Liederhalle laufen die letzten Vorbereitungen, als Zentrales Impfzentrum (ZIZ) im Land wird es vom Klinikum Stuttgart aufgebaut. Hier soll der Impfstoff aus der Klinikapotheke angeliefert werden. Chefapotheker Holger Hennig erklärt, wie er und sein Team sich vorbereiten.
Die Hoffnung kommt in einer Art Pizzakarton. Zweimal die Woche, geliefert wie bestellt. Knapp 200 kleine Fläschchen pro Box werden erwartet. Aus je einem dieser Fläschchen sollen später fünf Dosen für die Spritzen mit dem lang ersehnten Impfstoff gegen das Coronavirus gezogen werden. Täglich werden diese Fläschchen schnell und in Kühlboxen aus der Apotheke des Stuttgarter Katharinenhospitals in die benachbarte Liederhalle gebracht.
„Wir sind am Dienstag startklar“, sagt Hennig. Danach heißt es dann warten. „Wir rechnen damit, dass der Impfstoff zwei Tage nach seiner Zulassung ausgeliefert wird und wir einen weiteren Tag danach die ersten Impfungen setzen können“, sagt der Apotheker. Der Ablauf von der Lieferung bis zur Spritze ist bis ins Detail geplant, damit es auf Kommando losgehen kann – und Hennig ist mit seinem Team nur eines der vielen Räder in diesem Getriebe.
Nach den Planungen des Klinikums Stuttgart, zu dem auch das Katharinenhospital gehört, wird der kostbare Impfstoff in der Apotheke in einem „Ultra-Deep-Freezer“ (Untertiefkühlschrank) bei einer Temperatur von minus 70 Grad Celsius gelagert. Zwar gab es im Krankenhaus bereits vor Corona entsprechende Kühlschränke, aber nicht in der Klinik. Den neuen Kühlschrank hat das Land gestellt – schon der Anschluss sei nicht einfach gewesen, wie Hennig sagt. Stichwort: Störungsmeldung.
Gleich nebenan liegt der Kühlraum. Rationen mit den 5-Milliliter-Fläschchen können abends dorthin umgelagert und bei 2 bis 8 Grad Celsius aufgetaut werden. Bei dieser Temperatur halten sie sich bis zu fünf Tage, bei Temperaturen von 25 Grad bis zu zwei Stunden.
Nächste Station: die Liederhalle, nur wenige Hundert Meter vom Kühlraum entfernt. Hier und nicht in der Apotheke soll der Impfstoff rekonstituiert werden, wie Hennig erklärt. Hintergrund ist, dass es keine Stabilitätsdaten für den Transport des fertigen Imfpstoffs gibt, entsprechend versuche man, eine mechanische Belastung etwa durch Schütteln zu vermeiden. Andererseits sei die Rekonstitution auch keine Herstellung, sondern eine ärztliche Tätigkeit, sodass diese besser vor Ort durch medizinisches Personal durchgeführt werde. Ohnehin sei spätestens eine Stunde nach Zubereitung mit der Impfung zu beginnen.
Ein weiterer Grund ist aber das Personal. 55 Mitarbeiter hat die Klinikapotheke, und die werden für die eigentlichen Aufgaben gebraucht. „Wir können die Hauptlast gar nicht über das Apothekenpersonal abbilden, denn das würde unseren laufenden Betrieb lahm legen“, sagt Hennig, der seit Beginn im Team des Klinikums an den Planungen für das Impfzentrum beteiligt war. Andererseits gebe es im medizinischen Bereich genügend Assistenzpersonal, dass die Zubereitung übernehmen könne, darunter die MTA-Auszubis im Krankenhaus.
Trotzdem sollen Apothekenmitarbeiter vor Ort im Einsatz sein und das Assistenzpersonal schulen, anleiten und überwachen. Sobald der Impfstoff da ist, will Hennig mit seinen Kollegen den Umgang mit dem Impfstoff testen und dann entsprechende Dokumente für die Mitarbeiter vor Ort erstellen. Er glaubt nicht, dass der Impfstoff für sein Team eine Herausforderung wird: Immerhin stelle man pro Jahr 35.000 Zyto-Lösungen und 6000 Ernährungslösungen für die Neonatologie her. Personal aus öffentlichen Apotheken wird für das Impfzentrum nicht explizit gesucht – auch weil hier vielfach Erfahrungen in der Sterilherstellung fehlten.
In der Apotheke bereitet man sich auf eine intensive Phase vor. Bereits jetzt werden sogenannte Schattendienstpläne erstellt – die dann in Kraft treten, wenn der Impfstoff ausgeliefert wird. Um personelle Engpässe abzufedern, hat Hennig sogar ehemalige Mitarbeiter vorübergehend aus dem Ruhestand zurückholen können.
Anders als die 50 Kreisimpfzentren (KIZ) in Baden-Württtemberg werden die ZIZ von den Kliniken aufgebaut. Neun gibt es davon in Baden-Württemberg, die Liederhalle ist einer von zwei solchen Standorten in Stuttgart. Wo normalerweise Bälle, Konzerte, Hochzeitsmessen und Kongresse stattfinden, führt ein System aus leuchtend roten Absperrbändern den Besucher in den Saal im Bauch des Gebäudes. Über Fernseher in der Lobby des Saales flackern in Endlosschleife erklärende Filme, Wartestühle stehen dort, wo normalerweise Garderobe und Bar geöffnet sind. In Kabinen können Besucher mit einem Impftermin noch den Rat eines Mediziners einholen, bevor sie über ein Barcode-System in den Saal mit den Impfräumen geleitet werden. Dort formen jetzt schneeweiße Trennwände mehr als ein Dutzend Kabinen und zwei Straßen. Einsam stehen Stühle vor jeder Kabine.
Auch hinter dem Team von Professor Dr. Markus Rose, Ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und CF, liegen eine Woche Arbeit und Nachtschichten. „Das ist eine große Herausforderung und es geht doch irgendwie, weil alle anpacken“, sagt der Impfexperte. Im Kampf gegen das Coronavirus hat er nun auch die Aufsicht über das Impfzentrum. Vier Minuten, so schätzt er, dauert eine Impfung. „Das eigentliche Impfen nimmt nur 30 Sekunden in Anspruch, das An- und Ausziehen in den Umkleideräumen rechts und links von der Impfkabine aber drei bis vier Minuten“, rechnet er vor. Während ein Patient gespritzt wird, zieht sich ein anderer um, so wird Zeit gespart.
Nach Angaben des Sozialministeriums haben sich bislang mehr als 5000 freiwillige Ärztinnen und Ärzte gemeldet, um in den Impfzentren mitzuhelfen. Nicht nur Mediziner werden eingesetzt, sondern auch medizinisches Fachpersonal, Security-Mitarbeiter, Dolmetscher, Fahrer, Reinigungskräfte und Aushilfen für die Registrierung. An manchen Standorten soll auch die Bundeswehr eingesetzt werden.
Sowohl das Klinikum Stuttgart als auch das Robert-Bosch-Krankenhaus, das das zweite ZIZ in Stuttgart betreut, sehen eine große Arbeitsbereitschaft des Personals. „Das Engagement ist hoch. Viele Chefärztinnen und Chefärzte tragen sich auch nach regulärer Tätigkeit für Spätdienste ein“, sagt Jan Steffen Jürgensen, medizinischer Vorstand des Klinikums Stuttgart. Zusätzlich zu angefragten Fachangestellten und Rettungssanitätern dürfen auch Medizinstudenten im praktischen Jahr in Begleitung eines Arztes die Impfungen verabreichen. Die Bereitschaft der niedergelassenen Ärzte, in den Zentren mitzuarbeiten, ist auch nach Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg hoch.
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