Am Donnerstag hat die Ständige Impfkommission (Stiko) eine eingeschränkte Empfehlung für die Impfung von Kindern gegen Corona ausgesprochen. Demnach sollen Kinder zwischen fünf und elf Jahren vor allem dann immunisiert werden, wenn sie unter Vorerkrankungen leiden. Bei gesunden Kindern sei dagegen eine Infektion der Impfung vorzuziehen, wie aus den Erläuterungen deutlich wird. Für eine generelle Impf-Empfehlung lägen schlichtweg zu wenige Daten vor.
Zu spät, zu zögerlich, zu uneindeutig: Die Stiko steht unter Druck. Viele Eltern, aber auch viele Politiker:innen hätten sich eine beherztere Empfehlung gewünscht, damit auch Kinder im Grundschulalter endlich durchgeimpft werden können. Im ZDF wurde der Stiko-Vorsitzende Professor Dr. Thomas Mertens von Moderatorin Marietta Slomka ins Kreuzfeuer genommen, was ihm und seinen Kolleg:innen im Netz viel Häme einbrachte. Zuvor hatte schon der gerade abgelöste Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) öffentlich zu Protokoll gegeben, dass die Stiko in ihrer Struktur nicht für Pandemien und Krisensituationen geeignet sei. Aber ist die Kritik wirklich gerechtfertigt?
Aufgabe der Stiko ist es, Impfempfehlungen für Deutschland zu entwickeln. Es geht also nicht nur um die Einschätzung, ob ein Impfstoff wirksam und unschädlich ist, sondern um die Frage, ob die Impfung auch tatsächlich sinnvoll und erforderlich ist. Daran schließen sich weitere Fragen an, etwa ob die Impfung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in die Impfrichtlinie und damit die Erstattung durch die Kassen aufgenommen wird.
Beispiel Hepatitis B: Zwar ist das Erkrankungsrisiko für Säuglinge ohne familiäre Risiken relativ niedrig – dennoch handelt es sich um eine Standardimpfung, weil es ein „besonders hohes Risiko für eine chronische Verlaufsform“ gibt. Andererseits gehört die Impfung gegen Hepatitis A zu den Impfungen, die nicht generell, sondern nur für gefährdete Personen oder Menschen mit einem hohen Expositionsrisiko empfohlen wird.
Bei der Prüfung soll die Stiko nicht nur den „Nutzen für das geimpfte Individuum, sondern auch für die gesamte Bevölkerung“ berücksichtigen. „Die Stiko orientiert sich dabei an den Kriterien der evidenzbasierten Medizin. Während für die Zulassung einer Impfung deren Wirksamkeit (zumeist im Vergleich zu Placebo), deren Unbedenklichkeit und pharmazeutische Qualität relevant sind, analysiert die Stiko darauf aufbauend neben dem individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnis auch die Epidemiologie auf Bevölkerungsebene und die Effekte einer flächendeckenden Impfstrategie für Deutschland“, so heißt es auf der Website.
Ziel der Corona-Impfung sei es, unter anderem schwere Verläufe und Todesfälle zu verhindern. In der Altersgruppe der fünf- bis elf-Jährigen sieht die Stiko dieses Risiko jedoch nicht: „Zwar ist die 7-Tagesinzidenz in der Altersgruppe sehr hoch, so dass man davon ausgehen kann, dass ohne Impfung ein Großteil der 5- bis 11-Jährigen mittelfristig infiziert werden wird, allerdings verlaufen die meisten Infektionen asymptomatisch. Derzeit besteht für Kinder ohne Vorerkrankungen in dieser Altersgruppe nur ein geringes Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung, Hospitalisierung und Intensivbehandlung“, so das Fazit der Expert:innen. Inwiefern die Impfung von Kindern dazu beitragen kann, Infektionsketten zu durchbrechen, kommentiert die Stiko nicht.
Die eingeschränkte Empfehlung der Corona-Impfung für Kinder begründet die Stiko auch mit unzureichenden Daten: „Die Datengrundlage für eine generelle Empfehlung ist im Augenblick aus Sicht der Stiko nicht gegeben“, erklärte Mertens. „Es gibt zwar keinen direkten Hinweis auf ein Risiko der Impfung in dieser Altersgruppe, aber es gibt eben auch keine ausreichend sichere Datenbasis, um die Sicherheit abschließend zu bewerten.“ Das Risiko seltener Nebenwirkungen der Impfung könne derzeit nicht eingeschätzt werden. An der Wirksamkeit des Kinder-Impfstoffs von Biontech gebe es übrigens keine Zweifel. „Sobald weitere Daten zur Sicherheit des Impfstoffs in dieser Altersgruppe oder andere relevante Erkenntnisse vorliegen, wird die Stiko diese umgehend prüfen und die Empfehlung gegebenenfalls anpassen.“
Auch bei der Impf-Empfehlung von Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren lief es ähnlich: Zunächst wurde die Impfung – ebenfalls aufgrund unzureichender Daten – nur für Risikogruppen empfohlen. Erst mit weiteren Daten wurde im August eine generelle Impfempfehlung seitens der Stiko ausgesprochen. Zuvor wurde immer wieder massiv Druck auf die Stiko ausgeübt.
Diesmal wurde daher der Passus zur Möglichkeit individueller Entscheidungen in die Empfehlung aufgenommen: „Es ist nicht die Absicht der Stiko – und auch nie gewesen – einen gesellschaftlichen Dissens zu befördern. Wir haben deshalb bewusst eine Aussage eingefügt, dass die Impfung bei Wunsch der Eltern oder der Kinder auch möglich sein kann.“
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