Bisher können Mediziner weder bestätigen noch ausschließen, dass eine Infektion mit Sars-CoV-2 zu einer dauerhaften Immunität führt. Erste Beobachtungen führten zu der Annahme, dass die während der Erstinfektion gebildeten Antikörper vor einer erneuten Infektion schützen, doch nun berichten Forscher aus Hongkong von einem Mann, der medizinisch bestätigt erneut Covid-19 hat – diesmal symptomlos. Nun stellt sich erneut die Frage nach der Dauer der Immunität und von welchen Faktoren dieser Zeitraum abhängen könnte.
Bereits im Mai gab es erste Diskussionen um Einzelfälle, bei denen Personen sich erneut mit Sars-CoV-2 infiziert hatten. Damals wurden in Südkorea mehrere Personen nach einer überstandenen Infektion erneut positiv auf das Virus getestet. Anschließende Kontaktuntersuchungen hatten ergeben, dass die Personen zwar eine Zweitinfektion vorwiesen, offenbar aber nicht infektiös waren. Nun liegt erneut ein Bericht aus Hongkong vor, bei dem ein Mann erneut erkrankt ist. Die Erstinfektion verlief dabei mit sanfter Symptomatik, bei der Zweitinfektion zeigte er keine Symptome.
Bei zahlreichen Infektionskrankheiten gilt eine überstandene Infektion als Schutz vor dem Erreger. Bei Sars-CoV-2 gibt es dazu zwar viel Forschung, aber bisher kein klares Ergebnis. Kommt ein Organismus das erste Mal mit einem Keim in Berührung, setzen verschiedene Mechanismen des Immunsystems ein. Für einen langanhaltenden Schutz werden Antikörper gebildet. Diese werden von einer bestimmten Klasse weißer Blutzellen, den Plasmazellen, auf eine Reaktion der B-Lymphozyten hin produziert. Diese Aktivierung des Immunsystems erfolgt auch bei Kontakt mit Sars-CoV-2. Bisher bleibt jedoch die Frage offen, ob und wie lange der körpereigene Schutz ausreichend ist, um das Virus bei einer zweiten Attacke abzuwehren. Wissenschaftler gehen zum Teil davon aus, dass der Verlauf bei einer zweiten Infektion leichter sein könnte, oder die betreffende Person unter Umständen nicht mehr ansteckend für andere ist. Diese Meinung teilt auch Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, weitere Untersuchungen müssten jedoch folgen, um eine wissenschaftlich fundierte Aussage zu treffen.
Zum nun neu aufgetreten Fall einer Zweitinfektion schrieb die Uniklinik der University of Hong Kong auf Twitter, dass Mikrobiologen der Hochschule mit diesen Erkenntnissen davon ausgehen, dass eine „Immunität nach einer natürlichen Infektion von kurzer Dauer sein kann“. Der Mann sei im Rahmen eines Routinetests nach einer Spanienreise vier Monate später erneut positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden. Somit fand die initiale Infektion in Hongkong statt, die darauffolgende höchstwahrscheinlich in Spanien. Die Diskussion um mögliche Mutationen von Sars-CoV-2 könnte erneut in den Fokus rücken, so die Wissenschaftler. Um zu untersuchen, ob es sich um eine neue Infektion oder um ein Wiederaufflammen der Ersten handelt, wurden Erbgutuntersuchungen vorgenommen. Diese hätten gezeigt, dass es sich um verschiedene Varianten von Sars-CoV-2 handelte. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich mit der Berichterstattung beschäftigt, um die neuen Erkenntnisse einzuordnen. Die Covid-19-Beauftragte der WHO, Maria van Kerkhove, schlussfolgert vorerst: „So wie wir die Pressemitteilung verstehen, könnte das ein Beispiel für eine Reinfektion sein.“
Watzl betont, dass Menschen natürlich wissen wollen, ob sie nach einer durchgemachten Corona-Infektion geschützt sind oder nicht. Diese Frage könnte besonders auch bei Krankenhauspersonal relevant sein, das mit Infizierten zu tun hat. Für den Verlauf der Pandemie sei die Frage der Immunität aber nicht relevant, meint Watzl. Denn selbst wenn es einen langanhaltenden Schutz gebe, müsste für eine Herdenimmunität ein großer Teil der Bevölkerung die Infektion durchgemacht haben. Dies werde aber in vielen Ländern in absehbarer Zeit nicht passieren. Eine Entspannung der Situation werde es deshalb erst mit einem Impfstoff geben. Im Umkehrschluss bedeuten die aktuellen Erkenntnisse, dass auch Genesene sich weiterhin an die AHA-Regel halten sollten. Als unbemerkter Träger könnten sie nach aktuellem Kenntnisstand als Überträger nicht ausgeschlossen werden.
Zuletzt wurden auch Studien veröffentlicht, die zeigen, dass die Antikörper für längere Zeit im Organismus verbleiben. So konnte eine Gruppe um die US-Immunologin Deepta Bhattacharya zeigen, dass die Produktion bestimmter Antikörper gegen Sars-CoV-2 mindestens drei Monate bestehen bleibt. Die Studie ist bislang weder von Experten begutachtet noch in einem Fachjournal publiziert. Kanadische Forscher berichten ebenfalls in einer solchen Preprint-Studie, dass zumindest bestimmte Antikörper, sogenannte IgG-Antikörper, länger als 100 Tage im Blut und im Speichel relativ stabil vorliegen.
Aktuell befinden sich acht Impfstoffkandidaten in der klinischen Phase-III, darunter auch der bereits zugelassene russische Impfstoff „Sputnik V“. Doch noch konnte für keinen Impfstoffkandidaten nachgewiesen werden, dass er Menschen tatsächlich zuverlässig vor einer Infektion schützt. Auch ob der Effekt länger anhält ist noch nicht geklärt – anschließende längerfristige Untersuchungen müssten erfolgen, um die Dauer des Impfschutzes definieren zu können. Mit ersten Impfstoffen auf dem deutschen Markt rechnen die meisten Experten im ersten Quartal 2021.
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