Kawasaki-Syndrom oder neue Erkrankung Alexandra Negt, 25.05.2020 07:52 Uhr
Kinder erkranken nach einer Sars-CoV-2-Infektion mit milderen Verläufen als Erwachsene. Nach überstandener Infektion scheint es aber bei einzelnen Kindern zu einer überschießenden Immunreaktion zu kommen, welche Mediziner aktuell mit dem Kawasaki-Syndrom vergleichen. Der Auslöser der seltenen Erkrankung ist bis heute unbekannt. Ärzte suchen nach einem Zusammenhang, auch um das Coronavirus besser zu verstehen. Die Öffnung der Kitas sei in dem Zusammenhang jedoch nicht kritisch zu beurteilen, so die Mediziner.
In Großbritannien wurden Mitte April drei erkrankte Kinder mit ungewöhnlichen Symptomen in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert, am nächsten Tag wurden erneut drei Patienten mit ähnlichen Symptomen in einer anderen Klinik gemeldet – das Auftreten war zwar selten, es handelte sich aber nicht um Einzelfälle. Für Elizabeth Whittaker, eine Ärztin für pädiatrische Infektionskrankheiten am Imperial College London, lösten diese ersten Fälle bereits Alarm aus. Die Jugendlichen hatten Fieber, Hautausschläge und litten unter gastrointestinalen Beschwerden. In einigen Fällen litten die Kinder auch unter Herzproblemen. Die Patienten wurden auf Covid-19 getestet – in den meisten Fällen zeigten Nasenabstriche jedoch keine Viren. „Ich verstand das nicht – sie sahen aus, als hätten sie Corona", erinnert sich Whittaker. Die Ärztin vermutete dennoch eine Verbindungzum Virus.
Innerhalb weniger Tage ergab eine Umfrage 19 weitere Fälle in ganz England. Am 27. April erfolgte dann die landesweite Warnung, die die Ärzte aufforderte, nach solchen Symptomen bei Kindern zu achten. Kurze Zeit später tauchten zunächst auch in New York Dutzende weitere Fälle auf, weitere Berichte aus anderen Ländern folgten. Ein möglicher Zusammenhang zum Corona-Virus verdichtete sich. Berichte über intensivmedizinisch versorgte Kinder und Todesfälle beunruhigten Ärzte und vor allem die Eltern.
Ende April wurde im „Health Service Journal“ eine Warnung herausgegeben, in der es heißt: „Es wächst die Sorge, dass bei Kindern in Großbritannien ein Covid-19-bedingtes entzündliches Syndrom auftritt, oder dass mit diesen Fällen ein weiterer, noch nicht identifizierter infektiöser Erreger verbunden sein könnte.“ Diese Warnung wurde auch von der Pediatric Intensive Care Society an alle Fachärzte gesendet, die auf pädiatrischen Intensivstationen in britischen Krankenhäusern arbeiten. Die erkrankten Kinder zeigen eine Symptomatik wie beim Kawasaki-Syndrom.
Parallelen zum Kawasaki-Syndrom
Knapp einen Monat später melden Krankenhäuser auf der ganzen Welt weitere Einzelfälle von Kindern mit einer überschießenden Immunreaktion, zum Teil als Folge einer Sars-CoV-2-Infektion. Der Auslöser des Kawasaki-Syndroms ist noch unbekannt. Die Krankheit führt zu einer Entzündung der Gefäße im gesamten Körper. Erkrankte Kinder leiden unter Fieber und einem generalisierten Ausschlag. Aktuell liegen noch keine absoluten Fallzahlen vor – laut pädiatrischen Quellen werden diese als gering eingeschätzt. Dennoch stellt sich den Medizinern immer wieder die Frage nach dem Auslöser. Wenn dieser gefunden werden würde, so könnte man neue Erkenntnisse über das Virus erlangen, so die Ärzte.
Diese Fälle seien eine weitere Überraschung in Zusammenhang mit dem Virus, die der Mensch erst einmal lernen muss zu verstehen, so die Ärztin. Durch Blutuntersuchungen und Genomsequenzierungen versuchen Mediziner und Wissenschaftler aktuell herauszufinden, weshalb manche Kinder anfälliger für diese Entzündungsreaktion zu sein scheinen als andere. Für die Forscher besteht die Hoffnung, dass das, was von den jungen Patienten gelernt werden kann, den zahlreichen Erwachsenen mit Multiorganversagen helfen kann. Die Mediziner hoffen, dass wenn sie den Auslöser für das Kawasaki-Syndrom ausgemacht haben, sie auch die schweren Überreaktion des Immunsystems bei Erwachsenen verstehen und adäquat behandeln können.
Steigt jetzt die Ansteckungsgefahr?
Wie stark die Ansteckungsgefahr steigt, wenn Kinder wieder in die Kitas zurückkehren ist noch unklar. Virologen sind größtenteils der Meinung, dass die Ansteckungsgefahr innerhalb der Familie am größten ist, denn hier sind Eltern und Kinder über einen längeren Zeitraum in engerem Kontakt. Nähe und Dauer seien Hauptkriterien bei der Ansteckungsgefahr. Ob die Infektionsgefahr von Eltern mit Kindern in Betreuung steigt, sei laut Experten unterschiedlich zu bewerten. Das Alter der Kinder spiele eine große Rolle: Kleinere Kinder kommen beim Spielen den anderen Kindern näher als Ältere. Kleinere Kinder sind weniger dazu in der Lage, die Sicherheits- und Hygieneregeln zu befolgen. Auch der Ort der Kinderbetreuung spielt eine Rolle: In geschlossenen Räumen ist die Ansteckungsgefahr größer als im Freien.
Kinder genauso infektiös wie Erwachsene
Die Wissenschaftler der Abteilung für Virologie der Berliner Charité wollten wissen, wie infektiös Kinder sind, die an Covid-19 erkrankt waren. Noch immer ist nicht geklärt, ob eine Person, die nur leichte Symptome hat, auch weniger ansteckend für andere ist. Da Kinder häufig symptomlos erkranken, ging man zunächst davon aus, dass sie kaum bis gar nicht ansteckend sind.
Einige Wissenschaftler und Mediziner vermuteten, dass die Kinder, die Husten und andere Symptome zeigen, auch mehr Virus im Rachen hatten, als die Kinder ohne Symptome. Diese Annahme konnte nun widerlegt werden: „Es ist gerade andersherum, also die kranken Kinder, die haben eher weniger Viruskonzentration als die Gesunden“, erklärt Professor Dr. Christian Drosten. Seine Erklärung: Das Virus wandert mit der Zeit in die unteren Atemwege. „Wer Symptome hat und irgendwann getestet wird, ist tendenziell schon einige Tage in der Krankheit drin, sodass die Viruskonzentration da schon wieder auf dem absteigenden Ast ist.“
Studien aus Shanghai und Wuhan untersuchten überdies, ob Kinder genauso häufig erkranken wie Erwachsene. „Ein Erwachsener infiziert sich – da hat ein Kind nur ein Drittel des Risikos, sich an der gleichen Quelle zu infizieren. Und was auch dazu gesagt wird, jemand im Ruhestandsalter über 65 Jahren hat ein Risiko von 1,5, also ein anderthalbmal so hohes Risiko, sich zu infizieren", fasst Drosten kurz zusammen.