Mit heutigem Wissen analysiert

Karnevalssitzung Heinsberg: Wie kam es zum Hotspot? APOTHEKE ADHOC, 20.09.2021 14:09 Uhr

Brutstätte für das Coronavirus: Die Karnevalssitzung in Heinsberg gilt als eines der ersten Super-Spreader-Ereignisse für Sars-CoV-2 in Deutschland. Foto: feel plus/shutterstock.com
Berlin - 

Mit der Karnevalssitzung im Februar 2020 in Heinsberg nahm die Corona-Pandemie auch in Deutschland ihren Lauf. Die Veranstaltung gilt hierzulande als erstes Super-Spreader-Ereignis, aus dem zahlreiche Ansteckungen hervorgingen. Mit heutigem Wissensstand wurde die Feier nun erneut unter die Lupe genommen und analysiert.

Rund 450 Menschen hatten im vergangenen Jahr im nordrhein-westfälischen Heinsberg wie gewohnt ihre Karnevalssitzung gefeiert. An Sars-CoV-2 dachte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Doch mindestens eine Person muss bereits infiziert gewesen sein, denn in den Wochen nach der Feier stieg die Zahl der Infizierten im Kreis Heinsberg stark an. Ein Team um den Virologen Professor Dr. Hendrik Streeck von der Universität Bonn hat sich das Ereignis nun mit aktuellem Wissenstand erneut angeschaut.

Kein Abstand, keine Maske

Das Einhalten eines Mindestabstandes und das Tragen von medizinischen Masken zum Schutz war im Februar 2020 noch in weiter Ferne. Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass sogar regelmäßige Coronatests und eine Impfung gegen Covid-19 auf dem Plan stehen würden. Dementsprechend ausgelassen und bedenkenlos wurde damals in Heinsberg noch gefeiert.

Der Saal, in dem die Feier abgehalten wurde, ist rund 320 Quadratmeter groß. 43 Tische mit rund 450 Menschen fanden ihren Platz darin. Umgerechnet kommen damit auf einen Quadratmeter etwa 1,4 Personen. Die Besucher saßen somit eng gedrängt an den Tischen. Wie an Karneval üblich wurde viel Alkohol ausgeschenkt und ausgiebig geschunkelt.

An einer Stirnseite des Raumes befand sich die Bühne, an der anderen die Bar. Rund fünf Stunden dauerte die Veranstaltung. Sie wurde nur durch eine einzige Pause unterbrochen. Die Luftqualität im Raum war damit sehr schlecht. Zwar sollte eine Klimaanlage für „frische Luft“ sorgen, diese ersetzte allerdings nur 25 Prozent der Luft durch Außenluft. Die Filter der Anlage seien zudem technisch nicht in der Lage gewesen Viren abzuhalten. Da Karnevalssitzungen bekanntermaßen laut sind, blieben die Fenster aus Lärmschutzgründen geschlossen. Alles in allem eine ideale Brutstätte für ein neuartiges Virus wie Sars-CoV-2.

In den Tagen und Wochen danach zeigte sich im Kreis Heinsberg eine steigende Inzidenz. Die Karnevalssitzung wurde zu einem der ersten Hotspots in Deutschland. Für die Untersuchungen der Bonner Virolog:innen wurden alle Teilnehmer der Sitzung 51 Tage nach der Feier zu einer Untersuchung eingeladen, mehr als 91 Prozent nahmen teil – insgesamt waren es 404 Personen. Bei allen wurden Blutproben entnommen, 186 von ihnen hatten IgG-Antikörper. Rund die Hälfte der Menschen hat sich damit auf der Sitzung oder unmittelbar in den Tagen danach infiziert.

Den Virolog:innen zufolge habe das Geschlecht keinen Einfluss auf das Infektionsrisiko gehabt. Allerdings scheint Übergewicht eine Rolle gespielt zu haben: Der Body-Mass-Index (BMI) der Infizierten lag im Durchschnitt bei 26,2 kg/m2 gegenüber 24,3 kg/m2 bei den Nicht-Infizierten. Komorbiditäten – die nachweislich das Risiko eines schweren Verlaufs erhöhen – hatten hingegen in Heinsberg keinen Einfluss auf das Infektionsrisiko.

Schlechte Belüftung als Risikofaktor

Unter Berücksichtigung der räumlichen Analyse zeigte sich, dass sich die meisten Besucher:innen an den Tischen in der Nähe der Bar infizierten oder auf der Bühne selbst. Ein erhöhtes Risiko zeigte sich zudem an Stellen, wo die Luft in den Saal gepustet wurde. Personen, die in der Pause den Saal verlassen hatten, zeigten den Forscher:innen zufolge ein niedrigeres Risiko. Auch Raucher:innen seien – vermutlich durch die häufigeren Raucherpausen im Freien – seltener infiziert gewesen.

Insgesamt vermuten Streeck und sein Team, dass die schlechte Belüftung ein wesentlicher Grund für die vielen Ansteckungen war. So konnten sich viele Menschen auf engem Raum über einen längeren Zeitraum aufhalten und mit Sars-CoV-2 infizieren. An den Folgetagen wurden schließlich unbemerkt auch Familienangehörige und andere Kontaktpersonen angesteckt.