Die vierte Welle hat Deutschland im Griff. Mit erstmals mehr als 200 erreichte die 7-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen den höchsten Wert seit Beginn der Corona-Pandemie. Spitzenreiter sind die Landkreise Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie Rottal-Inn in Niederbayern. Die Folgen sind in den Apotheken deutlich zu spüren: Teilweise ist ein großer Teil des Teams in Quarantäne, die Maskenveräufe steigen und am HV-Tisch muss über die aktuellen politischen Regelungen informiert werden.
Mit einer Inzidenz von 833 und 1015 neuen Fällen liegt der Landkreis Rottal-Inn im Bundesvergleich des Robert Koch-Instituts (RKI) wieder einmal ganz oben. Die Krankenhausampel steht seit gestern auf „rot“, vielerorts gilt 2G und die FFP2-Maskenpflicht wurde wieder eingeführt. „Wir haben erheblich mehr Masken verkauft“, sagt Norbert Veicht. Der Inhaber der Antonius-Apotheke im niederbayerischen Massing gab in einer Woche das Doppelte an FFP2-Masken ab, was er zuvor pro Monat verkaufte.
Der Apotheker erklärt, dass aktuell viele Kund:innen mit Erkältungssymptomen wie Husten ratlos seien, wo sie sich testen lassen sollten. „Die Teststellen mit PCR-Tests weisen sie ab und schicken zum Arzt. Aber in den Praxen ist die Ansteckungsgefahr doch viel höher. Das ist der blanke Wahnsinn. Da werden die Zahlen weiter steigen und die Arztpraxen und Notaufnahmen in den Kollaps getrieben“, kritisiert er. Zudem hätten die Testzentren ihre Öffnungszeiten zuletzt reduziert und noch nicht auf die wieder steigenden Fallzahlen angepasst. Das PCR-Testzentrum des Landkreises etwa nimmt nur Kontaktpersonen an und Menschen, die ihre Quarantäne beenden wollen.
In seiner Apotheke bietet er keine PCR-Tests an. Zum einen müsste er dafür einen hohen Preis verlangen, zudem sei ihm die Logistik dahinter nicht sicher genug. „Ich weiß nicht, ob die Labore das Ergebnis wirklich innerhalb von 24 Stunden zurückschicken. Wenn da etwas schief läuft, ist der Kunde sauer.“ Ein eigenes Gerät anzuschaffen, lohne sich nicht.
Antigen-Schnelltests führe er weiterhin durch. Die hohen Inzidenzzahlen spiegeln sich in seinen Ergebnissen allerdings nicht wider. „Wir hatten im November einen positiven Test.“ Allerdings sei die Nachfrage seit dem Aus der kostenlosen Bürgertests stark rückläufig. Insgesamt ist die Stimmung im Landkreis angespannt. „Überall sind Leute in Isolation oder Quarantäne. Ich habe das Gefühl, dass das Bewusstsein schon geschärft ist“, sagt Veicht.
Bei ihm im Team sei aktuell eine Kollegin zu Hause in Quarantäne, da ihr Kind positiv getestet worden sei. Der Inhaber bedauert, dass nicht alle seiner Angestellten geimpft seien. Das Thema werde nicht mehr angesprochen. „Es lohnt sich nicht, diese Diskussion wieder loszutreten“, sagt er.
Allerdings ist Corona wieder Thema in der Apotheke – insbesondere die neuen politischen Regeln. „Die Leute fragen, wie es momentan mit dem Testen ausschaut“, sagt der Apotheker. Die Rückkehr zu den kostenlosen Bürgertests sei „dringend notwendig“. Die Selbsttests aus Supermärkten und Drogerien seien „teilweise der letzte Schund“, kritisiert er.
Der Landkreis im Südosten Bayerns liegt immer wieder an der Spitzen der Coronazahlen. Warum das so ist, weiß man im Landratsamt selbst nicht. „Wir können kein besonderes Ausbruchsgeschehen festmachen“, sagt ein Sprecher. Die hohen Zahlen treibe die Mitarbeiter der Kontaktermittlung momentan an ihre Grenzen. Die Unterstützung der Bundeswehr werde angefordert.
„Die schlechte Impfquote ist sicherlich ausschlaggebend“, sagt er. Aktuell sind dort 52,9 Prozent vollständig geimpft, bundesweit sind es 67,1 Prozent. Seitens der Bürger käme Kritik etwa an Hausarztpraxen, die keine Covid-19-Impfung anböten.
Das Engagement der Apotheken im Landkreis lobt der Sprecher. „Wir sind mit dem Angebot der Teststellen durch die Apotheken sehr zufrieden. Viele haben es toll und unkompliziert gelöst.“ Ohne die Apotheken wäre es beispielsweise nicht möglich gewesen, gerade für kleinere Gemeinden ein Testangebot bereitzustellen. Denn private Firmen, die Testzentren aufgebaut hätten, seien nur in großen Städten und großen Marktgemeinden aktiv.
Noch schlimmer als Bayern hat es derzeit Sachsen getroffen: Der Freistaat hat laut RKI am Montag eine Sieben-Tage-Inzidenz von 491,3 – die höchste in ganz Deutschland. Auch die Region mit der höchsten Inzidenz liegt in Sachsen: Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sind die Fallzahlen in den zurückliegenden Tagen geradezu explodiert und führten am Montag zu einer Inzidenz von 924,3 – nicht nur bundesweit die höchste, sondern auch die einzige über 900. Die sächsische Landesregierung hat bereits reagiert und die Regeln verschärft: Seit Montag gilt im gesamten Bundesland die 2G-Regel: Zu den meisten Angeboten von Innengastronomie über Kultur- und Freizeiteinrichtungen bis zu Sportstätten haben nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt.
Die Grundversorgung bleibt davon unberührt – also auch die Apotheken. Wie ergeht es ihnen im Corona-Hotspot? Die Schilderungen gehen auseinander. In der Gemeinde Kreischa, südlich von Dresden, hat eine Apotheke die Entwicklungen der vergangenen Wochen hautnah miterlebt. „Das kam so schleichend nacheinander“, sagt eine Mitarbeiterin. In den vergangenen zwei Wochen seien nacheinander mehrere Kolleg:innen wegen Corona ausgefallen. „Und am Wochenende kam dann nochmal ein großer Schwung.“
Heute hätten sich mehrere Mitarbeiter:innen gemeldet, dass sie einen PCR-Test machen müssen oder schon in Quarantäne seien. „Damit ist jetzt über ein Viertel des Personals ausgefallen“, so die Mitarbeiterin. Von ihren Kolleg:innen habe es sowohl geimpfte als auch ungeimpfte getroffen, nicht alle seien gegen Corona immunisiert.
Dass es immer mehr Menschen trifft, die bereits geimpft sind, merkt auch die Adler-Apotheke in Bad Schandau – viel mehr aber auch nicht. „Wir haben natürlich Bauchschmerzen, wenn wir die aktuelle Entwicklung sehen. Aber gefühlt hat sich noch nicht viel verändert, es kommen nicht mehr oder weniger Kunden und wir haben auch nicht mehr Botendienste auszufahren“, sagt eine Mitarbeiterin. „Was aber auffällig ist, ist, dass viele positiv Getestete geimpft sind. Und viele von ihnen haben sogar schon ihre Booster-Impfung erhalten.“
Allerdings falle im Vergleich zur zweiten und dritten Welle auch auf, dass sehr viele Corona-Infizierte gar keine oder nur leichte Symptome haben. Viele würden nur von ihrer Infektion erfahren, weil sie zur Sicherheit einen Selbsttest machen. Sie vermute deshalb, dass die Inzidenz in Wahrheit sogar noch höher sein könnte. „Wenn diejenigen, die geimpft sind, sich nicht testen lassen, wissen wir auch gar nicht, wie viele Infektionen es in Wirklichkeit gibt.“
Deutlicher spürbar ist die Situation in Altenberg, nahe der tschechischen Grenze. Hier zeichnen sich die Folgen in der dortigen Stadt-Apotheke bereits stärker ab: „Bei uns ist es wirklich so, dass wir es wesentlich krasser merken als im letzten Winter“, sagt eine Mitarbeiterin. „Es ist schon problematisch, weil wir all die Patienten in Quarantäne per Botendienst beliefern müssen.“ 75 Prozent mehr bis doppelt so viele Botendienste müsse die Apotheke in den vergangenen Tagen fahren.
Auch in der Umgebung sei die steigende Inzidenz deutlich spürbar. „Wir sind hier ein kleiner Ort mit 5000 bis 6000 Einwohnern. Man kennt also ganz viele, die sich infiziert haben. Es sind viele dabei, die doppelt geimpft sind oder sogar schon genesen und die nun wieder Corona haben.“
Allerdings gelte auch hier: Mit steigender Impfquote sinkt die Zahl der schweren Verläufe. „Ich wüsste jetzt hier niemanden, der wegen Corona ins Krankenhaus musste.“ Und tatsächlich sei die Impfquote in der Gegend hoch, erzählen alle drei Apotheken unisono. „Warum das hier so verschärft ist, weiß ich auch nicht“, sagt die Kollegin aus Bad Schandau. Allzu dramatisch sehe sie die Lage auch nicht mehr. „Man hat sich mittlerweile eingefahren, an dieses ständige Auf und Ab ist man schon gewöhnt.“
Das bestätigt auch die Stadt-Apotheke in Altenberg, die bisher glimpflich durch die vierte Welle kommt. „Im Winter war die Dramatik viel höher. Da hatte es auch unsere Hauptapotheke erwischt, vier oder fünf Kollegen waren da infiziert. Ich klopfe auf Holz, dass wir davon bisher verschont geblieben sind.“ Sie hat auch eine Idee, warum ausgerechnet ihre Region trotz der hohen Impfquote nun so hart getroffen ist. „Die Leute sind müde dessen, sich ständig an irgendwelche Regeln zu halten und denken sich: ‚Ach, es ist halt so.‘ Das wird es bestimmt nochmal vorantreiben“, erzählt sie. „Wir sind hier im Erzgebirge, das ist halt ein stures Bergvolk.“
Doch auch in den nicht Top-Inzidenz-Gebieten werden bereits Vorkehrungen getroffen: Apothekerin Inge Göttling, welche im Hochwasser ihre Apotheke verloren hat und aktuell mit ihrer Offizin in einem Container-Komplex „wohnt“, setzt beispielsweise trotz der Booster-Impfungen im Team auf zusätzliche Testungen mehrfach wöchentlich. In nordrhein-westfälischen Beckum will Apothekerin Eva Tingelhoff die Testzeiten der Apotheke wieder ausweiten – vor allem mit Blick auf die Wiedereinführung der kostenlosen Bürgertests. Wie auch in Göttlings Team sind bei Tingelhoff alle Mitarbeiter:innen geimpft – teilweise auch schon das dritte Mal.
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