Initiative fordert mehr Hilfe bei Corona-Langzeitfolgen Philipp Kutter, 19.01.2023 14:12 Uhr
In der Statistik gilt man einige Zeit nach einer Corona-Infektion als genesen. Die Lebensrealität mancher Menschen sieht allerdings anders aus. Eine Initiative will mit einer Aktion in Berlin Druck machen auf die Politik.
Sie wollen Betroffenen eine Stimme geben: Menschen mit Langzeitfolgen einer Corona-Infektion oder -Impfung haben am Donnerstag vor dem Bundestag in Berlin auf ihre Probleme aufmerksam gemacht und Lösungen gefordert. Auf der Wiese vor dem Reichstagsgebäude stellten sie etwa 400 Feldbetten auf. Diese sollen laut Initiatorin Ricarda Piepenhagen Betroffene symbolisieren, die selbst nicht mehr aufstehen und dabei sein können. „Im Moment sind wir mehr oder weniger verwaltet in Selbsthilfegruppen”, sagte Piepenhagen. Die Initiative fordert Forschung, Anerkennung und Versorgung für Erkrankungen wie Long Covid, ME/CFS und Post Vac.
Überreicht werden sollte auch eine an die Bundesregierung gerichtete Petition mit gut 60.000 Unterschriften. Die Zeichner fordern etwa den Ausbau von Forschung und Versorgungsstrukturen. Gebraucht würden Therapie- und Medikamentenstudien, sagte Piepenhagen. Als Lehrerin in Mecklenburg-Vorpommern ist sie nach eigenen Angaben seit November 2021 arbeitsunfähig wegen Long Covid. „Wir wollen medizinisch versorgt werden und nicht nur verwaltet.”
Long Covid, also länger andauernde Beschwerden nach einer Corona-Infektion, komme bei mindestens zehn Prozent der Covid-19-Infektionen vor, fasste ein Autorenteam kürzlich im Journal „Nature Reviews Microbiology” zusammen. Weltweit seien nach Schätzungen mindestens 65 Millionen Menschen betroffen, mit täglich weiter steigenden Fallzahlen. Die bisherigen Diagnose- und Behandlungsoptionen beschrieben die Autoren als unzureichend. Sie warnen, dass einem Teil der Betroffenen möglicherweise lebenslange Einschränkungen drohten, sollte nicht gehandelt werden.
Das Spektrum der Long-Covid-Symptome ist sehr vielfältig, auch die Schwere variiert. Dazu gehören zum Beispiel Müdigkeit und Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Muskelschwäche und Konzentrations- und Gedächtnisprobleme. Möglich sind laut dem Review auch auftretende Erkrankungen, zum Beispiel Typ-2-Diabetes und ME/CFS. ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Laut Charité-Expertin Carmen Scheibenbogen handelt es sich um eine komplexe und stark behindernde Erkrankung, «an der auch schon vor der Pandemie geschätzt 250 000 Menschen erkrankt waren, oft infolge einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus oder einem Influenzaerreger». Zu den Symptomen von ME/CFS zählen unter anderem Schwäche und Erschöpfung.
„Viele, gerade überwiegend jüngere Patientinnen und Patienten, sind so krank, dass sie nicht mehr arbeiten gehen können”, teilte die Initiative „Nicht Genesen” weiter mit. Die am schwersten Betroffenen seien dauerhaft bettlägerig und könnten sich nicht mehr selbst versorgen. Unter „Post-Vac-Syndrom” werden teils ähnliche Beschwerden wie bei Long Covid gefasst – davon berichten Patienten jedoch nach der Covid-19-Impfung. Dies komme „in seltenen Fällen” vor, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Internet. Dazu sei bisher noch wenig bekannt. Es gibt dafür auch noch keine spezifische medizinische Definition.