Kinderärzt:innen: Nicht auf Druck der Eltern impfen

Impfung ab 12 Jahren: Pro und Contra APOTHEKE ADHOC, 07.06.2021 11:59 Uhr

Kinderarzt:innen sprechen sich für eine Nutzen-Risiko-Abwägung bei der Impfung von 12- bis 16 Jährigen gegen Corona aus. Foto: Africa Studio/Shutterstock.com
Berlin - 

Biontech hat für Comirnaty die Zulassungserweiterung ab 12 Jahren erhalten. Damit können Kinderärzt:innen fortan besonders gefährdete Patient:innen innerhalb dieser Altersklasse impfen. Doch eine pauschalisierte Impfung für alle Kinder werde es eher nicht geben, erläutern Vertreter der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Zudem sei die Aufhebung der Priorisierung kein Impfversprechen.

Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren können mit Comirnaty (Biontech) geimpft werden. Doch eine generelle Impfung für alle soll es laut Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, nicht geben. Auch Professor Dr. Hugo Van Aken, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender Universitätsklinik Münster (UKM), und Professor Dr. Heymut Omran, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKM, verweisen darauf, dass es bei jedem Patient/jeder Patientin weiterhin eine Nutzen-Risiko-Abwägung geben wird.

Zudem sei die Aufhebung der Priorisierung leicht missverständlich – es handele sich nicht um ein Impfversprechen, jeder Arzt und jede Ärztin würden weiterhin ihre Patient:innen priorisieren. Solange der Impfstoff nicht uneingeschränkt verfügbar sei, müssten die Kolleg:innen weiterhin priorisieren. Zudem müsse bedacht werden, dass es durch die Zulassungserweiterung keinen zusätzlichen Impfstoff gibt – die Kinder, die jetzt immunisiert werden, werden mit Dosen aus dem allgemeinen Imfpstoffkontingent versorgt.

Es dürfe nicht dazu kommen, dass Ärzt:innen auf Druck der Eltern impfen. Vielmehr sollte sich im Dialog mit Eltern, Kindern und Ärzt:innen für oder gegen eine Immunisierung entschieden werden. Bislang haben sich rund 350.000 Kinder mit Corona infiziert. Darunter seien auch schwere Verläufe, berichten die Mediziner. Doch bei fast allen Betroffenen lagen Begleiterkrankungen vor; die meisten Kinder mit schweren Covid-Verläufen hätten sogar mehrere Vorerkrankungen gehabt. Erkrankungen, die das Risiko eines schweren Verlaufs erhöhen, sind bei Kindern ähnlich denen bei Erwachsenen: So gehört beispielsweise Trisomie-21 zu den Leiden, die das Risiko für einen schweren Verlauf aufgrund der Vorschädigung der Gefäße und anderen Faktoren erhöhen. „Diese Eltern warten auch bereits darauf, ihre Kinder impfen zu lassen. Hier kommen die Familien aktiv auf die Praxis zu“, berichtet Omran. Bei vielen anderen Grunderkrankungen sei noch nicht klar, ob es zu schweren Verläufen kommen könnte.

Ärzte impfen auch ohne Stiko-Empfehlung

Ein Abwägen der Vor- und Nachteile müsse bei jeder Impfung erfolgen. Am Ende müsste man auch nochmal festhalten, dass die Studie, auf der die Zulassungserweiterung beruht, mit 3000 Proband:innen eine eher geringe Größe aufweise. „Seltene unerwünschte Ereignisse lassen sich hier kaum entdecken.“ Doch die Mediziner stellen auch klar, dass es nicht zwangsläufig eine Stiko-Empfehlung braucht. Als Beispiel wird die Rota-Impfung genannt. Seit 2006 stehen hier geeignete Impfstoffe in Form einer Schluckimpfung zur Verfügung. Kinderärzt:innen empfahlen Eltern nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung bereits vor der Stiko-Empfehlung die Durchführung. Mittlerweile empfiehlt die Stiko die Impfung. „Für Kinderärzte ist diese Abwägung Normalität“, betont Omran.

Natürlich wollen die Ärzt:innen durch eine schnelle flächendeckende Impfung den Anstieg der durchgeführten Impfungen von 40 und 70 Prozent zügig erreichen. Doch solange der Impfstoff begrenzt ist, bedeutet es auch nach der Impfpriorisierung, dass nicht einfach „wild drauf losgeimpft wird“. Für eine Impfpflicht bei Kindern ist die Ärztekammer nicht. Dass beispielsweise der Präsenzunterricht nur dann wieder aufgenommen werden kann, wenn sich alle impfen lassen, sei „so locker ausgedrückt nicht korrekt“.

Die Stiko kündigte bereits vor der Zulassungserweiterung an, dass es keine überstürzte Empfehlung geben werde. „Wir wollen in jedem Fall die Daten zur Impfung von Kindern genau prüfen, bevor eine generelle Impfempfehlung für Kinder gegeben werden kann“, so Stiko Chef Professor Dr. Thomas Mertens. Argumente wie Urlaub könnten nicht die primären entscheidungsrelevanten Argumente der Stiko sein. Mitte Mai sprach sich Mertens für eine priorisierte Impfung von vorerkrankten Kindern aus. Nun ist ein Beschlussentwurf zu Corona-Kinderimpfungen an Länder und Fachgesellschaften verschickt worden – eine Impfempfehlung für gesunde Kinder ist nicht enthalten.