60 Minuten oder sechs Stunden

Impfstoffe: Wer haftet bei Kontamination?

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Berlin -

Die dezentrale Impfung nimmt Fahrt auf. Neben den Hausärzt:innen werden in den kommenden Wochen auch immer mehr Fachärzt:innen impfen. Die Aufbereitung des Impfstoffes aus dem Mehrdosenbehältnis erfolgt in der Arztpraxis unter normalen Umgebungsbedingungen – von Werkbänken keine Spur. Für die physikalisch-chemische Stabilität spielt das keine Rolle. Anders sieht es bei der mikrobiologischen Stabilität aus – hier sollte laut Fachinformation eine sofortige Verwendung erfolgen. Aber welche Ärzt:innen impfen im normalen Praxisalltag bis zu zehn Patient:innen innerhalb einer Stunde? Und wer haftet im Schadensfall?

Wie lange ist ein Corona-Impfstoff nach der Auseinzelung haltbar? Diese Fragen haben sich im vergangenen Jahr zunächst die Mitarbeiter:innen der Impfzentren gestellt, nun liegt die Frage auf den Schreibtischen der Ärzte. Doch eine genaue Antwort findet sich nicht – zumindest nicht in den Fachinformationen. Zwar sind die Impfstoffe chemisch-physikalisch über sechs Stunden stabil, das gilt aber nicht für die mikrobielle Reinheit. Wie lange das Vakzin mikrobiell stabil ist, dazu geben die jeweiligen Fachinformationen keine genaue Antwort.

„Aus mikrobiologischer Sicht sollte das Produkt sofort verwendet werden. Bei nicht sofortiger Verwendung liegen die Aufbewahrungszeiten und -bedingungen für den Gebrauch in der Verantwortung des Benutzers.“ (Comirnaty Fachinformation)

Klarere Worte findet das hessische Innenministerium (HMDIS). Die zuständige Task Force „Impfkoordination“ beruft sich in einem ersten Schritt auf die Fachinformationen und – da hier keine genauen Angaben zur mikrobiologischen Stabilität nach Auseinzelung gegeben werden – im Weiteren auf die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (Krinko) als Teil des Robert Koch-Institutes (RKI). So heißt es: „Zum Schutz der Patienten ist aus mikrobiologischen Aspekten, die Haltbarkeit nach Anbruch in Anlehnung an die Krinko-Empfehlungen auf eine Stunde zu begrenzen, sofern die Impfstoffe nicht steril, sondern unter Anwendung aseptischer Arbeitstechniken zubereitet werden. Bei steriler Herstellung können die Angaben zur chemischen und physikalischen Stabilität der pharmazeutischen Unternehmer zur Festlegung der Haltbarkeit herangezogen werden.“

Die Krinko antwortet auf Anfrage, dass die sachgerechte Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels zunächst aus der Fachinformation hervorgeht. „Der Hersteller verweist in der Fachinformation auf die chemisch-physikalische Stabilität des Impfstoffes nach der Rekonstitution für sechs Stunden, hinsichtlich der hygienisch-mikrobiologischen Sicherheit verweist er auf die Verantwortung des Benutzers, denn der Hersteller kann de facto ohne Kenntnis der Umstände der Rekonstitution […] keine pauschale Aussage zur Haltbarkeit des rekonstituierten und gegebenenfalls auch in Spritzen aufgezogenem Impfstoffs machen.“ Der Hersteller kann eben nicht nachvollziehen, unter welchen Bedingungen die Auseinzelung durchgeführt wurde.

Die Krinko hat 2011 Empfehlungen zur Verabreichung von Parenteralia veröffentlicht. Unter dem Punkt „Anforderungen an die Hygiene bei Punktionen und Injektionen“ werden verallgemeinerte Aussagen zum Vorgehen getroffen. Beim Übertrag auf die Diskussion um die Auseinzelung der Corona-Impfstoffe in den Arztpraxen schreibt die Krinko: „Bei der Anpassung an den konkreten Fall sind immer auch die spezifischen Begebenheiten vor Ort zu berücksichtigen. Dazu wird in der genannten Empfehlung aufgeführt: „Die Zubereitung von Medikamenten zur Injektion soll unmittelbar vor der geplanten Applikation erfolgen. Erforderliche Ausnahmen müssen mit dem Krankenhaushygieniker (ggf. dem niedergelassenen Arzt) und dem zuständigen Apotheker besprochen und in einer Standardarbeitsanweisung festgelegt werden.“

Die Kommission weist darauf hin, dass der in Deutschland allgemein anerkannte Zeitrahmen für die Verabreichung von rekonstituierten parenteralen Arzneimitteln von einer Stunde nicht von der Krinko definiert wurde, sondern aus der Auslegung des Arzneimittelrechts und von der Rechtsprechung durch Gerichte stammt. „Sollten Unstimmigkeiten in Bezug auf die Angaben in der Fachinformation auftreten sollte dies an das PEI beziehungsweise BfArM kommuniziert werden“, informiert die Kommission weiter.

Aus juristischer Sicht sollten die aufgezogenen Spritzen direkt verwendet werden. Genaue Zeitangaben zur mikrobiellen Haltbarkeit bei Arbeiten außerhalb des Reinraumes können nicht gegeben werden. In Bezug auf den Impfstoff Comirnaty teilt die medizinische Abteilung von Biontech mit, dass das Vakzin aus mikrobiologischer Sicht unmittelbar verimpft werden sollte. Falls der Impfstoff nicht sofort appliziert werden kann, lägen die Aufbewahrungszeiträume während des Gebrauchs in der Verantwortung des Anwenders – also beim Arzt. Ob eine Einbeziehung der Apotheken mit Reinräumen zur Gewährleistung einer längeren Haltbarkeit sinnvoll und juristisch machbar wäre, ist aktuell nicht geklärt.

 

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