Alkohol für Desinfektionsmittel

Hilfe in der Not: Schnapsbrenner beliefern Apotheken APOTHEKE ADHOC, 24.03.2020 15:28 Uhr

Alkohol für die Gesundheit: Viele Spirituosenhersteller beliefern mittlerweile Apotheken mit Ethanol zur Herstellung von Desinfektionsmitteln. Foto: shutterstock.com/ Vicky Gosselin
Berlin - 

Brauereien und Spirituosenhersteller stehen eigentlich nicht im Ruf, einer gesundheitsfördernden Branche anzugehören. Doch wie so viele Gewissheiten hat die aktuelle Corona-Krise auch diese über Bord geworfen: Das Who-is-Who der deutschen Alkoholika-Industrie engagiert sich derzeit in der Bekämpfung der Engpässe bei Desinfektionsmitteln. Hunderte Apotheken werden bereits direkt aus Brennereien beliefert.

Vielleicht überlegen sich manche bald zweimal, ob sie schlechte Witze über alkoholfreies Bier machen – im Moment ist es nämlich äußerst nützlich für viele Apotheken und Kliniken: Die Großbrauerei Beck’s in Bremen nutzt den überschüssigen Alkohol aus der Entalkoholisierung, um selbst Desinfektionsmittel herzustellen und diese nun zu verkaufen. Andere Hersteller von alkoholischen Getränken stellen zwar nicht selbst her, greifen Apotheken und Kliniken in Deutschland derzeit aber entgeltlich und unentgeltlich kräftig unter die Arme.

Jägermeister zum Beispiel: Der Hersteller des weltberühmten Kräuterschnapses mit der dunklen Vergangenheit hat der Krankenhausapotheke des Klinikums Braunschweig 50.000 Liter Ethanol zu Herstellung von Desinfektionsmitteln geschenkt. „Wir haben verstanden, dass es an der Stelle offensichtlich einen hohen Bedarf gibt“, erklärt der Mehrheitseigentümer Florian Rehm. Weitere 50.000 Liter kommen vom Chemieunternehmen KWST. Die Apotheke kann nun kräftig herstellen: „Die Produktion ist eine Premiere und der aktuellen Notlage geschuldet. Mit der eigenen Produktion stellen wir sicher, dass das Klinikum Braunschweig erst einmal mit Desinfektionsmittel versorgt ist“, sagt Klinikchef Andreas Goepfert.

Aber auch Vor-Ort-Apotheken besorgen sich ihren Ethanol zunehmend direkt von den Brennereien. „Wir beziehen nun reines Ethanol auch von der Spezialitäten-Destillerie Abtshof“, zitiert die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) Jens-Andreas Münch, Inhaber der Nordpark-Apotheke und Präsident der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt. Abtshof ist vor allem für seinen Absinth und seine Kräuterliköre bekannt. Der Einkauf in der Brennerei ging dabei von Münch aus, er hatte bei Abtshof angefragt. „Wir bekommen keine großen Mengen, doch es reicht, um Engpässe in Apotheken im Raum Magdeburg zu überbrücken“, so Münch. Die Brennereien seien von den Anfragen überrascht worden. „Die Hersteller haben zwar die Kapazitäten ausgeweitet, doch die Logistik kommt mit der Versorgung noch nicht nach.“

Fast ein zweites Standbein hat sich offenbar Nordbrand aus dem thüringischen Nordhausen aufgebaut. Das Traditionsunternehmen, das vor allem für seinen Nordhäuser Doppelkorn, Chantré und Mariacron bekannt ist, liefert mittlerweile regelmäßig aus. „Wir versorgen aktuell 200 Apotheken“, sagt Firmensprecher Ulrich Ehmann. Nordbrand ist ein Tochterunternehmen von Rotkäppchen-Mumm in Sachsen-Anhalt, dem größten deutschen Sekthersteller, der sich ebenfalls am Verkauf von Ethanol für die Desinfektionsmittelherstellung beteiligt.

Aber nicht nur Alkoholkonzerne, sondern auch kleinere Brennereien sind zunehmend als Ethanol-Lieferanten gefragt. So hat die Whisky-Destille Glina in Werder an der Havel in den vergangenen Tagen mehrere Anfragen von Apotheken erhalten – und ist daraufhin in das Geschäft eingestiegen. „Bisher haben wir schon knapp 20 Apotheken beliefert“, sagt Geschätsführer Michael Schultz. Die meisten Apotheken würden den Alkohol aber abholen, weil sie die Ware schnell brauchen. Da es sich um hochwertigen Lebensmittelalkohol handelt, seien die Preise auch höher als in der Industrie. Er nehme zwischen 13 und 16 Euro pro Liter und müsse das auch, um wenigstens die Produktionskosten wieder reinzuholen. Die Brennerei habe sogar bereits fertige Ware geöffnet und erneut destilliert, um aus 60-prozentigem Whisky 70- bis 80-prozentigen Alkohol zu gewinnen.

Wieder andere kleine Spirituosenhersteller wenden sich von selbst aktiv an Apotheken. In Hagen beispielsweise hat sich die Eversbusch-Brennerei an die Rathaus-Apotheke gewandt, um ihr ein Angebot zu machen, das sie nicht ablehnen konnte: 60 Liter Ethanol umsonst. Als die Brennerei erfuhr, dass die Rathaus-Apotheke die damit hergestellten Desinfektionsmittel ihrerseits an ein Pflegeheim verschenken will, hat sie die Menge direkt auf 80 Liter aufgestockt. Und die Rathaus-Apotheke musste das Ethanol nicht mal abholen: Geschäftsführer Peter Eversbusch brachte den Alkohol persönlich vorbei.