Jahrzehntelang ist Europa zusammengewachsen – und wird jetzt durch die Coronakrise wieder auseinandergerissen. Die Grenzen sind dicht, der Personenverkehr ist stark eingeschränkt. Wer in Grenznähe wohnt und arbeitet, spürt das am eigenen Leib. Apotheker Tomasz Lewandowski lebt in Polen und arbeitet in Deutschland – bisher zumindest. Aufgrund der Präventionsmaßnahmen der polnischen Regierung kann er nicht mehr einfach so nach der Arbeit nach Hause. Zwei Wochen lang ist er von seiner Familie getrennt, um in der Apotheke arbeiten zu können.
Viele sehen die derzeitige Sars-CoV-2-Pandemie als die Stunde der Nationalstaaten – und das ist meist nicht positiv gemeint. Die europäischen Staaten haben vor allem zu Beginn der Krise oft unkoordiniert und selbstbezogen gehandelt: Grenzen wurden unabgestimmt geschlossen, der Reiseverkehr eingeschränkt, Schutzausrüstung zumeist im eigenen Land gehortet. Viele Errungenschaften der europäischen Integration liegen im Moment auf Eis. Und das ist keine theoretische Feststellung. In den Grenzgebieten war es bisher vollkommen normal, in einem Land zu wohnen und in im anderen zu arbeiten.
Auch in Sachsen: Von Bad Muskau bis nach Żary sind es knapp 60 Kilometer – eine Stunde Autofahrt, die Apotheker Tomasz Lewandowski täglich pendelt, um in der Markt-Apotheke von Rüdiger Halbauer zu arbeiten. Ein Problem war das nie, bis die Pandemie kam. Am 15. März, einer Nacht von Sonntag auf Montag, hat Polen die Grenzen geschlossen. „Polen hat zur Eindämmung drastische Einschränkungen des Personenverkehrs eingeführt. Flug-, Bahn- und Schiffsverbindungen für den Personenverkehr nach Polen werden unterbrochen“, meldete die deutsche Botschaft in Warschau. „Zusätzlich wurden zunächst befristet bis zum 13. April wieder Grenzkontrollen eingeführt und zahlreiche Übergänge von Deutschland nach Polen ganz geschlossen.“
Für Lewandowski wäre das eigentlich nicht das allergrößte Problem: Als polnischer Staatsbürger darf er trotzdem ein- und auch wieder ausreisen. Und es ging auch. Sein Chef stellte ihm ein Schreiben aus, dass seine Tätigkeit in der hiesigen Apotheke bestätigt – das wurde aber beim Grenzübertritt nicht einmal kontrolliert. Das große Problem kam jedoch mit einer anderen Maßnahme: Am darauffolgenden Wochenende – Lewandowski war zuhause – hörte er in den Nachrichten von einer Verschärfung der Pandemie-Maßnahmen. Denn die polnische Regierung hatte entschieden: Wer aus dem Ausland nach Polen einreist, wird pauschal 14 Tage isoliert. „Wir haben direkt in der Apotheke angerufen und gefragt, was wir nun machen können“, erzählt er.
Doch es führte kein Weg daran vorbei. „Wenn ich jetzt nach Hause fahre, muss ich 14 Tage in Quarantäne“, erklärt Lewandowski. Sieht er seine Familie, fällt er mindestens zwei Wochen auf Arbeit aus. Für die Markt-Apotheke mit ihren acht Mitarbeitern wäre das ein schwerer Schlag. Eine Lösung musste also her. Und die beiden Apotheker hatten Glück im Unglück: „Ich habe selbst eine Ferienwohnung im Haus, die ich vermiete. Ich brauche die auch für meine Vertreter, deshalb ist da alles vorbereitet“, erklärt Halbauer. Also quartierte er seinen Angestellten über der Apotheke ein. „Es ist gut, dass mir meine Kollegen hier so helfen können, die Apotheke muss ja irgendwie funktionieren“, sagt Lewandwoski.
Das heißt jedoch noch lange nicht, dass es eine leichte Entscheidung gewesen wäre. „Meine Frau war einverstanden, aber für meinen Sohn ist es sehr schwer. Er fragt immer nach mir und will mit mir spielen“, erzählt er. „Auch für mich persönlich ist es schwer. Wir haben uns vorher noch nie so lange voneinander getrennt. Wenn ich hunderte Kilometer nach Westdeutschland fahre, dann ist das etwas anderes. Aber jetzt ist meine Familie ist so nah und doch so weit weg.“
Halbauer weiß das Engagement seines Approbierten zu schätzen. „Es gibt auch Leute, die holen sich einen Krankenschein, drehen sich auf der Stelle um und gehen“, sagt er. „Dank der Einsatzbereitschaft meiner Mitarbeiter sind wir aber sehr gut durch die letzten Wochen gekommen.“ Einer Dauerlösung kann es dennoch nicht sein. Lewandowski hat entschieden, über Ostern zu seiner Familie zu fahren. Am Donnerstag reist er ab – und bleibt dann zwei Wochen weg? „Das weiß ich noch nicht, wir können ja noch nicht sagen, was in ein paar Tagen kommt. Das letzte Mal haben sie auch ganz kurzfristig entschieden.“ Hoffnung hat er also noch, dass er nach den Feiertagen eventuell doch zurückkehren kann. Und wenn nicht? „Dann kann er erstmal Überstunden abbauen“, sagt Halbauer. „Er hat ja jetzt zwei Wochen durchgearbeitet.“
APOTHEKE ADHOC Debatte