Die Corona-Krise ruft auch allerlei Glücksritter auf den Plan. Fast täglich werden Apotheken von ihnen vollkommen unbekannten Firmen mit Angeboten für Atemschutzmasken und andere Schutzausrüstung konfrontiert. Nicht immer lässt sich die Qualität nachvollziehen, ZDF Wiso berichtete unlängst darüber. Ein Unternehmen aus Niedersachsen trieb es so weit, dass die Behörde den Rückruf anordnete. Vor Gericht zeigte sich, wie diffus die rechtliche Situation ist.
In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Stade geht es um Großhandelsunternehmen für Geschenkartikel, Trendartikel und Scherzartikel. Seit April vertreibt die Firma Atemschutzmasken, die in China hergestellt wurden. Nach Angaben des Zwischenhändlers handelt es sich um FFP2-Masken; ein Prokurist hatte eine sogenannte Konformitätserklärung ausgestellt und damit die Einhaltung der europäischen Standards bestätigt.
Im Mai hakte ein Verbraucher bei der Behörde nach. Er hatte die Atemschutzmaske nach eigenen Angaben über eine Versandapotheke bezogen und zweifelte nun an der Sicherheit des Produkts. Er schickte Fotos des in Plastikfolie eingepackten Mundschutzes mit, der auf der Verpackung nur mit Name und Adresse des Zwischenhändlers gekennzeichnet war.
Die Behörde schrieb den Hersteller an und wies darauf hin, dass die Kennzeichnung nicht korrekt sei. Außerdem wurde nachgefragt, ob eine Baumusterprüfung durchgeführt worden sei. Das Unternehmen wies gleich erst einmal darauf hin, dass die Überwachungsbehörden sich laut Empfehlung der EU-Kommission in der Corona-Krise auf Produkte konzentrieren sollten, von denen eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit des Benutzers ausgehe – und bat darum, wegen der Sondersituation von behördlichen Maßnahmen abzusehen.
Die auf den Fotos abgebildeten Atemschutzmasken zeigten auch nicht das von ihr vertriebene Produkt – dies sei ausschließlich in 20er-Verpackungseinheiten in den Verkehr gebracht worden, die über die erforderliche Kennzeichnung – Herstellerangabe, CE-Zeichen und Gebrauchsanweisung – verfügt hätten. Die Atemschutzmasken seien nicht dazu bestimmt gewesen, umverpackt zu werden, sondern lediglich zur besseren Hygiene einzeln in Folie eingeschweißt gewesen. Die Umverpackung könne ihr nicht angelastet werden.
Nun aber kamen immer mehr Details ans Licht. Die Behörde monierte, dass das kein Konformitätsbewertungsverfahren durch eine notifizierte Stelle stattgefunden habe. Die vorgelegten Prüfberichte aus China seien unvollständig und reichten für eine CE-Kennzeichnung nicht aus. Auch die Angaben „FFP2“ und „EN 149“ seien nicht zulässig, da sie dem Verwender einen erhöhten Schutz suggerierten. Als einfache Mund-Nasen-Bedeckung dürfe das Produkt ebenfalls nicht in den Verkehr gebracht werden, weil diese wiederum keine „KN95“-Kennzeichnung aufweisen dürfte.
So ging es eine Weile hin und her und schaukelte sich hoch – bis die Behörde Mitte September schließlich aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht nur den weiteren Vertrieb untersagte, sondern auch die unverzügliche Rücknahme bereits ausgelieferter Ware anordnete.
Das Unternehmen wollte nun vor Gericht wenigstens den sofortigen Vollzug aussetzen. Eine konkrete Gefährdung sei nicht nachgewiesen, ein lediglich vermutetes Risiko für Gesundheit und Sicherheit wiege nicht schwerer als die Verletzung der wirtschaftlichen Interessen: Die Kosten der Rücknahme und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Schäden überstiegen den Wert der Atemschutzmasken um ein Vielfaches – der mit der Aktion verbundene Imageverlust und mögliche Schadenersatzforderungen seien existenzgefährdend. Ohnehin dürften die nicht waschbaren und nur begrenzt wiederverwendbaren Atemschutzmasken längst benutzt und entsorgt worden sein.
Das Gericht wies den Antrag zwar ab, schon weil das Unternehmen trotz Aufforderung keinerlei Daten zu seinem Geschäft mit den Masken geliefert hatte. Gleichzeitig räumt es aber ein, dass die Erfolgsaussichten des Widerspruchs angesichts der Komplexität der aufgeworfenen Rechtsfragen durchaus offen sind.
So sei nicht nur vollkommen unklar, ob die vorgelegten Prüfberichte nicht doch ausreichend seien und ob die formellen Mängel wie eine möglicherweise fehlerhafte Kennzeichnung den Rückruf rechtfertige. Geklärt werden müsse vor allem, ob ein Vertrieb nach Medizinischer-Bedarf-Versorgungssicherstellungsverordnung (MedBVSV) nicht doch noch infrage komme – dann müssten die Behörden nämlich selbst an der Konformitätsbescheinung mitwirken.
Unklar sei aber, ob der dafür erforderliche Mangel derzeit noch bestehe beziehungsweise wie und von wem ein solcher überhaupt festgestellt werde. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) komme dabei genauso wenig in Betracht wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, da beide die MedBVSV nicht erlassen hätten.
In dem Zusammenhang stelle sich auch die Frage, ob – wie im August geschehen – die Überwachungsbehörden der Länder überhaupt entscheiden dürfen, dass eine Bereitstellung nach MedBVSV „ausgesetzt“ wird und entsprechende Bescheinigungen nicht mehr ausstellen. Denn nach Verordnungstext „kontrollieren“ die Behörden die Verkehrsfähigkeit. „Die Befugnis zur Lenkung des Marktes, die hier offensichtlich stattfindet, ist dort nicht geregelt.“ Ebenso offen bleibe die Frage, ob Atemschutzmasken als einfache Mund-Nasen-Bedeckung bereitgestellt werden können oder ob die vorhandene Kennzeichnung dem entgegensteht.
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