Endotheliitis verursacht Multiorganversagen APOTHEKE ADHOC, 25.04.2020 08:39 Uhr
Nicht nur Lungenentzündungen und Sauerstoffmangel können bei schweren Covid-19-Verläufen zum Tode führen. Neuen Erkenntnissen zufolge kann es ebenfalls zu einer systemischen Gefäßentzündung kommen, die ein Multiorganversagen nach sich zieht. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Lancet“ veröffentlicht.
Wissenschaftler der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich haben herausgefunden, dass Sars-CoV-2 offenbar nicht nur die Lunge, sondern auch die Endothelien infiziert. Dabei handelt es sich um die innersten Zellen der Blutgefäße, welche diese auskleiden und wichtig für die Regulierung der Durchblutung sind. Bei zwei Verstorbenen und einem dritten Patienten, der einen Mesenterialinfarkt überlebte, suchten die Forscher nach einem möglichen Einfluss von Sars-CoV-2 auf die Blutgefäße.
Absterben von Endothelzellen bei Covid-19
Das neuartige Coronavirus greift verschiedene Organe an: So wurden bereits gravierende Herzmuskelschäden bei Covid-19-Patienten beobachtet, die möglicherweise durch eine Myokarditis ausgelöst wurden. Zuletzt wurden unter anderem die ACE2-Rezeptoren für schwere Verläufe verantwortlich gemacht. Diese wurden nun auch auf den Endothelien gefunden. Eine Pathologin der Klinik konnte eine Entzündung der Endothelien und ein dadurch bedingtes Absterben der Endothelzellen nachweisen. Auch in der Niere konnten die Viren im Endothel nachgewiesen werden.
Bei den drei Patienten konnten ähnliche Beobachtungen gemacht werden: Einer der Patienten, ein 71-jähriger Mann, war acht Tage nach Beginn der Covid-19-Infektion an einem Multiorganversagen gestorben. In den Blutgefäßen von Herz, Niere und Darm war es zur Endotheliitis gekommen. Eine 58-jährige Patientin erlitt einen Mesenterialinfarkt: Nach der chirurgischen Entfernung des abgestorbenen Darmabschnitts verstarb sie an einem Herzinfarkt. Auch bei ihr konnten an Herz, Niere und Darm ein Absterben von Endothelzellen durch eine Gefäßentzündung nachgewiesen werden. Beide Patienten hatten Vorerkrankungen. Ein dritter Patient wurde wegen Lungenversagen beatmet. Er litt zudem unter Bluthochdruck und erlitt während der Beatmung ebenfalls einen Mesenterialinfarkt. Der Patient überlebte zwar, im entfernten Darmabschnitt wurde jedoch ebenfalls eine ausgeprägte Endotheliitis festgestellt.
Erklärung für Multiorganversagen
Der Angriff des Endothels erklärt den Wissenschaftlern zufolge das entstehende Multiorganversagen bei Patienten mit Covid-19. Durch Vorerkrankungen ist das Gewebe meist schon geschädigt: Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronare Herzkrankheit bieten Sars-CoV-2 ideale Voraussetzungen für einen aggressiven und häufig sogar tödlichen Verlauf.
Für die Therapie solcher Covid-19-Patienten bedeutet dies, dass neben der Unterdrückung der Virusreplikation vor allem auch eine Stabilisierung des Endothels im Vordergrund stehen müsste. Dazu schlagen die Wissenschaftler den Einsatz von antientzündlichen Medikamenten, Lipidsenkern und ACE-Hemmern vor. Letztere sind jedoch in den vergangenen Wochen als Risikofaktor für schwere Covid-19-Verläufe in den Fokus geraten und werden deshalb kontrovers diskutiert.
ACE-Hemmer im Visier
Laut mehreren Berichten deuten Daten aus Zell- und Tierexperimenten darauf hin, dass ACE-Hemmer und Sartane eine Infektion mit Sars-CoV-2 potentiell fördern könnten. ACE-Hemmer gehören weltweit zu den häufig eingenommenen Herzmedikamenten (Ramipril, Enalapril, Lisinopril & Co.). Genau deshalb fordern Forscher eine Leitlinie zur Verwendung dieser Arzneimittel bei Patienten mit Covid-19. Die bisher erhobenen Daten beim Menschen reichen laut aktuell wissenschaftlichem Stand kaum aus, um eine valide Aussage zu treffen. Ein Team von Wissenschaftlern hat nun im New England Journal of Medicine diskutiert, ob die Auswirkungen von ACE-Hemmern auf die ACE2-Spiegel und ACE2-Aktivität bei Patienten mit Lungenverletzung sogar eher vorteilhaft als schädlich sein könnten. Die Forscher rücken ebenfalls die Folgerisiken nach Absetzen der Medikation in den Fokus.