Die Diskussion um die umstrittene Studie zur Covid-19-Ansteckungsgefahr bei Kindern geht in die nächste Runde: Nachdem sich die meisten Wissenschaftler bisher vorsichtig kritisch gegenüber der Studie von Professor Dr. Christian Drosten und dafür äußerst kritisch gegenüber den Methoden der Bild-Zeitung gezeigt haben, stärkt Virologe Professor Dr. Andreas Kekulé nun dem Boulevardblatt den Rücken: Es sei schwer nachvollziehbar, warum Drosten die Studie nicht zurückgezogen hat, schreibt er in einem Gastbeitrag für den Berliner Tagesspiegel. Doch diesmal schießt Drosten umgehend zurück.
Kekulés Botschaft ist ähnlich eindeutig wie die der Bildzeitung, dafür um einiges eleganter: „Warum Drosten die Studie nicht einfach zurückzieht, ist schwer nachvollziehbar“, schreibt er. „Der im Umgang mit den Medien versierte, erfahrene Forscher und Politikberater gibt stattdessen der Bild eine unnötige Angriffsfläche.“ Anders als die Zeitung legt Kekulé sich in der entscheidenden politischen Frage allerdings nicht fest. Es gebe auch weiterhin keine eindeutige wissenschaftliche Antwort auf die heftig umstrittene Frage, ob man Kitas und Grundschulen jetzt zügig öffnen sollte. „Das Beispiel der Charité-Vorveröffentlichung (wie zuvor auch der Heinsberg-Studie) zeigt, dass mit Schnellschüssen am Ende weder der Politik noch der Wissenschaft gedient ist“, so Kekulé.
Zuvor hatte er Drosten erhebliche Fehler in Bezug auf die Methodik und die Schlussfolgerungen seiner Studie angelastet. Denn der Chef der Charité-Virologie und seine Kollegen waren zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Viruskonzentration im Rachen von Kindern nicht signifikant von der Erwachsener unterscheidet – Kinder also als eine wesentliche Rolle als Virusüberträger spielen könnten. Diese Sicht sei auf Grundlage der Ergebnisse nicht haltbar. Denn zum Einen seien die mit Tupfern abgenommenen Probenmengen der Probanden nicht miteinander vergleichbar, zum Zweiten wurden die Proben zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Krankheitsverlauf abgenommen.
„Weil die Viruskonzentration bereits einige Tage nach Symptombeginn deutlich abnimmt, sind die Proben auch aus diesem Grund nicht vergleichbar“, so Kekulé. „Um die dadurch unvermeidlichen, erheblichen Schwankungen der Messwerte statistisch auszugleichen, müsste die Stichprobe sehr groß sein.“ Ausgerechnet bei der hier relevanten Gruppe der unter Elfjährigen gab es jedoch nur 49 Patienten.
Und dann kommt noch die Frage nach den statistischen Methoden auf, die bereits den Kern der Bild-Kritik bildete: Denn die Forscher hatten jeweils Paare zweier Altersgruppen miteinander verglichen, wozu sie die Patienten in zehn Altersgruppen zu zehn Jahren einteilten. Bei den resultierenden paarweisen Vergleichen habe sich kein statistisch signifikanter Unterschied der Viruslasten gezeigt. „Dass mit dieser statistischen Methode kein signifikanter Unterschied gefunden wurde, kann nicht als Beleg dafür gewertet werden, dass es keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen gibt“, so Kekulé. Er zitiert dazu einen Merksatz aus Biostatistik-Einführungen, wie er es nennt: „The absence of evidence is not an evidence of absence“. Wenn die Unsicherheiten der verwendeten Daten zu groß sind und ein ungeeignetes Verfahren für die statistische Auswertung eingesetzt wurde, wie es bei Drostens Studie der Fall sei, „fehlt dem behaupteten Ergebnis die wissenschaftliche Grundlage“, kritisiert Kekulé.
Diese Kritik – diesmal von fachlich qualifizierter Seite – wollte Drosten nicht auf sich sitzen lassen und feuerte zurück. Dabei wurde er durchaus persönlich: „Kekulé macht Stimmung. Seine Darstellung ist tendenziös. Er kennt unsere Daten nicht und zitiert falsch“, schreibt er auf Twitter und macht sich über den seiner Ansicht nach fehlenden akademischen Output seines Kollegen lustig. „Kekulé selbst könnte man nicht kritisieren, dazu müsste er erstmal etwas publizieren.“ Doch damit nicht genug. Er wirft ihm umgekehrt unsaubere Arbeitsweise vor, zumindest mit Blick auf seinen Artikel.
Der Statistik-Professor Leonhard Held – einer der Wissenschaftler, den die Bild als Kronzeugen für ihre Kritik anbrachte – sei zwar auch von Kekulé bemüht worden. Er sage aber selbst über seine statistische Nachanalyse der Studie, dass diese nicht konklusiv ist. „Kekulé ist das egal, er feuert trotzdem. Danke dafür. Wir werden ein Update unserer Daten und Statistik liefern“, so Drosten, der nur Minuten später erneut nachlegte. „Kekulé ist zum Glück bisher der Einzige, der sich so verhält. In unserer Community spielt er keine Rolle.“
APOTHEKE ADHOC Debatte