Drosten fordert den „Holzhammer“ dpa, 31.03.2021 08:05 Uhr
Die Infektionszahlen steigen rasch. Für den Virologen Drosten ist nun der Holzhammer nötig. Modellversuche in kleineren Städten mit Schnelltests und Biergartenbesuch könnten motivieren. Wichtig sei aber eine wissenschaftliche Begleitung.
Angesichts der steigenden Corona-Zahlen mahnt der Berliner Virologe Professor Dr. Christian Drosten schärfere Maßnahmen an. „Ich glaube, es wird nicht ohne einen neuen Lockdown gehen, um diese Dynamik, die sich jetzt ohne jeden Zweifel eingestellt hat, noch einmal zu verzögern“, sagte der Charité-Wissenschaftler am Dienstag im Podcast „Coronavirus-Update“ bei NDR-Info. Die Situation sei leider „sehr ernst und sehr kompliziert“. Deutschland habe viel verpasst an Gelegenheiten, die Werkzeuge zu optimieren. „Ich habe das Gefühl, dass wir eigentlich im Moment immer noch die gleichen Werkzeuge benutzen müssen, die wir schon in der ersten Welle benutzt haben.“ Es bleibe nur noch der Holzhammer, der Lockdown.
„Es ist klar, es müssen die Kontakte reduziert werden.“ Dazu zählten der Privatbereich, der Erziehungs- und Bildungsbereich sowie die Arbeitsstätten. „Da gibt es viele wissenschaftliche Beiträge, die jetzt auch auf Deutschland bezogen sind.“ Es sei falsch, wenn gesagt werde, man wisse ja noch gar nicht, wo das Virus übertragen wird.
Dritte Welle rollt früher als gedacht
Die Vorhersage der Modelle für die dritte Corona-Welle sei leider durch die Natur noch überschritten worden, sagte Drosten. Sie habe früher begonnen als die Modelle das vorausgesagt hätten. Noch in dieser Woche werde die Zahl der Nachweise der britischen Variante B.1.1.7 über 90 Prozent erreichen. „Das ist natürlich alles andere als beruhigend.“ Die Variante B.1.1.7 sei zudem eindeutig krankmachender und auch tödlicher als das Ursprungsvirus.
Die in Südafrika und in Brasilien entdecken Varianten lägen in Deutschland immer noch im Bereich von einem Prozent oder niedriger. „Die haben sich überhaupt nicht vermehrt.“ Beide können dem Immunsystem zum Teil entweichen. Ihr Anteil sei so niedrig, weil es in Deutschland keine Bevölkerungsimmunität gebe. „Diese Varianten kommen nur dann hoch, wenn wir in der Bevölkerung schon eine Immunität haben. Sonst profitieren die nicht von ihren Mutationen.“
In Indien verbreite sich gerade eine Variante, über die der Wissenschaft aber noch wenig bekannt sei, auch sie scheine den Antikörpern des Immunsystems zum Teil entgehen zu können. Drosten sieht jedoch keinen Grund zur Beunruhigung: Mit einem leichten „Impfstoff-Update“ könnten die Hersteller wahrscheinlich dieser und anderen Varianten auf der Welt mit wenig Aufwand etwas entgegensetzen. Die aktuellen Impfstoffe wirkten im Labor auch nicht so gut gegen die südafrikanische und die brasilianische Mutante.
Drosten nannte jedoch noch einen entscheidenden Sicherheitsfaktor: Die Antikörper, denen die Mutanten entrinnen können, schützen überhaupt gegen die Infektion, die T-Zellen des Immunsystems jedoch gegen einen schweren Verlauf. „Und dieser Schutz gegen den schweren Verlauf ist allemal gegeben durch die jetzigen Impfstoffe.“
„Es ist nicht zu erwarten, dass wir jetzt irgendwie einen vollkommenen Wirkungsverlust der Impfungen haben oder dass wir einen strategischen Fehler machen, wenn wir die jetzigen Impfstoffe verwenden“, sagte Drosten. „Das heißt dennoch nicht, dass die Impfstoffe nicht verbesserbar sind. Ich rechne damit, dass wir wahrscheinlich so ab Herbst schon die ersten zugelassenen Update-Impfstoffe haben.“
Modellprojekte gut planen und begleiten
Modellprojekte wie in Tübingen sollten eine gute wissenschaftliche Begleitung haben, sagte Drosten. Dort können Menschen kostenlose Tests machen und bei negativem Ergebnis zum Beispiel in Läden, Theater oder Biergärten gehen. Keines dieser Projekte habe bislang bewiesen, dass es funktioniere, betonte Drosten. Das Ziel, Menschen zu motivieren, sich testen lassen und etwa einkaufen zu gehen sei jedoch vorerst gut. Das sollte man punktuell durchaus malausprobieren. Wichtig sei, vorher Erfolgskriterien zu definieren wie etwa eine Zahl der Krankenhausaufnamen, der Todesfälle nach drei Wochen oder der Wirtschaftsleistung. „Also ich denke, man sollte sich eine ganze Zahl von solchen Erfolgskriterien hinlegen, bevor man diesen Modellversuch macht, um dann irgendwann in der Nachbewertung zu sagen: Das war erfolgreich.“ Wichtig seien auch Abbruchkriterien und eine Vergleichsstadt ohne Modellprojekt.