Doch keine Ansteckung über die Luft? Cynthia Möthrath, 16.07.2020 07:49 Uhr
In den vergangenen Wochen zeigten verschiedene Studien, dass das neuartige Coronavirus möglicherweise nicht nur über Tröpfchen, sondern auch über Aerosole mit der Luft übertragen werden könnte. US-Mediziner wollen diese Theorie nun widerlegt haben. Ihre Ergebnisse wurden im Fachjournal „JAMA“ vorgestellt.
Der Hauptübertragungsweg für das neue Coronavirus ist die Tröpfcheninfektion. Beim Sprechen, Husten oder Niesen können die Viruströpfchen bis zu acht Meter weit fliegen. Je nach Raumbelüftung, Temperatur oder Wetterverhältnissen verbleiben die Partikel lange Zeit in der Umgebungsluft. Mediziner der Harvard Medical School sehen darin jedoch keinen Beweis dafür, dass die entstehenden Aerosole, ebenso wie die ausgestoßenen Tröpfchen, zu Infektionen führen können.
Aerosolbasierte Übertragung unwahrscheinlich
Obwohl es experimentelle Daten zu der möglichen Übertragung über Aerosole gebe, ließen sich die Infektionsraten der Bevölkerung nur schwer mit diesem Ansteckungsweg über größere Distanzen vereinbaren. Die zu Beginn der Pandemie vorherrschende Reproduktionszahl von etwa 2,5 gleiche zudem eher der Reproduktionszahl einer Influenza, die ebenfalls nur über Tröpfchen übertragen wird. Bei Erkrankungen, die durch Aerosole übertragen werden, sei die Zahl jedoch viel höher, wie beispielsweise bei Masern mit einer Reproduktionszahl von 18. „Entweder ist die Menge an Sars-CoV-2, die für eine Infektion nötig ist, viel größer als bei Masern – oder Aerosole sind nicht der dominante Übertragungsweg“, schreiben die Autoren.
Weitere Aspekte würden zudem gegen eine aerosolbasierte Übertragung sprechen: So habe sich in Fallserien mit engen Kontakten von Infizierten gezeigt, dass sich nur etwa 5 Prozent der Kontaktpersonen ansteckten. Auch bei medizinischem Personal, dass unwissentlich Covid-Patienten behandelt hatte, steckten sich weniger als 3 Prozent an.
Menschen mit einer Sars-CoV-2-Infektion würden zwar möglicherweise konstant Tröpfchen und Aerosole produzieren, die meisten dieser Ausscheidungen würden aber niemanden infizieren. Dies würde die Theorie untermauern, dass vor allem ausgestoßene Sekrete das Virus übertragen. Diese befinden sich jedoch innerhalb eines relativ kleinen Radius. Virushaltige Aerosole, die über Stunden hinweg in der Luft schweben, sind demnach unwahrscheinlich als Ansteckungsquelle. Einzige Ausnahme könnte der längere Aufenthalt in einem geschlossenen oder schlecht belüfteten Raum mit einem Infizierten sein: Durch die mangelnde Luftzirkulation könnten sich hier vermutlich Aerosole anreichern und doch zu einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 führen.
Wind gegen Schwerkraft
Eine im Fachjournal „Physics of Fluids“ veröffentlichte Modellrechnung zeigte kürzlich, dass auch bereits leichter Wind die vom Virus zurückgelegte Entfernung deutlich vergrößern kann. Obwohl die Berechnungen rein theoretischer Natur sind und keine experimentellen Studien durchgeführt wurden, gelten die Berechnungen als wissenschaftlich valide. Durch das Öffnen des Mundes beim Husten wird eine virushaltige Sekretwolke in die Umgebungsluft ausgestoßen, welche nach einer Weile automatisch durch die Schwerkraft zu Boden sinkt. Bei den Berechnungen gehen die Forscher von einem 8,26 x 4 cm großen „Mundabdruck“ aus: Dieser katapultiert eine Wolke von 1008 kleinsten Viruströpfchen mit einer Masse von 7,7 mg in die Umgebungsluft.
Bei Windstille sinkt diese Wolke nach etwa fünf Sekunden unter die Gürtellinie, nach 15 Sekunden ist sie noch 52 cm vom Boden entfernt, nach 49 Sekunden erreichen auch die letzten Tropfen den Boden. Die maximale Reichweite beträgt den Wissenschaftlern zufolge etwa einen Meter – die geforderten zwei Meter Sicherheitsabstand wären somit ausreichend, um eine Infektion der Mitmenschen beim Husten zu verhindern.
Einen wesentlichen Einfluss spiele jedoch die Umgebungsluft, genauer gesagt der Wind. Denn im Freien könne die Wolke größere Distanzen zurücklegen – vor allem wenn der Wind ungünstig stehe. Bereits bei einer Windgeschwindigkeit von 4 km/h – welche nur als leichter Windzug wahrgenommen wird – sind die Tröpfchen nach fünf Sekunden bereits sechs Meter weit geflogen und befinden sich noch auf einer Höhe von 49 cm. Eine Höhe, die kleine Erwachsene und Kinder durchaus gefährden kann. Das obere Ende der Tröpfchenwolke habe sich durch die Verwirbelungen zudem kaum zu Boden gesenkt. Bei höheren Windgeschwindigkeiten wie einer leichten Brise mit etwa 15 km/h erreicht die Viruswolke bereits nach 1,6 Sekunden eine Distanz von sechs Metern. Das untere Ende der Wolke befindet sich den Berechnungen zufolge auf einer Höhe von 0,96 cm. Das obere Ende der Wolke kann sogar ansteigen und nicht wie bei Windstille durch die Schwerkraft zu Boden sinken.