Kommentar

Die Kassen und ihre Krämerseele Lothar Klein, 08.04.2020 12:25 Uhr

Sparen bis der Arzt kommt: Die Kassen schießen mit ihrer Stellungnahme zum Botendienst weit über das Ziel hinaus. Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die Corona-Krise die größte Herausforderung seit dem 2. Weltkrieg. Für andere hat der weltweite Kampf gegen das Virus ebenfalls historische Dimensionen. Die Bundesregierung reagiert darauf mit nie dagewesenen Maßnahmen. Eil-Gesetze und Eil-Verordnungen werden verabschiedet und erlassen. Die Regeln der Demokratie bis an ihre Grenzen strapaziert. Die Wirtschaft mit Geld geflutet. Und was machen die Krankenkassen? Sie ringen unter Berufung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot beim Botendienst um „Peanuts“ und pflegen ihr Feindbild Apotheke, kommentiert Lothar Klein.

Es ist kein Akt gönnerhafter Großzügigkeit, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in seiner Notverordnung den Botendienst der Apotheken mit fünf Euro honorieren will. Der Ausnahmezustand in den Apotheken in den letzten Wochen, die Strapazen für das Personal und der Ansturm der Patienten sind nur ein Zeichen dafür, dass die Apotheken von den Bürgern als erste Anlaufstelle für Hilfe und Informationen in diesen Corona-Zeiten sind.

Wer einmal versucht hat, über die verschiedenen Hotlines eine Information über die Möglichkeit eines Corona-Tests zu erlangen, weiß, wie dankbar viele Bürger sein müssen, überall im Land mit ihren Fragen in jede Apotheken gehen zu können. Apotheken stellen in diesen Zeiten ihre Funktion als niederschwellige Anlaufstelle, als barrierefreies Eingangstor eindrucksvoll unter Beweis.

Und die Bedeutung der Apotheken in der Corona-Krise wird aller Voraussicht nach noch zunehmen. Alle Verantwortlichen gehen davon aus, dass der Höhepunkt der Corona-Krise noch nicht erreicht ist, dass die Fallzahlen weiter steigen werden. Und nicht nur das: Gerade wenn die Bundesregierung nach Ostern daran gehen wird, die Kontaktsperren und den Shutdown der Wirtschaft zu lockern, sind die Apotheken in besonderer Weise gefragt. Denn Risikogruppen werden bis auf Weiteres von dem dann möglicherweise wieder anlaufenden öffentlichen und wirtschaftlichen Leben isoliert bleiben müssen. Das betrifft nicht nur Alten- und Pflegeheime. Viele Patienten mit Vorerkrankungen werden über Wochen und vielleicht sogar Monate zu Hause bleiben müssen. Jeder Schritt in die dann wieder belebtere Öffentlichkeit wäre ein zu großes Risiko.

Nicht ohne Grund erwartet die Abda deshalb, dass die Nachfrage nach dem Botendienst steigen wird – nicht aus Bequemlichkeit, sondern zur Beherrschung des Infektionsrisikos. Dass Spahn darauf reagiert und den Botendienst honorieren will, ist daher nur konsequent. Das hat mit Kundenbindungsstrategien der Apotheken längst nichts mehr zu tun. Ob fünf Euro der betriebswirtschaftlich richtig bemessene Wert ist, kann getrost offenbleiben.

Die Bundesregierung pumpt in nie dagewesenem Umfang Geld in die brachliegende Wirtschaft. Über 700 Milliarden Euro Hilfen stehen für vom Shutdown betroffene Betriebe, Selbständige und Freiberufler bereit. Und es können noch weitere Milliarden hinzukommen. In der EU planen die Finanzminister einen milliardenschweren Rettungsschirm. Geld spielt keine Rolle, um die Corona-Folgen abzufedern.

Nur die deutschen Krankenkassen tanzen aus der Reihe. Es ist richtig und sinnvoll, dass die Kassenmanager auch in diesen Zeiten auf das Wirtschaftlichkeitsgebot pochen. Aber es ist kleinlich und kurzsichtig, das bei den Apotheken auszuspielen. Wie soll in der Kürze der Zeit entschieden werden, ob einen Corona-begründeter Anlass für einen Botendienst vorliegt. Und wer könnte das so kurzfristig überhaupt prüfen? Soll etwa der Medizinische Dienst zuvor Kontrollen durchführen? Der Vorschlag der Kassen ist daher unpraktikabel, weltfremd und der Corona-Krise nicht angemessen.

Die Krankenkassen werden dieses Jahr nach bisherigen Schätzungen knapp 260 Milliarden Euro ausgeben. Man muss wohl davon ausgehen, dass die Corona-bedingten Kosten für Tests und andere Dinge diese Summen noch einmal kräftig in die Höhe treiben. Die Versicherten sollen und müssen versorgt werden: Koste es, was es wolle. Das Gesundheitswesen steht vor seinem Härtetest. Dazu gehört auch der Botendienst. Die Kassenmanager sollten nicht ausgerechnet hier ihre Krämerseeelen zur Schau stellen.