Fünf Dosen, sechs Dosen nach Neuzulassung, sieben Dosen mit speziellen Spritzen – die Diskussion um eventuell verworfenen Impfstoff ebbt nicht ab. NRW erlaubte die siebte Dosis, untersagte aber die Verwendung von Totvolumen-sparenden Spritzen. Die Spritzen, um die es geht, heißen Zero Residual und kommen aus Holland. Der Hersteller versichert, es gebe eine gute Erprobung. Nicht nur in Deutschland arbeite man mit Medizinern zusammen, um den Einsatz bei der pandemischen Impfung zu ermöglichen. In einem Video erläutert der Hersteller das Prinzip.
„Unsere Spritzen wurden sehr erfolgreich mit dem Pfizer-Biontech-Impfstoff eingesetzt“, berichtet das junge Unternehmen. SJJ Solution, so der Name des Start-Ups, hat spezielle Totvolumen-freie Injektionsspritzen im Portfolio. Ursprünglich für die intravitreale Injektion von monoklonalen Antikörpern entwickelt, sollen die Spritzen jetzt bei der pandemischen Impfung helfen. Durch die Volumeneinsparung sei die Entnahme der siebten Dosis bei einer Durchstechflasche Comirnaty problemlos möglich.
„In den Niederlanden haben wir ein großes Pilotprojekt durchgeführt, um zu beweisen, dass die Spritzen für diesen Zweck geeignet sind. Über 30 Krankenhäuser und Pflege- sowie Altenheime nahmen am Projekt teil“, so das Unternehmen. Von Skepsis keine Spur: „Jeder Anwender erhielt leicht sieben Spritzen à 0,3 ml. Nach Erhalt der sieben Impfdosen befindet sich sogar noch ein Überschuss in der Durchstechflasche, sodass der Benutzer rein theoretisch eine weitere halbe Dosis, also 0,15 ml erhält.“
Auch in Deutschland habe man die Zusammenarbeit mit Medizinern gesucht, berichtet das Start-Up: „In Deutschland haben wir eng mit Dr. Hans Christian Meyer zusammengearbeitet.“ Der zuständige Impfarzt des rheinisch-bergischen Kreises ist durch die Verwendung der speziellen Spritzen in der Lage, sieben vollständig befüllte Impfdosen zu entnehmen. Bereits vor einer Woche sprach der Mediziner im Interview mit „Bild“ von einer um 15 Prozent höheren Ausbeute durch Verwendung der „Wunderspritze“. „Nach erfolgreichen Tests durch den Arzt selbst ist zusammen mit dem rheinisch-bergischen Kreis ein großes Pilotprojekt geplant worden“, berichtet der Spritzenhersteller. Nun bleibt Meyer nach eigenen Aussagen auf seinen 25.000 georderten Spritzen sitzen, denn das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAGS) hat den Einsatz der Spritzen in den Impfzentren untersagt. „Zuerst erhielten sie dort die Genehmigung, doch nun möchte das Ministerium erst noch einmal einige Dinge überprüfen. Nach dem kurzen Start wurde die Verwendung letzten Freitag gestoppt.“
„Es bleibt dabei: Sofern aus einem Biontech-Vial sieben vollständige Einzeldosen (0,3 ml) entnommen werden können, bestehen keine Bedenken, damit eine weitere Person zu impfen“, so der einleitende Satz der Stellungnahme des MAGS zum Thema Zero-Residual-Spritzen. Weiter heißt es: „Gemäß Erlasslage beschafft das Land das für die Verimpfung erforderliche und geeignete Impfzubehör (Spritzen, Kanülen, 0,9-prozentige Kochsalzlösung). Die vom Land beschafften Spritzen sind nachweislich für die Verimpfung des Biontech Impfstoffes geeignet und erfüllen die medizinprodukterechtlichen Anforderungen.“
Für die niederländischen Spritzen gelte das nicht so ohne Weiteres: „Die Entnahme einer siebten Impfdosis hängt ausdrücklich nicht mit den Spritzen beziehungsweise Kanülen zusammen, sondern ist abhängig von mehreren Faktoren, unter anderem den Erfahrungswerten der Pharmazeuten und dem Grad der Überfüllung. Die sogenannten Zero-Residual-Spritzen sind somit keine Bedingung für die Entnahme der siebten Dosis.“ Laut MAGS verfügen auch die vom Land beschafften Spritzen laut Hersteller über kein Totraumvolumen. In der Praxis zeigt sich ein anderes Bild. Zwar sind die Spritzen, früher auch bekannt als Tuberkulin-Spritzen, Totvolumen-sparend, ganz ohne Rest kommen sie dennoch nicht aus. Das MAGS informiert, es lägen keine Informationen zu den „vom rheinisch-bergischen Kreis beschafften sogenannten Zero-Residual-Spritzen vor, dass diese für die Verimpfung des Biontech Impfstoffes tatsächlich geeignet sind und diese die medizinprodukterechtlichen Anforderungen für das Inverkehrbringen erfüllen.“
Der Kreis hätte entgegen der Erlasslage Zero-Residual-Spritzen beschafft und im dortigen impfzentrum eingesetzt. Für die neuen Spritzen sei zunächst eine fachliche Prüfung und Autorisierung durch das Ministerium erforderlich. „Der Einsatz ist daher solange auszusetzen, bis die Frage der Eignung abschließend geklärt ist.“
Spritzen ohne Totvolumen sind für all die Injektionen wichtig, bei denen ein geringes Volumen relativ genau verabreicht werden soll. Die Zero-Residual-Spritzen wurden ursprünglich für intravitreale Injektionen konzipiert. Wirkstoffe wie Ranibizumab, Aflibercept oder Bevacizumab werden in kleinsten Volumina à 0,05 ml in den Glaskörper injiziert. Da neben Fertigspritzen auch Durchstechflaschen am Markt sind, wollte das Unternehmen passende Spritzen für die intravitreale Injektion auf den Markt bringen.
Beim Thema Volumen wird auch klar, weshalb die Diskussion sich hierbei nur um den Biontech-Impfstoff dreht: Das Gesamtvolumen der Spritzen beträgt 0,3 ml – exakt das geforderte Volumen einer Einzeldosis Comirnaty. Moderna und AstraZeneca müssen à 0,5 ml verimpft werden – die Zero-Residual-Spritze ist für den mRNA-Impfstoff aus den USA und den Vektorimpfstoff aus Schweden nicht geeignet.
Das Besondere: Anders als bei Insulinspritzen handelt es sich bei der Zero Residual um ein zweiteiliges System. Die Kanüle kann im Nachinhein aufgesetzt werden. Die Spritze ist kompatibel mit 30, 31 und 33 G Kanülen. Für die intramuskuläre Injektion der Impfstoffe wird eine Kanüle mindestens der Größe 25 G empfohlen. In der aktuellen Fachinformation zu Comirnaty heißt es: „Nach dem Verdünnen enthalten die Durchstechflaschen von Comirnaty sechs Dosen von je 0,3 ml des Impfstoffs. Um sechs Dosen aus einer einzelnen Durchstechflasche zu entnehmen, sollten Spritzen und/oder Nadeln mit geringem Totvolumen verwendet werden. Die Kombination aus Spritze und Nadel mit geringem Totvolumen sollte ein Totvolumen von nicht mehr als 35 Mikrolitern haben. Wenn Standardspritzen und -nadeln verwendet werden, reicht das Volumen möglicherweise nicht aus, um eine sechste Dosis aus einer einzelnen Durchstechflasche zu entnehmen.“
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