Covid-Zehen durch Endothelinfektion APOTHEKE ADHOC, 08.07.2020 14:27 Uhr
In der Vergangenheit wurden bei Covid-Patienten Hautläsionen an den Zehen entdeckt, die klassischen Frostbeulen ähneln. Die Ursache war jedoch bisher unklar. Forscher gehen nun davon aus, dass eine Infektion des Endothels für die Hautschäden verantwortlich ist.
Vor allem bei Kindern kam es zu den besagten Läsionen: Es zeigten sich schmerzhafte, manchmal auch juckende Stellen an den Zehen. In einigen Fällen waren auch einzelne Finger betroffen und es kamen Schwellungen hinzu. Experten erinnerte die Symptomatik an Frostbeulen – medizinisch „Perniosis“ genannt. Eine Erklärung, beispielsweise durch starke Kälteeinwirkung, ließ sich bei den Betroffenen jedoch nicht finden. Zudem klagten einige Kinder über einen juckenden Hautausschlag, der nicht charakteristisch für eine Perniosis ist.
Auch wenn diese Hautläsionen insgesamt selten auftraten, so wurden bei einer Umfrage in Spanien knapp 400 Fälle dokumentiert. Die meisten traten erst in der Erholungsphase der Infektion auf – bei vielen war eine aktive Infektion mit Sars-CoV-2 bereits nicht mehr nachweisbar. Der Zusammenhang zwischen dem neuartigen Coronavirus und der Hautsymptomatik wurde daher kürzlich bereits infrage gestellt.
Sars-CoV-2 in Hautproben nachgewiesen
Forscher einer Kinderklinik in Madrid nahmen sich der Thematik jedoch erneut an: Mithilfe von Biopsien konnten sie das Virus in den sogenannten „Covid-Zehen“ nachweisen. Insgesamt wurden Proben von sieben Kindern zwischen 3 und 17 Jahren genommen – bei allen war der Rachenabstrich auf Sars-CoV-2 negativ ausgefallen.
Mithilfe einer immunhistochemischen Methode konnte in den Hautproben allerdings ein Antigen des Spike-Proteins von Sars-CoV-2 nachgewiesen werden: Demnach befanden sich die Viren in den Endothelzellen der Kapillaren. Unter dem Elektronenmikroskop konnten die Wissenschaftler die Viren inklusive ihrer charakteristischen Spikes sichtbar machen. Aufgrund ihrer Untersuchungen gehen sie nun davon aus, dass eine Infektion der Endothelien – eine sogenannte „Endotheliitis“ – für die Hautläsionen verantwortlich ist, die im Rahmen einer Covid-Infektion auftreten kann. Nach bisherigen Untersuchungen bilden sich die Stellen innerhalb weniger Wochen wieder vollständig zurück.
Multiorganversagen durch Endotheliitis
Die systemische Gefäßentzündung wurde in den vergangenen Monaten auch für das unter Covid-19 auftretende Multiorganversagen verantwortlich gemacht: Wissenschaftler der Klinik für Kardiologie am Universitätsspital Zürich hatten herausgefunden, dass Sars-CoV-2 offenbar auch die Endothelien infiziert. Bei zwei Verstorbenen und einem dritten Patienten, der einen Mesenterialinfarkt überlebte, suchten die Forscher nach einem möglichen Einfluss von Sars-CoV-2 auf die Blutgefäße. Eine Pathologin der Klinik konnte eine Entzündung der Endothelien und ein dadurch bedingtes Absterben der Endothelzellen nachweisen. Auch in der Niere konnten die Viren im Endothel nachgewiesen werden.
Bei den drei Patienten konnten ähnliche Beobachtungen gemacht werden: Einer der Patienten, ein 71-jähriger Mann, war acht Tage nach Beginn der Covid-19-Infektion an einem Multiorganversagen gestorben. In den Blutgefäßen von Herz, Niere und Darm war es zur Endotheliitis gekommen. Eine 58-jährige Patientin erlitt einen Mesenterialinfarkt: Nach der chirurgischen Entfernung des abgestorbenen Darmabschnitts verstarb sie an einem Herzinfarkt. Auch bei ihr konnten an Herz, Niere und Darm ein Absterben von Endothelzellen durch eine Gefäßentzündung nachgewiesen werden. Beide Patienten hatten Vorerkrankungen. Ein dritter Patient wurde wegen Lungenversagen beatmet. Er litt zudem unter Bluthochdruck und erlitt während der Beatmung ebenfalls einen Mesenterialinfarkt, einen akuten Verschluss eines Darmgefäßes. Der Patient überlebte zwar, im entfernten Darmabschnitt wurde jedoch ebenfalls eine ausgeprägte Endotheliitis festgestellt.
Der Angriff des Endothels erklärt den Wissenschaftlern zufolge das entstehende Multiorganversagen bei Patienten mit Covid-19. Durch Vorerkrankungen ist das Gewebe meist schon geschädigt: Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronare Herzkrankheit bieten Sars-CoV-2 ideale Voraussetzungen für einen aggressiven und häufig sogar tödlichen Verlauf. Für die Therapie solcher Covid-19-Patienten bedeutet dies, dass neben der Unterdrückung der Virusreplikation vor allem auch eine Stabilisierung des Endothels im Vordergrund stehen müsste.