Effektiver Schutz vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 besteht nicht nur aus Plexiglas, Mundschutz und Handschuhen, sondern vor allem aus der Minimierung sozialer Kontakte, ergo Infektionsmöglichkeiten. Das stellt gerade viele Apotheken vor große Herausforderungen: Wie kann man seine Mitarbeiter organisieren, um Kontakte zu verringern? Inhaber Lars-Peter Wall aus Neumünster ist bereits eingespielt, er hat einen Personalnotfallplan für seine Apotheken. Teil dessen ist auch seine eigene Isolation: Er betritt seine eigenen Apotheken nicht mehr.
In der Löwen-Apotheke Kölleda beginnt heute ein Experiment. „Wir hatten gestern eine Krisensitzung und versuchen ab heute, den neuen Plan umzusetzen“, erklärt Apothekerin Elisa-Marie Bölter. Neben Bölter und der Inhaberin hat die Apotheke drei PTA und einen Pharmazieingenieur – die gilt es nun so zu verteilen, dass sie sich möglichst nicht begegnen, trotzdem aber einen reibungslosen Ablauf gewährleisten können. Dabei gibt es insbesondere in kleineren Apotheken viele Fallstricke zu beachten.
Die Löwen-Apotheke hat ihre Mitarbeiter deshalb in zwei Teams aufgeteilt: Team 1 besteht aus Bölter und zwei PTA, es arbeitet von 7 bis 13 Uhr. Danach kommt Team 2 aus der Inhaberin, dem Pharmazieingenieur und zwei PTA. Sie arbeiten von 13 bis mindestens 18.30 Uhr. Die Übergabe versuchen die beiden Teams kontaktlos zu machen – telefonisch und durch Zettel. Ob das gut funktioniert, muss sich erst noch zeigen. Und dann ist noch da die Heimversorgung, die die Apotheke übernimmt: „Wir haben einen Mitarbeiter abgestellt, der nur die Tabletten für das Heim stellt“, erklärt Bölter. „Der muss dann so eine Art Mittelschicht machen.“
Hier ist der Knackpunkt: Er kann theoretisch mit beiden Teams in Kontakt kommen. „Wir müssen jetzt schauen, wie wir ihn möglichst von den anderen isolieren können, eventuell, indem wir Vorder- und Hintereingänge nutzen.“ Dann seien aber immer noch Fragen wie Toilettengänge offen. In den nächsten Tagen wird sich also zeigen müssen, inwiefern ein kontaktloser Schichtbetrieb in einer Apotheke mit sechs Mitarbeitern umsetzbar ist. Bölter zeigt sich optimistisch, hat aber auch ihre Zweifel. „Das ist ein wackeliges Konstrukt. Sobald einer krank wird, könnte das zusammenbrechen.“
Ein Blick auf funktionierende Konstrukte kann da hilfreich sein. Lars-Peter Wall, Inhaber der drei Mühlen-Apotheken in Neumünster, hat sich bereits eingegroovt. Dabei ist die Situation auch für ihn alles andere als leicht. „Es ist extrem, was gerade los ist, und gleichzeitig muss man zusehen, dass man seine Mitarbeiter ausreichend schützt“, sagt er. Mit Plakaten und einem Leitsystem will er einerseits die Kunden disziplinieren, andererseits will er aber auch die Ansteckungsgefahr seiner 45 Mitarbeiter untereinander so gering wie möglich halten. Dazu arbeiten auch die Mühlen-Apotheken mit jeweils zwei Schichten: Dazu wurden auch dort in jeder Apotheke zwei Teams aus je fünf Mitarbeitern gebildet, die sich nicht begegnen dürfen. Eines bis mittags, das andere danach. „Das zweite Team darf erst in die Apotheke, wenn alle anderen schon raus sind“, erklärt er.
Doch Wall geht noch weiter als die Löwen-Apotheke: Zwischen dem Ende der ersten Schicht und dem Beginn der zweiten liegt eine Stunde, in der die Apotheken komplett desinfiziert werden. Für den Botendienst und die Fahrer der Großhändler hat er zudem weitere Kontaktsperren verhängt: Sie dürfen die Apotheke selbst nicht betreten, sondern höchstens in die Schleuse. Genau diese Regelung wendet der Inhaber bei sich selbst auch an – er betritt seine eigenen Apotheken nicht mehr. „Ich darf nur in die Schleuse, das habe ich für mich selbst festgelegt“, erklärt er.
Die Maßnahme hat nicht nur den Hintergrund, dass Wall sich und seine Mitarbeiter vor dem Weitertragen möglicher Infektionen schützen will, sondern basiert direkt auf Walls Krisenplan. Er hat nämlich auch einen Plan B und einen Plan C: Sollte eines der Teams aufgrund einer Infektion ausfallen, werden anteilsmäßig Mitarbeiter aus anderen Teams abgezogen, um den Betrieb der anderen Apotheke aufrechtzuerhalten. Und sollten alle Stricke reißen, werde er selbst einspringen müssen. „Plan C bin ich selbst“, sagt Wall. „Deshalb habe ich mich komplett rausgenommen.“ Zur Not müsse er halt im Alleingang versuchen, eine der Apotheken offenzuhalten und versuchen, sich irgendwie Mitarbeiter oder Helfer zu organisieren.
Bisher laufe allerdings alles glatt. Wall arbeitet von einem Büro außerhalb der Apotheken und muss nach eigenen Angaben ohnehin nicht zwangsläufig vor Ort sein. „Ich bin momentan sowieso voll damit ausgelastet, Alkohol, Flaschen, Handschuhe, Plexiglas und dergleichen zu besorgen“, erklärt er. Außerdem ist er gerade damit beschäftigt, mit seinem zweiten Unternehmen Pharmaworx ein kostenloses Vorbestellsystem zu entwickeln, das Vor-Ort-Apotheken in der jetzigen Krise entlasten soll.
Seine Mitarbeiter seien mit der derzeitigen Arbeitsteilung auch einverstanden. „Alle ziehen mit“, sagt Wall, auch wenn es für seine Angestellten momentan natürlich eine harte Zeit sei. „Wir sind an der Belastungsgrenze, alle arbeiten am Anschlag. Vollzeit- oder Teilzeitkräfte gibt es nicht mehr. Überstunden, Unterstunden, Urlaub – das mussten wir erst mal alles streichen. Ich habe gesagt, sobald wir das überstanden haben, gleichen wir das alles aus.“ Er sei sich bewusst, „dass das gerade eine Ochsentour ist“, so Wall. „Aber gerade deshalb bin ich stolz auf mein tolles Team!“
Er und seine Mitarbeiter könnten sich dennoch glücklich schätzen. „Wir müssen froh sein, dass wir noch arbeiten dürfen, wenn wir sehen, wie andere Branchen leiden“, so Wall. „Wir haben es wesentlich besser als die Supermarktkassiererinnen, die waren bisher Kanonenfutter.“ Er sei sehr froh darüber, dass seine Personaldecke vor der Krise bereits dick genug war. „Mit einer Minimalbesetzung kriegst du das nicht hin.“
Davon kann Dr. Metin Bağlı ein Lied singen. „Für die, die solche Pläne umsetzen können, ist das eine gute Sache“, sagt er. Bağlı betreibt die Katharinen-Apotheke in Köln und kann sich solche Balanceakte im Teamplan nicht erlauben. „Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich einen Teil des Teams in den Urlaub schicken“, sagt er. „Aber wenn Sie drei Mitarbeiter haben, wie wollen sie das denn umsetzen? Das Einzige, was wir gerade machen können, sind Hygiene- und Abstandsregelungen.“ So habe die Apotheke Dienstleistungen wie Blutdruckmessungen bereits eingestellt, war aber ansonsten kreativ, beispielsweise mit einem Fahrrad-Drive-In.
Was sich jetzt räche, sei der Fachkräftemangel. Er suche schon lange neue Mitarbeiter, doch wird nicht fündig. Und die jetzige Situation könnte existenzbedrohend werden. „Wenn jetzt ein Fall in meinem Team auftreten sollte, dann müsste ich die Apotheke schließen.“ Einen Praktikanten habe er gehabt, den aber aus Sicherheitsgründen nach Hause geschickt, als die Krise ernst wurde.
Er würde sich mehr Unterstützung von der Apothekerkammer wünschen, erklärt Bağlı. „Es wäre sehr schön, wenn die Kammer Apotheker im Ruhestand organisieren könnte, die in solchen Fällen aushelfen oder wenigstens einen Notfallbetrieb aufrechterhalten könnten, damit die Leute ihre Medikamente abholen können.“ Angebote wie die Plattform des Bundesverbands der Pharmaziestudierenden (BPhD) findet er löblich, aber in seiner Situation wenig hilfreich. „Studenten sind gut, aber ich bräuchte ausgebildetes Personal, das auch vorn bedienen kann.“
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