Coronakrise = Drogenkrise dpa, 26.06.2020 07:46 Uhr
Als Folge der Coronakrise befürchten UN-Experten einen Anstieg beim Drogenkonsum. Nach bisherigen Erfahrungen sei steigende Arbeitslosigkeit - wie in dramatischer Weise in der aktuellen Situation - immer verbunden mit einem verstärkten Griff zu Drogen, teilte das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) in seinem Jahresbericht am Donnerstag in Wien mit. „Die Covid-19-Krise und der wirtschaftliche Abschwung drohen die Drogengefahren noch weiter zu verschärfen“, sagte UNODC-Generaldirektorin Ghada Waly.
Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht registrierte zwar auf dem Kontinent insgesamt eine Abnahme des Drogenkonsums während der Hochphase der Pandemie. Eine Entwarnung gibt es von der in Lissabon sitzenden EU-Institution aber auch nicht. Nach Einschätzung der UN-Behörde könnten Bauern schon aus wirtschaftlicher Not heraus den illegalen Anbau von Drogen beginnen oder ausweiten. Die Schmuggler suchten wegen der Einschränkungen im Luftverkehr und wegen verstärkter Grenzkontrollen neue Wege, ihre illegale Ware zu transportieren. So seien in jüngster Zeit Kokain-Transporte von Südamerika nach Europa auf dem direkten Seeweg beobachtet worden.
Laut UN-Drogenbericht ist die Zahl der Menschen, die 2018 Drogen wie Cannabis, Kokain, Opium oder synthetische Substanzen konsumierten, im Vergleich zum Vorjahr mit 269 Millionen in etwa stabil geblieben. Die meisten von ihnen nehmen Haschisch. 35,6 Millionen Süchtige litten an von Drogen verursachten Gesundheitsbeschwerden. Der Markt sei durch die Vielfalt der rund 500 Designer-Drogen wie Fentanyl unübersichtlich geworden, hieß es. Der wichtigste Schmuggler-Weg für Heroin bleibe die Balkan-Route: Diese führt von Afghanistan via Iran, die Türkei und den Balkan nach Mitteleuropa.
Die Corona-Krise hat nach Angaben der EU-Drogenbeobachtungsstelle auch das Konsumverhalten bei Drogen in Europa deutlich beeinflusst. Ein erheblicher Teil der Konsumenten sei während der Wochen strenger Ausgangsbeschränkungen von illegalen Rauschmitteln auf Alkohol und auch gefährlichere aber frei erhältliche Substanzen umgestiegen, wie etwa das aus einem Lösungsmittel gewonnene GBL. Während der Absatz stockte, sei die Drogenproduktion selbst jedoch in etwa gleich hoch geblieben. Zwischenhändler dürften deshalb auf großen Mengen sitzen und versuchen, diese mit Beginn der Lockerungen der Corona-Beschränkungen in den Markt zu drücken, schrieben die EU-Drogenexperten in Lissabon am Donnerstag.
Auch habe sich der Handel weg von der Straße stärker ins Internet verlagert. Hier seien eher Messenger-Dienste mit sogenannter Ende-zu-Ende-Verschlüsselung als etwa die verborgenen Teile des Internets, das Darknet, genutzt worden. Dealer hätten sich darauf verlegt, Drogen direkt nach Hause zu liefern oder mit der Post zu verschicken und Überweisungen als Bezahlung akzeptiert. Die UN-Expertin Angela Me warnt, die organisierte Kriminalität werde die Coronakrise zu nutzen wissen. Es werde damit gerechnet, dass sie in Zukunft von der Infiltration der legalen Wirtschaft profitiere – weil „die großen Gelder von den Regierungen ausgezahlt werden, um die Covid-Krise zu überwinden“.
Auch die militant-islamischen Taliban in Afghanistan könnten nach ihren Worten zu den Gewinnern der Krise zählen, indem sie sich in diesen schwierigen Zeiten als Helfer gerade der armen Bevölkerung positionierten. So haben laut UN-Bericht insbesondere Tagelöhner, die durch die Pandemie arbeitslos geworden sind, als Helfer bei der Ernte von Schlafmohn in Gebieten unter Taliban-Kontrolle Arbeit gefunden.
Am anderen Ende des Marktes in Europa ging unterdessen während der Corona-Krise vor allem der Konsum von Kokain und synthetischen Drogen wie Ecstasy zurück. Wegen der Ausgehbeschränkungen habe es kein Nachtleben mehr gegeben, wo solche Aufputschmittel am ehesten konsumiert werden, schrieben die EU-Experten in ihrem 24-seitigen Bericht. Darin schildern sie den Fall eines Kokainkonsumenten, der während des Corona-Lockdowns in seiner Wohnung fast durchgedreht sei und es dann lieber sein ließ. „Jetzt trinke ich abends Wein und Whiskey, das entspannt mich viel mehr.“ Zur Kokainabhängigkeit könnte dann noch Alkoholismus kommen, warnt die Drogenbeobachtungsstelle deswegen.