Verschiedene Faktoren könnten einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 haben. Experten der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) gehen davon aus, dass auch das Stresshormon Cortisol eine wichtige Rolle spielen könnte.
Für Patienten mit Hormon- oder Stoffwechselerkrankungen könnte die Pandemie den Gesellschaften zufolge erhebliche Folgen für das Therapiemanagement haben. Denn das Stresshormon Cortisol steuert zahlreiche Stoffwechselprozesse. „Zusätzlich zu den alltäglichen Belastungen, die jeden während der Corona-Pandemie getroffen haben und derzeit immer noch beschäftigen, sind chronisch Erkrankte weiteren Stressfaktoren ausgesetzt: Sie sorgen sich in besonderer Weise um ihre Gesundheit, da sie häufig als Risikopatienten gelten“, erklärt Professor Dr. Matthias Weber, Mediensprecher der DGE. Desweiteren habe mentaler Stress einen großen Einfluss auf Hormon- und Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck. Daher würden Betroffene schnell in einen Teufelskreis aus Angst, Stress und schlechter Stoffwechsellage geraten.
Cortisol wird bei Stress aus der Nebennierenrinde freigesetzt. Das Hormon beeinflusst nicht nur den Fettstoffwechsel und das Herz-Kreislauf-System, es wirkt zudem entzündungshemmend. „Da ein erhöhter Cortisolspiegel auch den Blutzucker ansteigen lässt, hat Stress einen großen Einfluss auf die Stoffwechsellage von Menschen mit Diabetes mellitus und kann so möglicherweise auch zu einer erhöhten Infektanfälligkeit und einem schweren Krankheitsverlauf bei Covid-19 beitragen“, erläutert Weber. Denn das Hormon könnte eine wichtige Schlüsselrolle beim Infektionsverlauf übernehmen: Eine britische Kohortenstudie mit rund 500 Patienten zeigte, dass bei Covid-Patienten der Cortisolspiegel im Blut höher war als bei gesunden Menschen. „Die Studie stellt auch einen möglichen Zusammenhang zwischen erhöhten Hormonkonzentrationen und Sterblichkeit auf“, erklärt Weber.
Doch nicht nur in Bezug auf das neuartige Coronavirus spielen Hormone eine wichtige Rolle – auch bei anderen Infekten kommen sie zum Tragen. „Speziell Cortisol kann sowohl in einer Mangelsituation als auch bei Überdosierung zu lebensbedrohlichen Krankheitszuständen führen und hat einen starken Einfluss auf das Überleben bei schweren Infektionen“, erklärt Weber. Patienten mit einer Über- oder Unterfunktion des Cortisol-Stoffwechsels müssten daher während der Pandemie engmaschig kontrolliert und überwacht werden. Dazu gehören beispielsweise Menschen mit einer Nebenniereninsuffizienz wie beim Addison-Syndrom – bei ihnen wird zu wenig Cortisol gebildet, daher ist eine Cortisol-Ersatztherapie notwendig. Doch auch bei einer Überproduktion wie beim Cushing-Syndrom sollten regelmäßige Untersuchungen stattfinden. Gleiches gelte für Patienten, die aufgrund anderer Erkrankungen hochdosierte Kortisonpräparate einnehmen müssten.
In den vergangenen Wochen wurde der Wirkstoff Dexamethason, der zu den künstlichen Glucocorticoiden zählt, als Therapie gegen Covid-19 untersucht: Eine Studie aus Großbritannien zeigte, dass Dexamethason für Patienten, die schwer an Covid-19 erkrankt sind, lebensrettend sein könnte: Der seit über 60 Jahren zugelassene Wirkstoff konnte die Mortalität bei Patienten mit schweren Covid-Verläufen senken. Bei Patienten, die auf eine künstliche Beatmung angewiesen waren, sank die Mortalität um bis zu einem Drittel. Der Nutzen wurde jedoch nur bei Patienten gesehen, die schwer erkrankt waren – bei Patienten mit milderen Erkrankungen konnte der positive Effekt nicht beobachtet werden.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) begrüßte die Ergebnisse und sah in den vorläufigen Ergebnissen einen Durchbruch im Kampf gegen die Krankheit – nicht zuletzt deshalb, da es sich bei dem Glucocorticoid um einen Wirkstoff mit bekanntem Nebenwirkungsprofil handelt. „Dies ist die erste Behandlung, die nachweislich die Mortalität bei Patienten mit Covid-19 senkt, die Sauerstoff oder Beatmungsunterstützung benötigen“, sagte Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO. Der Wirkstoff wird daher auch als „Breakthrough Therapy“ betitelt.
Dass Dexamethason die Sterblichkeitsrate senken würde, ist aus Sicht vieler Wissenschaftler plausibel. „Aus biologischer Sicht ist dieser Effekt nicht völlig überraschend, da insbesondere die schwer erkrankten Patienten unter einer überschießenden Immunreaktion leiden. Kortison ist ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. Überraschend ist aber die Stärke des nachgewiesenen Effektes“, erklärte Professor Dr. Maria Vehreschild, leitende Infektiologin am Universitätsklinikum der Goethe Universität Frankfurt.
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