Kein Kawasaki-Syndrom

Corona-Komplikationen bei Kindern – neuartiges Krankheitsbild Alexandra Negt, 10.06.2020 09:50 Uhr

Londoner Wissenschaftler gehen davon aus, dass es sich bei der überschießenden Immunreaktion einiger Kinder nach Covid-19 nicht um das Kawasaki-Syndrom handelt. Quelle: Beenicebeelove/ Shutterstock.com
Berlin - 

In diesem Frühjahr wurde bei einer kleinen Anzahl an Kindern nach überstandener Sars-CoV-2-Infektion eine Art Sekundärinfektion festgestellt: Bei den jungen Patienten scheint es zu einer überschießenden Immunreaktion zu kommen, welche Mediziner bisher mit dem Kawasaki-Syndrom verglichen haben. Inzwischen wurden mehr als 200 Fälle beschrieben – darunter 58 aus Großbritannien, die ein Team um Michael Levin vom Imperial College London jetzt vorstellt. Levin spricht von einem neuen Krankheitsbild.

Mitte April wurden drei Kinder mit ungewöhnlichen Symptomen in ein Londoner Krankenhaus eingeliefert, die Ärzte wussten zunächst nicht, um was für ein Leiden es sich handelte. Die Patienten litten unter hohem Fieber und zeigten stark erhöhte Entzündungswerte. Am nächsten Tag wurden erneut drei Kinder mit ähnlichen Symptomen in einer anderen Londoner Klinik gemeldet. Die Fälle häuften sich. Aktuell sind über 200 Fälle bekannt, die sich in Symptomatik und Krankheitsverlauf ähneln.

Kein Kawasaki-Syndrom

Erstmals wurde eine Auswertung vorgenommen. Englische Mediziner kommen zu dem vorläufigen Schluss, dass es sich nicht um das Kawasaki-Syndrom handelt: Die Symptomatik der Kinder unterscheide sich in einigen Punkten stark von den typischen Anzeichen beim Kawasaki-Syndrom. In den 58 untersuchten Fällen aus London erfüllten nur 13 Kinder die von der American Heart Association vorgeschlagenen Kriterien. Organschäden oder ein Hautausschlag wie bei einem toxischen Schocksyndrom fehlten bei 23 Kindern. 29 Kinder erlitten dagegen einen Kreislaufschock begleitet von einer Pumpschwäche der linken Herzkammer. Der Stoff Troponin, der als Serummarker für Herzmuskelschäden gilt, war erhöht. Diese Patientengruppe benötigte positiv inotrope Medikamente, um die Herzfunktion zu stabilisieren. Aufgrund dieser und noch weiterer Unterschiede sprechen beide Forschergruppen von einem neuen Krankheitsbild. Bisher gibt es noch keine einheitliche Nomenklatur hierfür. Lewin bezeichnet die Krankheitsfälle als „pediatric inflammatory multisystem syndrome temporally associated with SARS-CoV-2“ (PIMS-TS).

Studie bestätigt Einschätzung der WHO

Zwei neue Fallserien, veröffentlicht im amerikanischen Ärzteblatt JAMA, bestätigen die Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass es sich um ein eigenständiges Krankheitsbild handelt. „Es ist wichtig, dieses Syndrom und seine Risikofaktoren zu charakterisieren, die Kausalität zu verstehen und Behandlungsinterventionen zu beschreiben. Es ist noch nicht klar, ob das gesamte Krankheitsspektrum bereits bekannt ist und ob die geografische Verteilung in Europa und Nordamerika ein echtes Muster widerspiegelt, oder ob die Erkrankung an anderer Stelle einfach nicht erkannt wurde“, so die WHO. Neben den einzelnen Symptomen spielen auch das durchschnittliche Erkrankungsalter und die ethnische Herkunft eine Rolle bei der Einstufung des Krankheitsbildes. Das mediane Alter lag bei acht bis neun Jahren. Das durchschnittliche Erkrankungsalter für das Kawasaki-Syndrom liegt bei unter fünf Jahren. Das klassische Kawasaki-Syndrom wird vorwiegend in Asien beobachtet. Von den jetzt erkrankten Kindern in London gehörten nur 12 zur weißen europastämmigen Bevölkerungsgruppe. In Japan kommen auf 100.000 Kinder 140 Neuerkrankungen, in Deutschland sind es acht.

Die vorläufige Falldefinition der WHO lautet wie folgt: Betroffen können Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 19 Jahren sein. Die Erkrankten leiden seit mindestens drei Tagen unter hohem Fieber und weisen mindestens zwei der nachfolgenden Symptome auf:

  • Hautausschlag
  • nicht eitrige Bindehautentzündung
  • Entzündungen der Mundschleimhaut
  • Hypotonie
  • Schock
  • Merkmale von Myokardfunktionsstörungen
  • Perikarditis
  • Herzklappenentzündung
  • Gerinnungsstörungen
  • Magen-Darm-Probleme (Durchfall, Erbrechen oder Bauchschmerzen).
  • Erhöhte Entzündungsmarker
  • Keine andere mikrobielle Entzündungsursache
  • Hinweise auf Covid-19

Kawasaki Syndrom bis heute nicht entschlüsselt

Der Auslöser des Kawasaki-Syndroms ist noch unbekannt. Die Krankheit führt zu einer Entzündung der Gefäße im gesamten Körper. Sie wurde erstmalig vor rund 50 Jahren durch den japanischen Kinderarzt Tomisaku Kawasaki beschrieben. Die Symptome werden auf eine Vaskulitis zurückgeführt. Der Erkrankung voraus geht häufig eine Infektion, diese ist zu Beginn des Kawasaki-Syndroms meist abgeklungen. Die Krankheit wird in der Regel stationär behandelt. Das primäre Therapieziel ist die Reduktion der Entzündungsparameter und die Vermeidung von Aneurysmen der Herzkranzgefäße. Diese entstehen meist in der dritten Woche nach Krankheitsbeginn.

Covid-19 und vorerkrankte Kinder – erste Studie gestartet

Noch immer herrscht bei Kindern in Bezug auf Sars-CoV-2 und Covid-19 viel Ungewissheit. Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ist Mitte Mai die weltweit erste Studie zu Covid-19 und Kindern mit Vorerkrankungen gestartet. Im Zuge der „C.19-Child-Studie“ sollen mindestens 6000 Kinder und Jugendliche mit Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen getestet werden. Gefördert wird die Studie daher von der Stiftung Kinderherz Deutschland. Die Untersuchung soll Klarheit bringen, wie gefährdet herzkranke Kinder und Kinder mit anderen Vorerkrankungen durch das Coronavirus sind. „Wir haben bisher weltweit keine belastbaren Aussagen darüber, wie hoch die Infektionsgefahr für Kinder mit Vorerkrankungen ist, und wie die Krankheit dann verläuft“, so Professor Dr. Thomas Mir, stellvertretender Klinikdirektor am UKE und Leiter der Studie. „Ziel der Studie ist es herauszufinden, welche Risikofaktoren bei Herzkindern und Kindern mit weiteren Vorerkrankungen zu einem schweren Verlauf der Erkrankung führen können und wie Eltern sich und ihr Herzkind optimal davor schützen können“, erläutert Sylvia Paul, Vorstand der Stiftung Kinderherz Deutschland.