Die Impfquote ist in den vergangenen Monaten nicht schnell genug gestiegen, die Hospitalisierungszahlen steigen und die Auffrischimpfungen stehen an. Die Impfzentren sind in vielen Regionen geschlossen und die Hausärzt:innen werden überrannt. Um diesen Knoten aufzulösen, wird nun über Booster-Impfungen in Apotheken diskutiert. Doch welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das möglich ist? Und wie genau könnte das Impfen ablaufen?
In einigen Apotheken kann man sich bereits gegen Grippe impfen lassen. Doch in den meisten Modellregionen können sich ausschließlich AOK-Versicherte immunisieren lassen, spezielle Verträge mit den Kassen schränken das Angebot ein. Sollte es zu Corona-Impfungen in Apotheken kommen, müsste das Angebot auf alle Versicherten erweitert werden. Denkbar wäre eine Regelung wie bei den Bürgertests, wo sich Apotheken mit entsprechender Qualifikation als Leistungserbringer beauftragen lassen können.
Durch die bereits geschulten Apotheker:innen könnten die Impfungen sofort starten. Doch eine wirkliche Entlastung würde das nicht bringen. Denn „Grippe-Apotheken“ findet man nicht flächendeckend in Deutschland. Vielmehr müssten möglichst viele Apotheken mit ins Boot geholt werden. Schließlich soll der Zugang zur Corona-Impfung in der aktuellen Notlage so niederschwellig wie möglich sein.
Auch wenn die aktuelle Situation schnelles Handeln erfordert, so darf auf eine vorherige Schulung sicherlich nicht verzichtet werden. Die Apothekerkammern haben zwar noch keine Vorgaben aus Berlin, signalisieren aber, dass es an ihnen nicht scheitern wird. Impf-Apotheker:innen berichten von ihren Grippeseminaren: Hier sei es vor allem der ausgedehnte Theorieteil, der Zeit in Anspruch nimmt. Doch nur mit Abschluss darf man den Praxisteil absolvieren. Zum theoretischen Teil gehören allgemeine Informationen zur Erkrankung und zu den verschiedenen Arten von Impfstoffen, mögliche Impfreaktionen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen sowie Wissen über angestrebte Impfquoten. Apotheker:innen, die die Schulung durchlaufen haben, berichten von einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden.
Der Theorieteil wurde per Online-Seminar durchlaufen. Der Praxisteil muss natürlich in Präsenz erfolgen. In der aktuellen Lage sei dies mitunter schwierig, gibt eine Impf-Apothekerin aus Bayern zu bedenken: „Sicherlich können diese Vor-Ort-Schulungen aktuell nur mit 2G+ durchgeführt werden. Man sollte hier auf Nummer sicher gehen. Und ich weiß, dass noch lange nicht alle Pharmazeuten und PTA geimpft sind.“
Am Übungsarm selbst könne man die Technik allerdings schnell lernen. Zum einen würde man den Delta-Muskel bei vielen Armen sehen, so die Apothekerin, zum anderen gibt es einfache Regeln, wie man den Muskel finden kann. „Es gibt eine Methode, bei der man einen bestimmten Knochen an der Schulter tastet und dann den Abstand zum Deltamuskel abmisst. Nach zwei, drei Versuchen beherrscht man auch die richtige Tiefe zur Injektion.“ Diese sei zudem durch die Kanüle vorgegeben.
Vor der Impfung sollte ein Beratungsgespräch durchgeführt werden. Hierfür muss der/die Apotheker:in über spezielles Wissen zur Corona-Impfung verfügen. Die in den Impfzentren und Arztpraxen genutzten Aufklärungsbögen könnten auch in der Apotheke Anwendung finden. Das impfende Personal sollte über Impfkomplikationen, Impfreaktionen und Impfschäden Bescheid wissen. Die Apotheke muss über eine Prozessbeschreibung im Falle eines anaphylaktischen Schocks verfügen. Sicherlich sind schwere Impfreaktionen selten, dennoch können sie auftreten.
Im Rahmen der Grippe-Schulungen wird innerhalb von zwei Stunden Wissen zum Notfallmanagement, Selbstschutz und zu rechtlichen Aspekten vermittelt. Analog zu der Corona-Impfung in Zentren oder Praxen sollten Patient:innen 15 Minuten in der Apotheke platznehmen. Die meisten allergischen Reaktionen treten unmittelbar nach der Injektion auf.
Um das Risiko von Impfreaktionen zu verringern, wird diskutiert, ob ausschließlich Auffrischimpfungen in der Apotheke erfolgen sollten. Wer bereits zweimal gut auf ein Vakzin angesprochen hat, wird beim dritten Mal in den seltensten Fällen allergische Reaktionen entwickeln. Diese Annahme setzt jedoch voraus, dass stets mit dem Impfstoff geboostert wird, mit dem auch grundimmunisiert wurde. Bislang empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) die Auffrischimpfung mit dem mRNA-Impfstoff der Grundimmunisierung, obwohl zahlreiche Studien belegen, dass eine „Kreuzimpfung“ mit dem jeweils anderen mRNA-Impfstoff eine bessere Antikörperantwort hervorruft. Apotheken müssten hier einen klaren Leitfaden an die Hand bekommen.
Theoretisch wäre es auch möglich, dass Apotheken die Kund:innen direkt doppelt immunsieren. Eine gleichzeitige Impfung gegen Corona und Grippe ist laut Stiko möglich. So könnte man gleichzeitig die Impfquote bei Influenza erhöhen. Es bleibt abzuwarten, ob bei einem „Go“ für Corona-Impfungen in der Offizin auch Grippeimpfungen in allen Apotheken freigegeben werden.
Die Apotheken sind mit der Impfstoffbestellung seit Monaten vertraut. Der Umgang und die Lagerungsbedingungen sind bekannt. Die Apotheker:innen und PTA wissen, welches Impfzubehör für welches Vakzin gebraucht wird. So sieht das auch die Impf-Apothekerin: „Seit Monaten bestelle ich Corona-Impfstoff, da ist mittlerweile Routine drin. Ich erkläre jede Woche die Wirkungsweise von mRNA-Impfstoffen und ich impfe auch noch um 19.30 Uhr – ob mit oder ohne Termin, wenn ich da bin, dann wird die Spritze gesetzt.“
In vielen Apotheken sind Rezeptur-affine PTA angestellt, für die die Aufbereitung und Auseinzelung der Impfstoffe ein Kinderspiel sind. Seit Monaten beraten und informeiren Apotheken im HV zum Thema Impfeinwände. Nach dem Motto „Man kennt seine Kunden“ könnte die Apotheke ein neues Modul in der Impfkampagne werden und zu steigenden Impfzahlen beitragen.
Die Apothekerin aus Bayern berichtet, dass es nicht leicht für die Kammer gewesen sei, einen Arzt zu finden, der die Schulung durchführen wollte. „Im Nachhinein ist dieser Arzt von Kollegen angefeindet worden.“ Nicht alle Mediziner:innen befürworten eine Impfung durch Apotheker:innen. Dabei zeigt sich in der Praxis bereits seit langem ein anderes Bild: Meistens sind es die MFA, die die Immunisierung durchführen. Auch sie haben hierfür einen „Spritzenschein“ gemacht.
Bleibt offen, wer in Apotheken impfen darf. Das Personal ist vielerorts knapp und die Einschränkung auf Impfungen durch Apotheker:innen könnte dazu führen, dass viele Apotheken an dem Projekt nicht teilnehmen können. Auch hier bleibt abzuwarten, wie sich die Standesvertretung positioniert. Dasselbe gilt für die Anforderungen an die Räumlichkeiten. Vielleicht geht es bei einer Booster-Impfung auch ohne Liege. Fakt ist: Eine Impfung durch Apotheker:innen und PTA würde zu einer flächendeckenderen Möglichkeit zur Impfung beitragen.
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