Noch ist kein Impfstoff gegen Covid-19 zugelassen. Wie viele Markteinführungen es in den kommenden Wochen tatsächlich geben wird, ist noch ungewiss. Dennoch muss die Politik sich mit der Frage beschäftigen, welche Personengruppen zuerst von der Vakzine profitieren sollen. Ethisch gesehen ist das eine kritische Frage mit mehreren möglichen Szenarien.
Noch nie wurde weltweit mit solchem Hochdruck an einem Impfstoff geforscht. Unternehmen und Forschungsinstitute werfen alles in den Ring, was sie an Personal und Ressourcen haben. Laut Pharmaverband VfA sind bereits über 170 Impfstoffprojekte quer über den Globus angelaufen. Eine Handvoll Impfstoffe befindet sich der in der Phase III. Anfang nächsten Jahres rechnen Experten mit der Zulassung von mehreren Impfstoffen. Spätestens dann wird sich die Frage stellen, wer die ersten Dosen erhalten wird.
Um gut vorbereitet zu sein, stellen sich Menschen weltweit die Frage nach einer fairen Verteilung. Ein Team von internationalen Ethikern hat nun ihren Ansatz im Fachjournal „Science“ veröffentlicht. Das dreistufige Modell hat vorrangig das Ziel, möglichst viele Todesfälle und Spätfolgen von schweren Verläufen zu verhindern. „Fair Priority“ haben die insgesamt 19 Ethiker um den Mediziner Ezekiel Emanuel von der University of Pennsylvania ihr Modell getauft. Im Fokus steht nicht die Wirtschaft oder die Bildung, sondern die Moral. Der Kerngedanke des Modells ist, dass durch eine faire Verteilung ein Nutzen für die gesamte Menschheit entsteht und keine Personengruppen benachteiligt werden. Ein Augenmerk liegt im ersten Schritt auf den eher benachteiligten Menschen.
Dementsprechend widerspricht der ethische Ansatz dem der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese spricht sich aktuell ganz klar für eine Priorisierung von medizinischem Personal aus. Im ethischen Ansatz der Forschergruppe steht in der ersten Phase zunächst die Vermeidung von vorzeitigen Todesfällen und gesundheitlichen Spätfolgen im Mittelpunkt. In der nächsten Phase soll es um die gesamtwirtschaftliche Verbesserung gehen. Hier geht es darum, dass Personen durch eine Impfung nicht in die Armut rutschen. In der letzten Stufe sollen die Länder bevorzugt werden, die eine hohe Übertragungsrate aufweisen. Damit eine zu schnelle Übertragung auch in diesen Ländern gestoppt werden kann, gehen die Ethiker davon aus, dass 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Immunität aufweisen müssten.
Die Ethiker verweisen darauf, dass bei einem Absinken des R-Wertes unter 1 über eine Abgabe der Impfstoffe an andere Länder nachgedacht werden könnte. „Wenn eine Regierung die Grenze der nationalen Präferenz erreicht hat, sollte sie Impfstoffe für andere Länder freigeben“, so die Autoren. Durch die Impfinitiative Covax soll eine faire globale Verteilung des Impfstoffs erzielt werden. Covax wird federführend von den Impfallianzen Gavi und Cepi und von der WHO getragen.
Die EU-Kommission hatte Anfang der Woche ihr Interesse bekräftigt, der Initiative beizutreten und so den fairen, weltweiten Zugang zu einem bezahlbaren Impfstoff zu unterstützen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: „Eine Pandemie können wir nur im Rahmen einer globalen Zusammenarbeit überwinden.“ Andere Staaten hatten angekündigt, sich der internationalen Impfinitiative nicht anzuschließen. Am Dienstag hieß es in einer Erklärung des Weißen Hauses, dass die USA sich nicht durch multilaterale Projekte einschränken ließen, die unter dem Einfluss „der korrupten Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Chinas“ stünden.
Bei der globalen Verteilung müssen auch logistische Herausforderungen, fernab von ethischen Fragen, gemeistert werden. So müssen die neuen RNA-Impfstoffe beispielsweise tiefgekühlt gelagert und transportiert werden. Die Hersteller fordern Temperaturen von minus 20 bis minus 80 Grad, um die chemische Stabilität zu gewährleisten. Dass kann der Arzneimittelgroßhandel aus dem Stand nicht leisten. Dass die nötige Temperatur eingehalten wird, müsse – etwa über Sensoren – lückenlos dokumentiert werden. Bei einigen der aktuell erprobten Impfstoffe gebe es solche Vorgaben in klinischen Tests. Welche Anforderungen für einen Impfstoff letztlich nötig werden, ist allerdings noch offen.
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