Corona: Ausbreitung wie bei Erkältungsviren dpa/APOTHEKE ADHOC, 15.06.2020 12:08 Uhr
Zumindest bis etwa Mitte März hat sich Corona einer Analyse zufolge wie eine saisonale Infektionserkrankung ähnlich der Grippe ausgebreitet. Das Infektionsgeschehen spielte sich demnach besonders stark in Regionen mit ähnlicher Temperaturspanne und Luftfeuchtigkeit ab, wie Forscher um Mohammad Sajadi von der University of Maryland in Baltimore im Fachjournal „JAMA Network Open“ berichten. Sie hatten Daten aus acht Städten mit hohen und 42 Städten mit geringen Infektionszahlen analysiert.
Sajadi und Kollegen begannen mit ihrer Untersuchung, als die Fallzahlen im Februar im Iran rasant stiegen. Sie wählten Städte aus Ländern aus, die am 10. März mindestens zehn Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19 zu verzeichnen hatten: Wuhan (China), Tokio (Japan), Daegu (Südkorea), Ghom (Iran), Mailand (Italien), Paris (Frankreich), Madrid (Spanien), Seattle (USA). Die Städte liegen alle zwischen dem 30. und 50. Grad nördlicher Breite; 20 bis 30 Tage vor dem ersten Coronatoten hatten sie Durchschnittstemperaturen von fünf bis elf Grad und eine spezifische Luftfeuchtigkeit von drei bis sechs Gramm pro Kilogramm Luft.
„Aufgrund der geografischen Nähe und der erheblichen Reiseverbindungen ergab die epidemiologische Modellierung des Epizentrums, dass Regionen in Südostasien, insbesondere Bangkok, Wuhan in der Epidemie folgen würden“, schreiben die Wissenschaftler. Tatsächlich aber blieb die Zahl der Fälle in den folgenden Tagen in diesen Regionen gering, das Epizentrum verlagerte sich in andere Länder in Asien, Europa und Nordamerika. In den 42 Vergleichsstädten mit geringem Infektionsgeschehen wichen die klimatischen Bedingungen größtenteils von denen in den stark betroffenen Städten ab.
„Die Verteilung der erheblichen städtischen Ausbrüche entlang begrenzter Breiten-, Temperaturgrade und Feuchtigkeitsmessungen stimmte mit dem Verhalten eines saisonalen Atemwegsvirus überein“, schreibt das Team um Sajadi. Als Einschränkung führen die Forscher auf, dass sich die gemeldeten Daten für die Anzahl der Fälle und die Todesrate zwischen den Ländern zum Teil erheblich unterscheiden. Außerdem seien andere mögliche Ausbreitungsfaktoren wie Gesundheitswesen, Reiseverhalten, Bevölkerungsdichte, Luftverschmutzung und demografische Merkmale nicht berücksichtigt worden.
Winterluft besitzt höhere Viruslast
Grundsätzlich sorgen kalte und trockene Temperaturen für eine höhere Viruslast in der Luft. Daher kursieren im Herbst und Winter besonders viele Erkältungsviren – aber auch Influenzaviren und das neuartige Sars-CoV-2 herrschen derzeit vor. Mit den steigenden Temperaturen im Frühjahr sinkt die Zahl der Erkältungskrankheiten und Influenza-Infektionen meist rapide ab: Denn je höher die Temperaturen, desto geringer sind die Überlebenschancen der Viren. Durch die wärmeren Temperaturen nimmt zudem meist auch die Luftfeuchtigkeit ab: Es wird trockener und die Viren können sich nicht mehr so leicht ausbreiten wie bei feuchtem Wetter mit kühlen Temperaturen: Die Tröpfchen, durch die das Virus verbreitet wird, werden schwerer und sinken schneller zu Boden – die Distanz, die sie zurücklegen, wird kürzer und damit auch die Verweildauer in der Luft. Dadurch sinkt schließlich die Ansteckungsgefahr.
Im Sommer weniger Ansteckung
Vielen Forschern machten diese Annahmen Anfang März Hoffnung: Corona wird per Tröpfcheninfektion übertragen und könnte somit durch den Frühlingsbeginn eingedämmt und an seiner Verbreitung gehindert werden. Ein warmer und trockener Frühling könnte demnach positiven Einfluss auf den weiteren Verlauf der Pandemie nehmen. Auch andere Faktoren könnten im Frühling zu einer Eindämmung des Virus beitragen: Die Menschen halten sich nicht mehr überwiegend in geschlossenen Räumen auf. Zudem wird aufgrund der steigenden Temperaturen häufiger gelüftet und die Heizung wird abgeschaltet: Mehr Frischluft und weniger trockene Heizungsluft sorgen insgesamt für ein besseres Raumklima.
Corona als saisonale Erkrankung – Mutationen möglich
Ob es sich bei Sars-CoV-2 um einen saisonal wiederkehrenden Erreger handeln könnte – wie es etwa bei der Influenza der Fall ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Professor Dr. Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts, erklärte bereits auf einer Pressekonferenz im März, dass man diese Hypothese im Blick habe. Konkrete Aussagen darüber könnten jedoch erst getroffen werden, wenn der Sommer tatsächlich kommt. Ausgeschlossen werden könne eine Saisonalität, die sich in den nächsten Jahren wiederholt, derzeit nicht.
Und hier sehen Virologen auch das größte Risiko: Sollte das Virus ähnlich variabel sein wie Influenza, könnte dies nicht nur die Suche nach einem Impfstoff erschweren – sondern womöglich auch zu Mutationen führen, die deutlich pathogenere Varianten hervorbringen als das derzeit zirkulierende Virus. Drei Monate nach den ersten Infektionen in Deutschland haben Wissenschaftler erste Erkenntnisse geliefert, die auf Mutationen des Virus hindeuten. Diese könnten sich positiv auf das Infektionsgeschehen auswirken, beispielsweise dann, wenn die Mutation der Einnistung in der Nase dient. Durch Mutationen, die vorrangig den Nasenbereich betreffen, könne sich das Virus besser vermehren und weniger häufig in die unteren Atemwege gelangen. Mit der Zeit könnte die Epidemie harmloser werden.
Zweiter Ausbruch in Peking
Erstmals seit vielen Wochen erlebt Peking wieder einen größeren Ausbruch des Corona-Virus. Auf dem Großmarkt der chinesischen Hauptstadt wurden bei anfangs 500 Tests schon 45 Infektionen entdeckt. Der Xinfadi-Markt im Stadtviertel Fengtai, der rund 90 Prozent des Gemüses und Obsts der 20-Millionen-Metropole liefert, wurde geschlossen. Im Umfeld wurden elf Wohnviertel abgeriegelt sowie neun Kindergärten und Grundschulen zugemacht. Rund 10.000 Händler und Mitarbeiter des Marktes sollen getestet werden.
Hinter dem neuen Corona-Ausbruch in Peking steckt vermutlich eine Mutation. Ersten Tests zufolge zirkuliert aktuell ein anderer Untertyp des Erregers. Das berichtet Zeng Guang, Epidemiologe des chinesischen Gesundheitsamts. Um die Abstammungslinie des Erregers nachzuverfolgen sollen die Ergebnisse mit Analysen aus anderen Ländern verglichen werden.