Wegen ständig neuer Mutationen des Coronavirus drängte die Politik auf schnelle Zulassungen für variantenangepasste mRNA-Impfstoffe. Doch nach wie vor liegen kaum Daten zur Wirksamkeit vor. Wirken sie weniger gut als angenommen? Erzielen Auffrischimpfungen mit herkömmlichen monovalenten Impfstoffen womöglich eine ähnlich breite Immunantwort wie Auffrischungen mit den neuen Omikron-adaptierten Vakzinen?
Nachdem seit Ende 2020 die auf das ursprüngliche Wuhan-Virus bezogenen Impfstoffe eingesetzt wurden, kamen in diesem Jahr die Omikron-Impfstoffe von Biontech und Moderna auf den Markt. Zunächst gab es bivalente Vakzine, die neben der bisherigen Komponente einen Baustein gegen BA.1 enthielten. Beide Komponenten sind jeweils halb so hoch dosiert. Doch weil diese Omikron-Varianten nach dem Zulassungsverfahren schon an Bedeutung verloren hatte, folgten bivalente Vakzine, die außer gegen das ursprüngliche Virus auch gegen BA.4 und BA.5 wirken sollen. Zu diesen Impfstoffen gibt es bislang kaum klinische Daten, da sie unter Bezugnahme auf die BA.1-Vakzine zugelassen wurden.
Eine aktuelle Studie mit ersten Daten, die vorerst nur als Preprint auf „Biorxiv“ einsehbar ist, zieht ein ernüchterndes Fazit: „Ein als Auffrischimpfung verabreichter bivalenter, an Omikron BA.4/BA.5 adaptierter mRNA-Impfstoff löste unter den Testbedingungen beim Menschen keine besseren neutralisierenden Antikörperreaktionen aus, als eine Auffrischimpfung mit dem ursprünglichen monovalenten Impfstoff.“
Dr. Qian Wang vom Aaron Diamond Aids Research Center and der Columbia Universität in New York untersuchte mit seinem Team das Neutralisierungspotenzial von bestimmten Seren. Diese stammten von Personen, die nach drei Impfungen mit monovalenten mRNA-Impfstoffen eine vierte Dosis erhielten. Dabei wurden jeweils die Daten von den ursprünglichen monovalenten mRNA-Impfstoffen und den neuen bivalenten Vakzinen ausgewertet. Zusätzlich wurden Personen untersucht, die eine Durchbruchsinfektion mit BA.4/5 erlitten hatten.
Das Neutralisierungspotenzial der Seren wurde bei folgenden Varianten etwa drei bis fünf Wochen nach der Auffrischimpfung getestet:
Bei allen getesteten Varianten konnten keine signifikant höheren Titer an neutralisierenden Antikörpern festgestellt werden. Die Ergebnisse können laut den Autoren auf eine immunologische Prägung hinweisen. Die Daten seien kein abschließendes Urteil, es müssen weitere Studien folgen und beobachtet werden, wie das Immunsystem arbeite, wenn es mehr Zeit habe, auf den Antigenkontakt zu reagieren.
Laut Dr. Alfred Krempelhuber, medizinischer Direktor bei Moderna, unterstreichen neue klinische Daten die Wirksamkeit des Omikron-adaptierten, bivalenten Boosterimpfstoffs. 90 Tage nach der Verabreichung der zweiten Auffrischungsdosis habe sich bei allen Teilnehmer:innen – unabhängig von einer vorherigen Infektion mit dem Coronavirus – eine überlegene neutralisierende Antikörperantwort gegen Omikron BA.1 gezeigt. Darüber hinaus konnte beobachtet werden, dass auch einen Monat nach der Boosterimpfung gegen Omikron BA.4/BA.5 eine signifikant höhere neutralisierende Antikörperreaktion eintrat. Zusätzlich wurden gegen Omikron BA.2.75 starke Immunantworten dokumentiert. Diese Daten können laut Krempelhuber Hinweise darauf sein, dass der bivalente Booster eine breite Kreuzneutralisierung gegen Omikron-Varianten hervorrufen kann.
„Unsere bivalenten Boosterimpfstoffe zeigen weiterhin eine starke Immunantwort gegen neue Covid-19-Varianten“, erläutert Krempelhuber. „Klinische Studiendaten zeigten nun, dass die überlegene Immunantwort, die durch unsere bivalenten Booster hervorgerufen wird, mindestens drei Monate lang anhalten kann. Da Covid-19 weiterhin als globale Bedrohung existiert, ist dies eine ermutigende Entwicklung, die zeigt, dass eine bivalente Auffrischungsdosis eine wichtige Maßnahme in den Wintermonaten darstellt.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) twittert, man könne nur abwarten, ob die an BA.4 und BA.5 angepassten, bivalenten Boosterimpfstoffe länger wirken als die ursprüngliche monovalente Vakzine. Würden sich die Ergebnisse bestätigen, seien den neuen Impfstoffen Grenzen gesetzt, zumindest in Bezug auf den Infektionsschutz.
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