Die Auslieferung der Corona-Impfstoffe könnte chaotischer kaum laufen. Aktuell wissen selbst die Verantwortlichen in den Ländern und beim Großhandel nicht, mit wie vielen Dosen zu rechnen ist. Die Bestellmengen bei Biontech wurden gerade gekürzt, da stellt der Hersteller plötzlich laut Medienberichten ein zusätzliches Kontingent zur Verfügung. In Kürze könnte komplett Schluss sein für dieses Jahr.
Eigentlich schlüsselt das Bundesgesundheitsministerium (BMG) genau auf, welcher Hersteller in welcher Kalenderwoche wie viele Dosen liefert. Doch die aktuelle Tabelle auf der Website des BMG datiert vom 18. November. Dort heißt es zu Biontech:
Auch die für die Verteilung der Impfstoffe verantwortlichen Personen in den Ländern und im Großhandel haben keinen anderen Kenntnisstand. „Wir bekommen teilweise unangekündigt Impfstoff geliefert, den wir dann an Impfstellen liefern, von denen wir noch nie gehört haben“, sagt eine Apothekerin, die für die Verteilung der Vakzine an Impfzentren und Impfteams zuständig ist.
Ähnliches hört man aus den Gesundheitsministerien der Länder: Man verlange vom Bund eine klare Kommunikation, etwa zu den Gründen von Kürzungen, und vor allem die zeitnahe Auslieferung des benötigten Impfstoffs. „Wir haben Kapazitäten, die Bevölkerung zeigt hohe Impfbereitschaft – da darf es zum jetzigen Zeitpunkt nicht am Impfstoff scheitern. Der Bund ist hier uns allen gegenüber in der Pflicht“, erklärte Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne). Das bayerische Gesundheitsministerium räumt auf Nachfrage ein, dass man keinen Überblick über die in dieser Woche ausgelieferten beziehungsweise noch auszuliefernden Mengen bis zum Jahresende übermitteln könne. Das BMG ließ eine Anfrage dazu unbeantwortet, Biontech will die verfügbaren Informationen zusammenzutragen und sich schnellstmöglich zurückmelden.
Fakt ist: Im Herbst wurden 10,2 Millionen Dosen Biontech an Covax gespendet, für diese Woche wurde erstmals wieder Comirnaty zur Verfügung gestellt: Zu den 2,9 Millionen Dosen kamen eine Million Dosen hinzu, die der Hersteller vorab lieferte. Trotzdem mussten die Bestellungen der Praxen um die Hälfte gekürzt werden, denn diese hatten 4,8 Millionen Dosen bestellt. Aktuell melden Spiegel und Tagesspiegel, dass noch in dieser Woche 2,9 Millionen Dosen zusätzlich ausgeliefert werden sollen, die eigentlich für die kommende Woche gedacht waren. Den Praxen hilft das nicht mehr, da sie bereits am Montag beliefert wurden und ihre Termine abgesagt haben.
In der kommenden Woche sollen laut jetzigem Stand trotzdem die bisher angekündigten 2,9 Millionen Dosen ausgeliefert werden. Die Ärzt:innen konnten am Dienstag dafür jeweils nur 30 Dosen bestellen, also fünf Vials. Für die Woche danach stehen laut Planung weitere 2,9 Millionen Dosen zur Verfügung – sofern keine bereits gelieferten Mengen verrechnet werden oder weiterer Impfstoff zur Verfügung gestellt wird. Danach ist Schluss, abgesehen vom Kinderimpfstoff sind keine weiteren Lieferungen in diesem Jahr vorgesehen.
Umso erstaunlicher sind die Zahlen, die der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) unlängst in den Raum warf: Bis zum Jahresende würden noch 24 Millionen Dosen Biontech zur Verfügung stehen, so Spahn. Dazu kämen bis zu 26 Millionen Booster-Dosen Moderna. Das deckt sich aber überhaupt nicht mit den veröffentlichten Prognosen seines Ministeriums, die bestenfalls von zehn Millionen Dosen Biontech und knapp 32 Millionen Dosen Moderna ausgehen, wobei diese Zahl bezogen auf Booster-Impfungen noch verdoppelt werden müsste.
Ein Sprecher des BMG liefert eine eigene Rechnung: In dieser und der vergangenen Woche seien insgesamt 18 Millionen Dosen vom Bund ausgeliefert worden, weitere zehn Millionen Dosen würden in der kommenden Woche folgen. Darüber hinaus stünden noch weitere 25 Millionen Dosen für Booster-Impfungen zur Verfügung.
Im Grunde muss die Auffrischungskampagne bis zum Jahresende überwiegend mit Moderna geführt werden, denn die Vektorimpfstoffe von AstraZeneca und Janssen werden zwar mit großen Mengen von 14 beziehungsweise 26,6 Millionen Dosen geliefert, aber komplett an Covax gespendet. Deutschland verzichtet damit nicht nur auf den bislang bei drei von vier Impfungen eingesetzten Impfstoff, der noch dazu bei der Bevölkerung und auch bei Ärzt:innen das höchste Vertrauen genießt, sondern macht sich obendrein abhängig von einem einzigen Hersteller.
Bereits am vorvergangenen Wochenende soll Spahn laut Bild-Zeitung bei Biontech nach weiteren Zusatzlieferungen gefragt haben. Laut Bericht ist der Hersteller bereit, Deutschland kurzfristig bis zu zehn Millionen Impfdosen außerplanmäßig zu liefern. Dazu würden Lieferungen an andere Staaten umdisponiert und Lieferungen für das kommende Jahr vorgezogen. Natürlich bemühe man sich, die Menge der verfügbaren Dosen weiter zu erhöhen, wird Spahn zitiert. Details wollte er nicht bestätigen: „Halte aber nichts davon, über Zahlen zu spekulieren.“
Allerdings sollte sich das BMG beeilen, die Zahlen schnellstmöglich zu veröffentlichen und in die Planungen einzubeziehen. In den Praxen stehen vielerorts die Telefone nicht mehr still. In zahlreichen Praxen mussten bereits Termine abgesagt werden, was zu extremem Aufwand und erheblichen Frust führt. Gleichzeitig bilden sich vor den hastig aus dem Boden gestampften Impfstellen lange Warteschlangen. Sechs Stunden Anstehen für die Auffrischungsimpfung gehören im Corona-Winter 2021 dazu. Und nach jetzigem Stand wird am 13. Dezember das letzte Mal in diesem Jahr der Impfstoff von Biontech ausgeliefert.
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