Viele Ansteckungen mit dem Coronavirus führen zu milden Krankheitsverläufen. Einige Infizierte erkranken jedoch auch schwer. Bekannt ist bisher ein erhöhtes Risiko für vulnerable Gruppen, wie Menschen ab 60 Jahren oder chronisch Erkrankte. Forschende der Technischen Universität München (TUM) konnten nun mithilfe der Anzahl und Struktur von Blutplättchen noch exakter bestimmen, wie hoch das Risiko für schwere Corona-Verläufe ausfällt.
Zukünftig könnte eine Therapie für Corona-Kranke frühzeitig angepasst werden. Und zwar noch bevor schwere Verläufe auftreten. Denn den Forscher:innen ist es gelungen, einen prognostischen Biomarker für den Schweregrad von Covid-19 zu identifizieren. Anhand einer bereits bekannten Reaktion, die nach Ansteckung im menschlichen Körper abläuft, entwickelten die Experten eine Messmethode, um das Verhalten von Thrombozyten zu beobachten.
Das Virus löst eine Art Verklumpung der Blutplättchen aus. Dies geschieht, wenn sich aufgrund von Immunreaktionen Zellaggregate im Blutkreislauf bilden. Dieses Wissen machte sich das Team um Professor Dr. Oliver Hayden vom Institut für Biomedizinische Elektronik zunutze. Per bildgebender Durchflusszytometrie konnte es belegen, dass Intensivpatient:innen mit einem schweren Covid-Verlauf eine stark erhöhte Konzentration von Blutplättchen-Aggregaten aufweisen.
Im Rahmen der Studie wurden von insgesamt 36 Intensivpatient:innen im Alter zwischen 32 und 83 Jahren Blutproben entnommen. Alle waren mit einer Corona-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert worden und hatten einen mäßigen bis schweren Verlauf. Mithilfe der bildgebenden Durchflusszytometrie konnten die Forschenden so innerhalb von Sekunden tausende Blutzellen abzählen und deren Aggregation beobachten. „Darüber hinaus hat diese Methode den großen Vorteil, dass wir die Proben weder aufbereiten noch markieren müssen, sondern sie direkt und standardisierbar untersuchen können, ohne die Aggregate durch Einwirkung hoher Scherkräfte zu verlieren“, so Hayden.
Das Ergebnis: Schwer erkrankte Patient:innen wiesen im Vergleich zu mäßig erkrankten Proband:innen eine signifikant höhere Anzahl an gebundenen Thrombozyten auf. Auch als die Forschenden die Zusammensetzung der Zellaggregate analysierten, fiel etwas auf: In Abhängigkeit vom Schweregrad der Covid-Erkrankung veränderte sich die Anzahl der Zellaggregate und deren Zusammensetzung graduell und frühzeitig bereits bevor es zu Komplikationen kam. Einige schwer Erkrankte wiesen dabei extrem hohe Werte auf: Bis zu zwei Drittel aller Thrombozyten lagen aggregiert vor. „Im Einklang damit fanden wir deutlich mehr dieser Aggregate bei tödlichen Covid-19-Fällen (durchschnittlich 25,60 Prozent) im Vergleich zu Überlebenden (mittel 13,76 Prozent)“, so der Erstautor.
In Zukunft könnte diese kostengünstige Methode dabei helfen, Wechselwirkungen zwischen Gerinnungssystem und Immunsystem zu quantifizieren, so der Experte. Weiterer Vorteil: „Die patientennahe Messung erlaubt eine unmittelbare Untersuchung nach Blutabnahme, um Alterungseffekte der Blutproben, die selbst zu Aggregaten führen, auszuschließen“, so der Studienleiter. Die Nutzung der Diagnostik von Blutplättchen-Aggregaten kann demnächst helfen, Risikopatient:innen frühzeitig zu identifizieren und besser zu versorgen.
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