Mitterteich

Apotheker unter Ausgangssperre: „Es ist schon gruselig“

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Berlin -

Das bayerische Mitterteich hat ungewollt Bekanntheit erlangt: Am Mittwoch war das 6500-Einwohner-Städtchen in der Oberpfalz der erste Ort in Deutschland, in dem wegen der Sars-CoV-2-Pandemie eine Ausgangssperre verhängt wurde. Seitdem und vorerst bis zum 2. April dürfen die Leute nur noch zur Arbeit und für wichtige Erledigungen vor die Tür gehen, die Polizei kontrolliert in den Straßen. Die beiden Apotheken in der Stadt müssen unterdessen den Betrieb am Laufen halten. „Wir müssen das jetzt durchziehen in der Hoffnung, dass das nach zwei oder drei Wochen Wirkung zeigt“, sagt Inhaber Hartmut Feix.

Es sind Zustände, die sich noch vor kurzem nur wenige vorstellen konnten: Ausgangssperre, Shutdown, die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt durch die sichtbare Staatsmacht in den Straßen. Am Mittwoch hatte das Landratsamt Tirschenreuth die Notbremse gezogen und die Maßnahme bekanntgegeben. Bis dahin waren im umliegenden Landkreis 47 Sars-CoV-2-Infizierte registriert worden, 25 davon in Mitterteich. 15 Patienten sind im Krankenhaus, fünf davon mussten beatmet werden. Mittwoch wurde die Ausgangssperre per Lautsprecherdurchsage verkündet, Donnerstagmorgen fanden die Mitterteicher eine Benachrichtigung in ihren Briefkästen, die sie über die neue Situation aufklärte.

Wer nicht in Mitterteich wohnt, arbeitet oder etwas Wichtiges anliefert, muss seitdem draußen bleiben. An den Zufahrtsstraßen zur Stadt steht die Polizei und kontrolliert. Nicht nur Schulen und Kindergärten sind schon seit Tagen geschlossen, auch das Rathaus und alle gastronomischen Einrichtungen haben dicht gemacht. Das Bayerische Rote Kreuz (BRK) und das örtliche Seniorenbüro packen und liefern bereits Versorgungspakete für 20 bis 30 Euro mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, die insbesondere für Ältere und Angehörige von Risikogruppen gedacht sind – damit die nicht mal zum Einkaufen vor die Tür müssen.

Komplett verwaist ist die Stadt dennoch nicht. „Im Ort selbst ist es sehr ruhig, aber auch nicht komplett. Gelegentlich kommt noch ein Auto, zur Arbeit kann man ja fahren und Bäcker, Metzger und Supermarkt gehen auch noch“, erklärt Feix, der in der Mitterteicher Innenstadt die Neue Apotheke betreibt. „Gespenstisch ist es eher am Abend. Dann ist die Stadt komplett verwaist, es hat ja keine einzige Gaststätte mehr offen.“

Ihn selbst hat es dabei gar nicht so stark getroffen. „Ich kann zur Arbeit laufen und tue das auch“, sagt er. Für seine Mitarbeiterinnen, die aus umliegenden Orten anfahren, gilt das jedoch nicht. Um die hat er sich direkt nach Bekanntgabe der Ausgangssperre gekümmert. „Für meine Mitarbeiterinnen habe ich gleich am Mittwochabend Arbeitsbescheinigungen ausgestellt, damit sie in die Stadt kommen. Die wurden auch gleich am Donnerstagmorgen kontrolliert. Die Polizei hält die Autos an und fragt, welchen Grund sie haben, nach Mitterteich zu fahren. Die Polizei steht nicht in allen Nebenstraßen, aber die Hauptstraßen kontrolliert sie“, erklärt Feix. „Es ist schon gruselig.“

Dennoch: Die Bevölkerung trage die Maßnahmen mit, ohne groß zu murren. „Im Großen und Ganzen gibt es keinen Unmut darüber, man erträgt und akzeptiert es einfach“, erzählt Feix. „Am Anfang war noch vereinzelt zu hören, das wäre alles übertrieben. Aber das hat sich gelegt.“ Vor allem sei es wichtig, dass jeder die Auflagen befolgt – und da seien die Mitterteicher vorbildlich. „Hier werden die Regeln befolgt, hier sind die Leute nur einzeln auf der Straße, zum Einkaufen oder höchstens mal allein auf einem Feldweg zum Spazieren.“ Dass sich Leute in Gruppen den Auflagen widersetzen, wie es derzeit in großen Städten zu beobachten ist – Stichwort: Coronapartys – passiere in Mitterteich hingegen nicht.

Auch in seiner Apotheke spüre er die Folgen des Shutdowns. „Von Anfang der Woche bis Mittwoch hatten wir extrem viel zu tun, seit die Ausgangssperre verhängt wurde, ist es weniger geworden, fast schon normal“, so Feix. An den Problemen, die er zu bewältigen hat, hat das aber nicht viel geändert. „Ansonsten sind wir damit beschäftigt, Ausgangsstoffe für Desinfektionsmittel und Flaschen dafür zu bekommen. Das ist sehr schwierig und ein wahnsinniger Aufwand.“ In der Apotheke hat er die derzeit üblichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen: besondere Hygieneschutzmaßnahmen und Plexiglas über dem HV.

Die Neue Apotheke kommt also gut mit der Situation klar – dennoch hinterfragt Feix die Maßnahmen. „Es ist schon ein krasser Einschnitt“, sagt er. „Ob das jetzt unbedingt der richtige Schritt war, das nur in Mitterteich zu machen, weil es hier im Vergleich zur Einwohnerzahl viele Fälle gibt, kann man zumindest hinterfragen.“ Natürlich sei die Zahl der Infizierten auf die Einwohnerzahl gerechnet hoch, aber in absoluten Zahlen seien sie in anderen Städten weitaus höher. Damit plädiert Feix aber eher für mehr Ausgangssperren als für weniger. „Ich denke, letztendlich müsste das überall so sein, vor allem in großen Städten wie Berlin, München, Stuttgart.“

Auch hier mahnt er aber, vorher sorgfältig abzuwägen. „Es ist eine schwierige Situation, aber trotzdem muss man sich fragen, was verhältnismäßig ist und was nicht“, so Feix. „Man muss auch überlegen, wieweit durch diese Maßnahmen unsere Wirtschaft soweit kaputtgemacht wird, dass wir später noch schlechter dran sind.“

Dass die Krise zu schweren wirtschaftlichen Verwerfungen führen wird, ist immerhin schon ziemlich sicher. „Es ist absolut furchtbar, und natürlich sind wir Apotheken wirtschaftlich gerade eher auf der positiven Seite“, erklärt Feix. „Aber sollten durch einen wirtschaftlichen Zusammenbruch auch die Krankenkassen in Schieflage geraten und nicht mehr zahlen können, sind am Ende auch wir dran.“

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