Amtsärzte: Gesundheitsämter für zweite Welle zu knapp besetzt dpa, 31.07.2020 07:50 Uhr
Die Amtsärzte sehen die Gesundheitsämter in Deutschland nicht für eine zweite Corona-Welle gerüstet. „Für eine zweite Pandemie-Welle sind die Gesundheitsämter viel zu knapp besetzt“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Mit den steigenden Infektionszahlen rollt ein riesiges Problem auf uns zu.“
Die Gesundheitsämter könnten nicht warten, bis die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung zur Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Kraft träten. „Wir brauchen eine kurzfristige Lösung. Wir müssen wissen, wo die Gesundheitsämter im Notfall Verstärkung bekommen.“ Konkret sprach sie sich für ein bundesweites Freiwilligen-Register aus – eine Art Jobbörse, die im Ernstfall Mitarbeiter vermittele, die bereits geschult seien.
Die Gesundheitsämter in Deutschland haben nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) innerhalb eines Tages 902 neue Corona-Infektionen gemeldet. Das ist die höchste Zahl seit Mai – abgesehen vom lokalen Corona-Ausbruch beim Fleischfabrikanten Tönnies im Juni. Seit Beginn der Corona-Krise haben sich somit mindestens 207.828 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert, wie das RKI am Donnerstagnachmittag im Internet meldete (Datenstand 30.7., 0.00 Uhr).
Die Zahl registrierter Neuinfektionen von 902 bedeutet auch für den endenden Juli einen Höchstwert. Bereits zuvor hatte das RKI aufgrund der gestiegenen Zahlen eine Trendumkehr in Deutschland befürchtet.
Als Ursache für den Anstieg nannte RKI-Präsident Lothar Wieler am Dienstag Nachlässigkeit bei der Einhaltung der Verhaltensregeln. Ob es sich um den Beginn einer möglichen zweiten Welle handle, sei unklar. Bis vor einiger Zeit habe man es geschafft, die Fallzahlen stabil bei täglich neu gemeldeten 300 bis 500 Fällen zu halten.
Eine regionale Häufung von Infektionen gibt es derzeit unter anderem in Schleswig-Holstein, in Baden-Württemberg und in Mecklenburg-Vorpommern. Dort sind im Raum Hagenow nach einer Familienfeier mittlerweile 13 Menschen infiziert, wie ein Sprecher des Landkreises Ludwigslust-Parchim mitteilte. Zwischen 150 und 200 Kontaktpersonen seien in Quarantäne, mehr als 100 weitere wurden am Donnerstag getestet. Die Ergebnisse stehen noch aus.
Nach einem Bericht der „Schweriner Volkszeitung“ war wohl eine Baby-Begrüßungsparty mit mehr als 35 Personen der Ursprung. Diese habe zum größten Teil im Freien stattgefunden, wegen des Wetters sei aber auch in einer Garage weitergefeiert worden. Unter den Infizierten ist demnach auch eine Mitarbeiterin des Jobcenters in Hagenow. Es wurde bis auf weiteres komplett geschlossen.
In Sinsheim in Baden-Württemberg haben sich 40 Mitglieder einer christlichen Gemeinde mit dem Coronavirus infiziert. Wie der stellvertretende Leiter des Gesundheitsamtes in Heidelberg mitteilte, wurden bisher 105 Gemeindemitglieder untersucht, nun sollen auch noch die restlichen 77 Mitglieder getestet werden. Nach einer Trauerfeier am 14. Juni in Schwäbisch Gmünd ist die Zahl der Corona-Infizierten weiter gestiegen, mittlerweile wurden 84 Menschen positiv auf das Virus getestet, wie das Landratsamt mitteilte. 24 Erkrankte seien inzwischen wieder gesund.
In Heide im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein sollen von Samstag an wegen stark gestiegener Infektionszahlen wieder strengere Schutzmaßnahmen wie Kontaktbeschränkungen geben, auch öffentliche Veranstaltungen werden vorerst ausgesetzt. Insgesamt gab es in den vergangenen sieben Tagen im Kreis Dithmarschen 44 Neuinfektionen, die meisten davon in Heide. Betroffen waren vor allem Rückkehrer vom West-Balkan und aus Skandinavien.
In Deutschland starben nach den RKI-Angaben bislang 9136 mit dem Virus infizierte Menschen – seit dem Vortag kamen somit sechs neue Todesfälle hinzu. Bis Donnerstagmorgen hatten 191.800 Menschen die Infektion nach RKI-Schätzungen überstanden. Die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, lag nach RKI-Schätzungen in Deutschland bei 1,14 (Vortag: 1,25). Zudem gibt das RKI ein sogenanntes Sieben-Tage-R an. Es bezieht sich auf einen längeren Zeitraum und unterliegt daher weniger tagesaktuellen Schwankungen. Nach RKI-Schätzungen lag dieser Wert bei 1,13 (Vortag: 1,12). Er zeigt das Infektionsgeschehen von vor 8 bis 16 Tagen.
Das RKI weist darauf hin, dass zwischen Bekanntwerden eines Infektionsfalls vor Ort und der Veröffentlichung durch das RKI ein Zeitverzug entsteht, so dass es Abweichungen zu anderen Quellen geben kann. Außerdem kann es aufgrund von Qualitätsprüfungen noch zu Änderungen der tagesaktuellen Daten kommen.