Bis zu 1,8 Milliarden Dosen Corona-Impfstoff hat sich die EU nun noch einmal von Biontech vertraglich zusichern lassen. Doch warum bleiben andere Hersteller, die ebenfalls mit EU-Geldern gefördert wurden, außen vor? Weil sich Biontech und Pfizer bisher als einzige wirklich verlässliche Impfstoffquelle für die EU erwiesen haben, erklärt die Kommission auf Anfrage – und weil sich die mRNA-Impfstoffe als sicherste Investitionen gegen das mutationsfreudige Virus herausgestellt hätten. So setzt Brüssel nun, anders als bislang, alles auf eine Karte.
Kurz bevor das deutsche Unternehmen Curevac – aller Voraussicht nach – die Zulassung für seinen Corona-Impfstoff erhält, schafft die EU-Kommission Fakten und schließt den Mammut-Vertrag mit Biontech: 900 Millionen Dosen Comirnaty hat sie fest bestellt, auf weitere 900 Millionen hat sie eine vertraglich zugesicherte Option. Bis zu 35 Milliarden Euro wird sie dafür ausgeben – Geld, das zu großen Teilen auch aus Deutschland kommt. Gleichzeitig fördern EU und Bundesrepublik mehrere andere einheimische Unternehmen mit hohen Millionensummen, die bisher leer ausgehen. Mehr als eine Milliarde Euro seien bereits in Förderungen für die Impfstoffforschung geflossen und 2,9 Milliarden sollen insgesamt in den Ausbau von Produktionskapazitäten fließen, teilt die Kommission auf Anfrage mit. Biontech macht in der Gesamtrechnung mit 100 Millionen Euro nur einen kleinen Bruchteil davon aus.
Aber warum jetzt der Megadeal, wenn doch andere vielversprechende Impfstoffhersteller schon in den Startlöchern stehen und dem Vernehmen nach günstiger liefern können als Biontech? 19,50 Euro zahlt die EU übereinstimmenden Medienberichten zufolge für den neuen Auftrag; bei den vorherigen Bestellungen hatte sie Cormirnaty zu einem geschätzten Preis von 12 bis 15 Euro bezogen. Zum Vergleich: AstraZeneca liegt unter 2 Euro, Johnson & Johnson bei knapp 7 Euro, Moderna bei knapp 15 Euro. Curevac will für 10 Euro liefern – und im Juni startklar sein. Zumindest diese Zulassung hätte Brüssel doch abwarten können.
Einerseits habe die Entscheidung pharmazeutische Gründe: So müsse nicht nur für den Fall vorgesorgt werden, dass in einem Jahr Auffrischungsimpfungen notwendig sein könnten, sondern die EU will auch an ihrer mRNA-Strategie festhalten: „Die Europäische Kommission setzt auf Biontech, weil der Impfstoff hochwirksam, nebenwirkungsarm und relativ leicht an die Mutationen anzupassen ist“, erklärt dazu Dr. Peter Liese (CSU), gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament.
Auch die Fördergelder für Forschung und Produktion sind zu einem großen Teil an die Entwickler von mRNA-Impfstoffen geflossen – Curevac erhielt dabei mit 75 Millionen Euro sogar nochmal ein Viertel weniger als Biontech. „Unsere Investitionen zahlen sich aus: Wir haben von Anfang an in die vielversprechende, aber komplett neue mRNA-Technologie und in die Genialität von Wissenschaftlern wie Uğur Şahin und Özlem Türeci investiert“, erklärt die EU-Kommission. „Heute sind mRNA-Impfstoffe das Rückgrat unserer Impfkampagne und das Herzstück der europäischen Vorsorgestrategie.“
Damit bezieht sich die Kommission vor allem auf die technischen Möglichkeiten zur Anpassung von mRNA-Impfstoffen an existierende und mögliche zukünftige Virusmutationen: Falls Escape-Varianten auftreten sollten, werde man die Impfstoffe schnell an diese neuen Varianten anpassen müssen – und das müsse nicht nur zügig geschehen, sondern die angepassten Impfstoffe dann auch zeitnah in ausreichender Menge verfügbar sein.
„Vor diesem Hintergrund müssen wir uns auf Technologien konzentrieren, die ihren Wert unter Beweis gestellt haben. Bei mRNA-Impfstoffen ist das eindeutig der Fall“, so die Kommission. Wissenschaftlern zufolge böten Vektorvirenimpfstoffe – wie die von AstraZeneca und Janssen – lediglich eine Lösung für die aktuelle Phase der Pandemie.
Eine Ergänzung auf lange Sicht könnten laut EU zwar auch sogenannte Subunit-Impfstoffe sein, an denen laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) bereits mehrere internationale Unternehmen forschen, darunter die chinesischen Hersteller Clover und Anhui Zhifei Longcom, das Center for Genetic Engineering and Biotechnology (CIGB) auf Kuba und das israelische Unternehmen MigVax. Es werde deshalb in Zukunft auch ein Portfolio unterschiedlicher Technologien geben. Kurz vor der Zulassung steht aber noch keiner der Subunit-Impfstoffe.
Und Curevac? Tatsächlich zählt das Tübinger Unternehmen, das zunächst als Hoffnungsträger galt und an dem neben der Gates-Stiftung sogar der Bund beteiligt ist, neben Biontech, Moderna, AstraZeneca, Janssen und Sanofi zu den sechs Herstellern, mit denen die EU bereits Verträge geschlossen hat. Und die Erwartungen sind groß: Das Unternehmen stellt mit Bayer und anderen Partnern ein riesiges Produktionsnetzwerk auf die Beine. Aber von wem wird der Impfstoff gekauft, wenn die EU sich weit über die Einwohnerzahl hinaus eingedeckt hat? „Sobald die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs unter Beweis gestellt ist, können dem Vertrag entsprechend 225 Millionen Dosen für alle EU-Staaten erworben werden und zusätzlich besteht die Option auf bis zu 180 Millionen weitere Dosen“, erklärt die Kommission. Ob weitere Dosen bestellt werden, dazu gab es keine weiteren Angaben. Bei Curevac ist für Nachfragen dazu seit Tagen niemand zu erreichen.
Neben der pharmazeutisch-wissenschaftlichen Perspektive kommt vorerst das zweite Argument der EU zum Tragen: die Zuverlässigkeit. Man könnte meinen, Brüssel wolle aus den Fehlern der Vergangeheit lernen. „Ich schätze auch das Impfstoffprojekt von Curevac sehr und hoffe, dass es noch vor dem 1. Juli eine Zulassung und erste Lieferungen geben wird, aber letztlich ist Curevac immer noch nicht zugelassen und die Europäische Union musste jetzt vorausschauend handeln“, sagt Liese und erwähnt dabei nicht, dass Curevac in den zurückliegenden Wochen bereits mehrmals davor gewarnt hat, aufgrund von Engpässen bei entscheidenden Vorprodukten wohl vor allem zu Beginn kaum in der Lage zu sein, hunderte Millionen Dosen zu liefern.
Anders sieht es da in Mainz aus – wohl nicht zuletzt durch die Anbindung an den US-Giganten Pfizer. „Insbesondere hat sich Biontech in den letzten Monaten als sehr zuverlässiger Partner bei der Lieferung gezeigt“, sagt Liese. „Ich denke, es ist auch eine Anerkennung für die zuverlässige Lieferung.“
Warum dann aber der dem Vernehmen nach hohe Preis? Dazu will sich die Kommission unter Verweis auf Vertraulichkeitsklauseln nicht äußern, betont aber, dass sie immer noch bessere Konditionen erhalten hat, als es die Mitgliedsstaaten bei einzelnen hätten erreichen können. Außerdem gebe es strengere Liefervereinbarungen, andere Haftungsregeln und Vereinbarungen zur Anpassung des Impfstoffes an neue Virus-Varianten, hieß es aus der Behörde. Und die EU zahle künftig kein Geld mehr zur Produktionsförderung.
Ist eine solche Massenbestellung dann vielleicht auch ein Statement in Richtung USA? Die wollen sich schließlich bei der Welthandelsorganisation für eine Patentaufhebung einsetzen, wogegen sich die EU bisher gewehrt hat. Das Eine habe mit dem Anderen nichts zu tun, sagt Liese. Der aktuelle Biontech-Vertrag sei schon vor einigen Wochen ins Auge gefasst und jetzt nur formalisiert worden. Die Kommission allerdings stellt den Zusammenhang zumindest indirekt selbst her: „Derzeit sind wir überzeugt, dass eine solche Ausnahme vom Schutz des geistigen Eigentums für Corona-Impfstoffe uns dem Ziel einer besseren globalen Versorgung nicht schnell näher bringen würde.“ Wichtiger sei es, die Produktion weiter hochzufahren – und zwar mit ebenjenen Investitionen und Verträgen. Mehr als 50 Produktionsstätten in der EU seien an der Impfstoffproduktion beteiligt, die alle auf freiwilligen Partnerschaften basieren. „Bis Ende des Jahres könnten so weltweit bis zu 10 Milliarden Dosen Covid-Impfstoff produziert werden.“
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