Bottrop 2.0 oder einfach nur Schlamperei? Offenbar wissen auch die beteiligten Ermittler im Zytoskandal von Chemnitz noch nicht so genau, womit sie es zu tun haben. Wohl auch aus diesem Grund sind sie vorsichtig, was öffentliche Äußerungen angeht. Was bislang über den Fall bekannt ist.
In Chemnitz gibt es den Verdacht, dass Krebsmedikamente bei der Herstellung in einer Apotheke falsch dosiert wurden. Nachdem APOTHEKE ADHOC am vergangenen Freitag exklusiv über die Vorgänge berichtet hatte, informierte Regina Kraushaar, Präsidentin der Landesdirektion Sachsen (LDS), noch am selben Tag über den Fall. Ursprünglich war geplant gewesen, zunächst gezielt die Ärzt:innen zu informieren, um eine Verunsicherung in der Öffentlichkeit zu vermeiden.
Der Tipp kam Ende September von einem anonymen Informanten aus der Apotheke: „Wir haben einen Hinweis aus der Mitarbeiterschaft bekommen. Ein Whistleblower hat uns über die Unregelmäßigkeiten bei der Herstellung von Zytostatika informiert“, so Behördensprecher Ingolf Ulrich.
Nachdem der Anfangsverdacht im Raum gestanden hatte, dass Patient:innen zu Schaden kommen könnten, musste die Behörde schnell handeln. Den Vorwürfen sei man sofort nachgegangen – wobei zunächst geklärt werden musste, um welche Apotheke es sich überhaupt handelt: „Das stand zuerst noch nicht fest“, so Ulrich.
Am 6. Oktober wurde die Apotheke schließlich durch Mitarbeiter der LDS, der Staatsanwaltschaft Chemnitz und der Polizei durchsucht. 20 Zubereitungen wurden beschlagnahmt und zur Analyse an ein externes Labor gegeben.
Bislang liegen vorläufige Ergebnisse zu acht Proben vor. Kraushaar sprach von einem „komischen Bild“: Die in der Apotheke hergestellten Zytostatika seien teils überdosiert, teils unterdosiert und teils korrekt dosiert gewesen.
Nach Informationen von APOTHEKE ADHOC war der überwiegende Teil unterdosiert, in einer Zubereitung mit Trastuzumab war sogar überhaupt kein Wirkstoff nachweisbar. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte: „Nach ersten Mitteilungen war in einer der sichergestellten Proben kein Wirkstoff, in einer Probe zu viel Wirkstoff und in mehreren anderen Proben lediglich bis zu 70 bis 80 Prozent Wirkstoff.“
Angesichts der diffusen Ergebnisse wissen auch die Ermittler noch nicht so recht, womit sie es zu tun haben. „Wir können noch nicht einschätzen, was der Grund für das Handeln des Apothekers war“, erklärte Marion Reinhardt, Referatsleiterin Pharmazie bei der LDS in Leipzig, bei der Pressekonferenz. Aus diesem Grund will die Behörde auch den Namen der Apotheke nicht bestätigen – mit Verweis auf schutzwürdige private Interessen.
Dazu kommt, dass bei den regulären Kontrollen keine Auffälligkeiten festgestellt wurden. Normalerweise prüfen die Behörden zwar bei ihren Inspektionen eher die Qualität der Herstellung. Doch ausgerechnet bei der letzten Kontrollen im August wurden laut Ulrich für zwei Wirkstoffe im Rahmen einer Bilanzkontrolle sogar Einkaufs- und Liefermengen abgeglichen. „Bei dieser Kontrolle konnten wir keine Unregelmäßigkeiten feststellen“, so Ulrich.
Der Apotheker selbst war für Nachfragen bislang nicht zu erreichen.
Nach bisherigen Erkenntnissen wurden Sterilrezepturen von der Apotheke an neun Ärzt:innen aus dem Raum Chemnitz geliefert. Diese wurden mittlerweile von der LDS informiert.
Bei der Behörde fürchtet man, dass es weitere Vorfälle in der Vergangenheit gegeben haben könnte. „Wir können nicht ausschließen, dass mangelhafte Medikamente in den vergangenen zwei Jahren verabreicht wurden", so Kraushaar unter Berufung auf Zeugenaussagen. „Der Abgrund bleibender Unsicherheit ist tiefer und dunkler als die konkreten Vorfälle.“
Die Apotheke ist nach wie vor geöffnet, ihr wurde aber die weitere Herstellung untersagt. Dies wurde am Montag auch noch einmal überprüft. Die Versorgung der Praxen hat vorübergehend das Klinikum Chemnitz übernommen. „Die Gefahr ist gebannt“, so Ulrich.
Parallel wurden die Qualifikationen der Mitarbeiter:innen in der Apotheke noch einmal geprüft, auch dies ist mittlerweile ohne weitere Auffälligkeiten abgeschlossen.
Die LDS wartet nun auf die weiteren Ergebnisse des Labors, auf dieser Basis soll eine gutachterliche Stellungnahme ausgearbeitet werden, die auch gerichtsfest ist. Die Analyse kann eine längere Zeit in Anspruch nehmen, sodass kurzfristig wohl nicht mit neuen Erkenntnissen zu rechnen ist.
Bei der Staatsanwaltschaft wird wegen mehrerer möglicher Vergehen ermittelt. Dabei geht es etwa um Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz und um Abrechnungsbetrug, wie Sprecher Jörg Wunderlich erklärt. Wie viele Patienten falsch dosierte Krebsmedikamente bekommen haben, werde derzeit ebenfalls noch ermittelt.
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