Die Vorwürfe sind unglaublich, die Anklageschrift 820 Seiten lang. Im Juli hat die Staatsanwaltschaft Essen beim örtlichen Landgericht Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker aus Bottrop erhoben. Peter S. wird vorgeworfen, jahrelang mit Sterilrezepturen gepanscht zu haben. Laut Staatsanwaltschaft gehen die Ermittler bundesweit von rund 3700 Betroffenen aus. Das Recherchenetzwerk Correctiv hat alle Vorwürfe gegen Peter S. zusammengefasst. Demnach soll der Apotheker auch den Großhändler Noweda betrogen haben.
Dem mutmaßlichen Pfusch-Apotheker Peter S. werden schwere Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz (AMG), gewerbsmäßiger Betrug und versuchte Körperverletzung vorgeworfen. Laut Correctiv soll der Apotheker noch „einen besonders lukrativen Weg gefunden“ haben, mit den Krebsmitteln nebenher Geld zu machen. Demnach soll er etwa das Mittel Xgeva (Denosumab) billig eingekauft haben, um es – offenbar mit manipuliertem Rückgabeschein – an Noweda zurückzuschicken.
Die Genossenschaft hat laut Bericht den vollen Preis für das teurere Präparat zurückerstattet – sogar ohne Rückgabegebühren. Bei der Noweda geht man der Sache nach. Heute sitzt der Vorstand des Großhändlers zusammen, sicher wird auch über den mutmaßlichen Betrug gesprochen.
Wenn Peter S. Xgeva auch noch bei den Krankenkassen abgerechnet hat, hätte er zweimal kassiert. Einmal an der gefälschten Rückgabe, einmal an den kranken Menschen. Nach Angaben der Ermittler hatte die Alte Apotheke im fraglichen Zeitraum eine Rückgabequote von rund 20 Prozent – normal wäre eine Quote von maximal 3 Prozent gewesen“, berichtet Correctiv. Das „Rückgabegeschäft“ habe Peter S. zudem im großen Stil mit Paracetamol und Nasenspray betrieben, heißt es weiter.
Viel schwerer als dieser mutmaßliche Betrug wiegen natürlich die Vorwürfe hinsichtlich der falschen Sterillösungen. Correctiv hat auch hierzu die bisherigen Ergebnisse der Ermittler zusammengestellt. Maßgeblich sind die Aussagen ehemaliger Mitarbeiter, der PTA Marie Klein sowie des kaufmännischen Leiters Martin Porwoll.
Weil Porwoll herausfand, dass Peter S. viel weniger Wirkstoffe eingekauft als abgerechnet hatte, zeigte er seinen Verdacht bei der Staatsanwaltschaft an. Am Morgen des 26. Oktober 2016 brachte Marie Klein eine Sterillösung zur Polizei. Diese war von Peter S. selbst hergestellt worden, aber von der Praxis zur Entsorgung zurückgeliefert worden, weil die Patientin nicht behandelt werden konnte. Das Paul-Ehrlich-lnstitut in Langen prüfte den Inhalt und stellte fest: Der Infusionsbeutel enthielt ausschließlich Kochsalzlösung.
In 61.980 Fällen – so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft – sollen gepantschte Arzneien abgegeben worden sein, heißt es im Bericht. Mehr als ein Dutzend Wirkstoffe sollen betroffen sein, bei denen die Apotheke weniger eingekauft als verkauft haben soll. Bei der Razzia in der Apotheke am 29. November 2016 wurden demnach 117 Medikamente beschlagnahmt. Bei den 29 monoklonalen Antikörpern entsprach nur eine laut PEI-Untersuchungen den üblichen Anforderungen. In fünf der untersuchten Beuteln waren falsche Wirkstoffe enthalten. Als Beispiel nennt Correctiv Pertuzumab anstelle des verordneten Trastuzumab. Wer welchen Wirkstoff bekam, ist laut Bericht nicht nachvollziehbar.
Nach Ansicht der Ermittler soll Peter S. zudem einen illegalen Großhandel für Medizinpräparate betrieben haben, fasst Correctiv zusammen. So habe er zwischen 2013 und 2015 alleine der MPA Pharma diverse Arzneimittel mit einem Nettowarenwert von rund 5,5 Millionen Euro verkauft.
Gegen Peter S. wurde Anklage erhoben. Die Vorwürfe lauten: gewerbsmäßiger Betrug mit einem Schaden von rund 56 Millionen Euro, versuchte Körperverletzung in 27 Fällen, sowie Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz.
Von den etwa 3700 mutmaßlich betroffenen Patienten wurde ein Großteil noch nicht informiert, berichtet das ARD-Magazin Panorama. Die Gesundheitsbehörden hätten sich darauf verlassen, dass die Ärzte und Kliniken diese Menschen unterrichten. Die meisten Fälle soll es demnach in Nordrhein-Westfalen geben, jedoch auch Abnehmer in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Saarland, Sachsen und Niedersachsen.
Da die Staatsanwaltschaft nur die strafrechtlich relevanten – da noch nicht verjährten – vergangenen fünf Jahre auswertet, könnte die Zahl der Betroffenen laut Panorama und Correctiv noch größer sein: Denn seit 2005 habe der Apotheker mehr als 7300 Menschen mit den 49 Wirkstoffen beliefert, die sich derzeit auf der Liste der manipulierten Wirkstoffe des Bottroper Gesundheitsamtes finden.
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