Actavis muss Apotheker nicht ausliefern Alexander Müller, 27.09.2016 09:24 Uhr
In Preisverhandlungen ist ein Informationsvorsprung besonders wertvoll. Deshalb streben die Kassen nach absoluter Transparenz im Bereich der Zytostatikarezepturen. Doch mit seinem Auskunftsanspruch ist der GKV-Spitzenverband aus Sicht des Landessozialgerichts München (LSG) zu weit gegangen. Hersteller müssen vor den Kassen nicht komplett die Hosen herunter lassen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Preise für Fertigarzneimittel in Sterilrezepturen unterliegen seit 2009 nicht mehr dem einheitlichen Abgabepreis. Die Apotheken dürfen mit den Herstellern Rabatte aushandeln, die Krankenkassen vereinbaren in der Hilfstaxe mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) Abschläge. Der Gesetzgeber hat die Kassen für die Verhandlungen munitioniert: Mit dem AMNOG hat der GKV-Spitzenverband 2011 das Recht erhalten, bei Apotheken und Herstellern die Einkaufskonditionen abzufragen.
Allerdings beißen die Kassen auf Granit, wenn die Apotheken ihrerseits Herstellbetriebe beauftragt haben. Denn diese stellen nur die Gesamtleistung in Rechnung. Oder die Apotheken kaufen über einen Verbund zum Listenpreis ein und der Verbund schüttet am Jahresende Gewinne an die Apotheker aus.
Doch schon 2013 versuchte der GKV-Spitzenverband auch au anderem Wege an verlässliche Zahlungen für die Verhandlungen mit dem DAV zu kommen: Der Kassenverband fragte direkt beim Hersteller Actavis – heute Puren – nach, zu welchen Konditionen dieser an Apotheken, Großhändler und Herstellbetriebe geliefert hatte.
Konkret ging es um die Wirkstoffe Docetaxel und Paclitaxel. Der GKV-Spitzenveband wollte den Hersteller mit einem Verwaltungsakt zwingen, die tatsächlichen Verkaufskonditionen für sämtliche Arzneimittel mit diesen beiden Wirkstoffen für den Monat Januar 2013 mitzuteilen. Actavis widersprach: Das Auskunftsersuchen des GKV-Spitzenverbands sei vom Gesetz nicht gedeckt.
Tatsächlich war der Anspruch der Kassen umfangreich. Im Mai 2013 wurde der angekündigte Bescheid erlassen: Der Hersteller sollte Datum des Lieferscheins, Pharmazentralnummer, Produktbezeichnung, Packungsgröße und die Anzahl der Packungen pro Lieferung angeben und zwar für jeden Geschäftspartner im fraglichen Zeitraum. Bei diesen sollte zwischen Apotheke, Großhändler und Herstellbetrieb unterschieden werden. Actavis hätte jeweils eine Pseudonym für die Geschäftspartner erfinden können.
Und natürlich das Wichtigste: Der GKV-Spitzenverband will die Nettopreise sehen sowie eine Aufstellung sämtlicher gewährter oder noch zu gewährender Einkaufsvorteile, also etwa Preisnachlässe, Rabatte, Rückvergütungen, Umsatz- oder Gewinnbeteiligungen, Bonifikationen oder sonstige geldwerte Vorteile. Ein enstprechender Bearbeitungsbogen für Actavis lag dem Bescheid des Kassenverbands bei.
Actavis schickte im Juli eine Aufstellung mit Preisspannen inklusive Durchschnittspreis für den fraglichen Monat. Gegen den folgenden Widerspruchsbescheid klagte der Hersteller vor dem Sozialgericht München. Im September wurde der Anspruch des GKV-Spitzenverbands vom Gericht zurückgewiesen. Zwischen Kasse und Hersteller gebe es kein Über-/Unterordnungsverhältnis, der GKV-Spitzenverband habe keinen Auskunftsanspruch.
Die Kassen gingen in Berufung, hatten aber auch vor dem LSG keinen Erfolg. Zwar darf der GKV-Spitzenverband von den Herstellern laut Gericht durchaus Zahlen anfragen, weil das Sozialgesetzbuch diesen Fall explizit regele. Das Gesetz sehe „eine ausdrückliche Befugnis zur Auskunftserteilung vor“, heißt es in den jetzt vorliegenden Gründen des Urteils vom 24. Mai 2016.
In formeller Hinsicht sei das Vorgehen der Kassen daher – anders als die Vorinstanz entschieden hatte – nicht zu beanstanden, so das LSG. Jedoch müsse der Hersteller keine Informationen liefern, die über die das Schreiben aus dem Juli hinausgingen. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes könne die Übermittlung von Durchschnittspreisen ausreichend sein, heißt es. Zu Einzelrechnungen und Lieferscheinen sei jedenfalls nichts konkretes geregelt.
Der Hersteller müsse zudem nur die Abgabepreise für Fertigarzneimittel offenlegen, von denen er sicher wisse, dass sie für die Herstellung parenteraler Zubereitungen verwendet werden. Die Kassen hatten aber nach allen Arzneimitteln mit dem betroffenen Wirkstoff gefragt.
Das LSG unterstützt zudem die Position des Sozialgerichts Reutlingen in einem früheren Rechtsstreit, wonach der Durchgriff auf Herstellbetriebe und Großhändler nicht möglich ist. Den Auskunftsanspruch hätten die Kassen laut Gesetz nur gegenüber Apothekern und Herstellern. Der „Umweg“, über den Hersteller an die Konditionen der Herstellbetriebe zu kommen, sei den Kassen demnach ebenfalls versperrt, so das LSG.
Das Interesse der Kassen an den gewährten Rabatten können die Sozialrichter durchaus verstehen. Ein Anspruch lasse sich aber mit geltendem Recht nicht begründen. Für einen Marktüberblick dürfte es aus Sicht der Richter auch ausreichen, wenn die Kassen die Preise von Actavis mit einigen Apotheken mit großem und kleinem Herstellungsvolumen bekämen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der GKV-Spitzenverband kann noch Revision zum Bundessozialgericht (BSG) einlegen.