Apotheker-Skandal

Zyto-Pfusch: „Grenzenlose Menschenverachtung“

, , Uhr aktualisiert am 13.11.2017 14:46 Uhr
Berlin -

Im Prozess um mutmaßlich gestreckte Krebsmedikamente hat ein Nebenklage-Anwalt die Zuständigkeit des Gerichts infrage gestellt. Dass der angeklagte Apotheker Peter S. Medikamente gepanscht habe, sei ein Mordversuch aus Habgier, argumentierte Siegmund Benecken, der eine der betroffenen Frauen vertritt.

Das Verfahren gehört laut Benecken deshalb vor das Schwurgericht, das über entsprechend schwerwiegende Anschuldigungen verhandelt. Der Prozess startete heute aber vor der 21. Wirtschaftsstrafkammer des Essener Landgerichts. Der Schwerpunkt liegt zunächst auf dem Vorwurf des Abrechnungsbetrugs. Der Anwalt der Nebenklage hatte zuvor betont, der Angeklagte habe „aus grenzenloser Menschenverachtung und eiskaltem Gewinnstreben“ gehandelt und dabei in Kauf genommen, dass Krebspatienten früher stürben. Ein zweiter Anwalt der Nebenklage forderte ebenfalls eine Verlegung des Prozesses.

Einem Bericht der Rheinischen Post (RP) zufolge halten die Nebenkläger außerdem einen der beiden Schöffen für ungeeignet, weil er selbst jahrelang in einer Apotheke in Bottrop gearbeitet haben soll und daher S. zu gut kenne. Am Nachmittag erklärte der Pharmazeut laut Correctiv, er sei tatsächlich von 1975 bis 1983 in der Apotheke angestellt gewesen, S. aber nur vom Sehen gekannt. Lediglich die Eltern habe er gegrüßt, wenn er ihnen begegnet sei. Im Übrigen werde seine Frau selbst seit drei Jahren in einer onkologischen Praxis behandelt, habe aber zu keinem Zeitpunkt Medikamente aus der Alten Apotheke erhalten.

Bei der Verlesung der Anklage wurden die mathematischen Beweise zusammengefasst vorgetragen. Mehr als 800 Seiten umfasst die Anklageschrift, der überwiegende Teil enthält Tabellen mit Einkaufs- und Abrechnungsmengen. Knapp 62.000 Infusionen soll S. gepanscht haben, der Gesamtschaden für die Kassen beläuft sich demnach auf 56 Millionen Euro. Bei 35 besonders hochpreisigen Wirkstoffen sollen bis zu 80 Prozent unterdosiert gewesen sein.

60 Fälle sind mit Wirkstoff, verschriebener und tatsächlich enthaltener Dosis sowie Name des Patienten dokumentiert. Laut RP-Bericht starren die Nebenkläger bei der Verlesung ins Leere. „Peter S. sitzt da, zwischen seinen vier Verteidigern, und guckt so ausdruckslos, als habe er mit alledem nichts zu tun.“ Ob der Angeklagte im Laufe des Prozesses sein Schweigen bricht und sich erstmals zu den Vorwürfen äußert, blieb zunächst unklar.

Um nicht wegen ausbleibender Nebenwirkungen oder Farbabweichungen aufzufallen, soll der 47-Jährige beim Verdünnen und Panschen großen Wert darauf gelegt haben, dass „immerhin ein wenig Wirkstoff in den Infusionsbeuteln vorhanden war“, heißt es in der Anklage. Laut Westdeutscher Allgemeiner Zeitung (WAZ) wurde S. noch vor dem Prozessauftakt vom Essener Gefängnis in die JVA Wuppertal verlegt. Offenbar gab es Hinweise darauf, dass der Apotheker Repressionen zu befürchten hatte.

Die Staatsanwaltschaft hatte am 11. Juli Anklage gegen den 47-jährigen Apotheker erhoben. S. wird vorgeworfen, von Anfang 2012 bis zu seiner Festnahme am 29. November 2016 bei der Herstellung von Sterilrezepturen von den geltenden Herstellungsregeln und ärztlichen Verordnungen abgewichen zu sein. Betroffen sind den Ermittlungen zufolge Patienten von 37 Ärzten, Praxen und Kliniken in sechs Bundesländern, die meisten in Nordrhein-Westfalen. Lieferungen gingen aber auch an jeweils eine Klinik oder Praxis in Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Sachsen.

Jeder einzelne Fall wird als besonders schwerer Fall des Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz (AMG) qualifiziert – hier drohen jeweils bis zu zehn Jahre Haft. Diese Fälle umfassen alle Abgaben von Zubereitungen aus einer Liste von 35 Medikamenten, bei denen die Staatsanwaltschaft signifikante Mengenabweichungen bei Einkauf und Abrechnung festgestellt hat. Bei der Festnahme wurden zum Teil Präparate mit weiteren Wirkstoffen sichergestellt.

Aufgeflogen war der mutmaßliche Betrug dank zweier ehemaliger Mitarbeiter: Marie Klein und Martin Porwoll hatten Beweise gesammelt und waren dann als Whistleblower an der Aufklärung des Skandals beteiligt. Sie hatten sich ausführlich gegenüber Correctiv geäußert.

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