Retax in Raten Alexander Müller, 28.01.2016 14:07 Uhr
Nach dem „Zyto-Urteil“ des Bundessozialgerichts (BSG) drohen etwa 15 Apotheken in Hessen hohe Nachzahlungen an die AOK. Doch die Kasse wird die zum Teil siebenstelligen Beträge dem Vernehmen nach nicht auf einen Schlag einziehen. Zum Teil wurden mit den Apothekern schon im Vorfeld Vereinbarungen getroffen, die eine Retaxation nach normalem Muster ausschließen.
Die AOK Hessen hatte Ende 2013 exklusive Zuschläge für die Zytostatika-Versorgung geschlossen. In der Folge hatte die Kasse Apotheken retaxiert, die ohne Vertrag Praxen mit Sterilrezepturen belieferten. Die Apotheker klagten – und verloren vor dem BSG. Die Richter in Kassel entschieden in letzter Instanz, dass Krebspatienten in diesem Fall keinen Anspruch auf eine freie Apothekenwahl haben und dass die Kasse einen Vertragspartner vorgeben durfte. Da die AOK die Apotheken zudem auf die Verträge hingewiesen hatte, durfte sie laut BSG auch retaxieren.
Für die betroffenen Apotheker ist das eine Katastrophe, da sie ihre Patienten teilweise während der gesamten Vertragslaufzeit weiter versorgt haben. Nach der Entscheidung kann die Kasse ihre Ansprüche jetzt realisieren. Dem Vernehmen nach wird die Kasse die Retaxierungen aber über mehrere Monate verteilen.
Mehrere betroffene Apotheker hatten mit der AOK sogar schon vor der Gerichtsverhandlung im November einen Deal geschlossen, mit dem sich beide Seiten abgesichert hatten. Die Apotheker bekommen nicht den vollen Betrag abgezogen, die AOK hätte im Fall einer Niederlage vor dem BSG einen Abschlag auf die zu erstattenden Rezepturen erhalten.
Über die Höhe der jeweiligen Abschläge wurde Stillschweigen vereinbart. Da man sich nicht auf einen außergerichtlichen Vergleich verständigen konnte, dürften die jeweiligen Restbeträge jedenfalls deutlich auseinander liegen. Seit der mündlichen Verhandlung ist immerhin bekannt, dass die AOK mit ihren eigentlichen Rabattpartnern etwa ein Drittel der Kosten eingespart hätte.
Teil der Vereinbarung ist außerdem, dass die Kasse nicht freihändig die fälligen Beträge mit offenen Forderungen der Apotheken verrechnen darf – wie das bei Retaxationen normalerweise der Fall ist. Beide Seiten müssen sich jetzt auf Modalitäten der Absetzung einigen. Ihre Forderungen hat die Kasse gemäß der Vereinbarung offenbar schon kommuniziert.
Schlechter sieht es auf jeden Fall für alle Apotheker aus, die Alles-oder-Nichts gespielt haben und auf den Deal mit der Kasse nicht eingegangen sind. Sie erwartet vermutlich die Vollabsetzung der Beträge und sie haben keinen Anspruch auf eine zeitliche Befristung. Ob die Kasse auch in diesen Fällen längere Fristen gewährt, ist nicht bekannt.
Ein Sprecher der AOK Hessen teilte auf Nachfrage mit: „Freilich befinden wir uns im Dialog mit den betroffenen Apotheken.“ Leider könne man in der Sache keine näheren Auskünfte erteilen. Ohnehin liege die Urteilsbegründung des BSG noch gar nicht vor.
Der Hessische Apothekerverband (HAV) hat mit der Abwicklung nichts mehr zu tun. Der Verband hatte zwar die Einspruchverfahren für die Apotheker übernommen, aber sich schon aus den Vereinbarungen einzelner Apotheker mit der AOK herausgehalten. Das war schon aus kartellrechtlichen Gründen geboten.
Unabhängig von den Retaxierungen wäre der Weg frei für eine neue Zyto-Ausschreibung der AOK. Auch beim HAV rechnet man damit, dass die Kasse demnächst neue Vertragspartner sucht. Immerhin war die Rechtsmeinung der AOK in Kassel durchgewinkt worden, so dass die Kasse ihre Verträge künftig mit Nachdruck durchsetzen kann.