Zyto-Apotheke soll Partikel zählen Patrick Hollstein, 22.03.2022 12:23 Uhr
Die Westfalen Apotheke in Hamm stellt Zytostatika her – und achtet dabei penibel auf alle Vorgaben. Nur einen Partikelzähler gibt es in der Werkbank nicht, was Inhaber Hans-Joachim Krings-Grimm vor einiger Zeit Ärger mit der zuständigen Amtsapothekerin einbrachte. Er muss laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg nachrüsten, will aber in Berufung gehen.
In der Apotheke werden parenterale Zubereitungen hergestellt, die Werkbank ist seit 1997 in Betrieb. Nachdem er die Apotheke 2015 übernommen hatte, ließ Krings-Grimm seine Reinräume regelmäßig requalifizieren, Beanstandungen gab es dabei nicht. Auch die vorgegebenen Werte zur Partikelzahl in der Luft wurden laut den Prüfberichten eingehalten. Eine an der Sicherheitswerkbank durchgeführte Routinewartung ergab „keine erkennbaren Mängel“.
Doch im April 2018 rügte das Gesundheitsamt nach einer Regelinspektion in der Apotheke, dass die Sicherheitswerkbank keinen Partikelzähler enthalte. Eine Partikelmessung erfolge lediglich im halbjährlichen Turnus im Rahmen der Qualifizierungen sowie bei der einmal jährlich erfolgenden Wartung der Sicherheitswerkbank. Die mittlerweile pensionierte Amtsapothekerin setzte den Inhaber darüber in Kenntnis, dass nach den Vorgaben des NRW-Gesundheitsministeriums (MAGS) eine kontinuierliche Partikelmessung erforderlich sei. Er solle nachrüsten, anderenfalls wurde ihm ein Zwangsgeld in Höhe von 1000 Euro angedroht.
Die Pflicht ergebe sich aus § 35 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO): „Die Reinraumbedingungen sind durch geeignete Kontrollen der Luft, kritischer Oberflächen und des Personals anhand von Partikel- und Keimzahlbestimmungen während der Herstellung in offenen Systemen zu überprüfen.“ Eine kontinuierliche Partikelmessung entspreche den anerkannten pharmazeutischen Regeln, insbesondere der Guten Herstellungspraxis (GMP), und sei von grundsätzlicher Bedeutung für eine qualitätsgesicherte Sterilherstellung.
Arbeit in geschlossenen Gefäßen
Der Apotheker hält dagegen: Eine kontinuierliche Partikelmessung sei weder im Gesetz angelegt noch geboten, da sich aus ihr keine zusätzliche Patientensicherheit ergebe. Anders als etwa bei der Chipherstellung werde nicht in einem offenen System gearbeitet, erklärt er seine Sicht auf Nachfrage: „Ich entnehme den Wirkstoff mittels Spritze aus einer verschlossenen Flasche und gebe ihn in die Trägerlösung, die ebenfalls verschlossen ist.“ Insofern sei auszuschließen, dass bei der Herstellung irgendwelche Stäube entstehen oder zu einer Kontamination führen könnten.
Vielmehr führe eine solche Messung nur zu einer „scheinbaren Sicherheit“, da nur ein minimaler Teil der Arbeitsfläche überhaupt erfasst werde: Der vorgeschriebene Zähler könne nur die Partikel messen, die sich in einem Bereich direkt oberhalb der Sonde befänden. Die überwachte Fläche von maximal 36 cm² mache bei einer Werkbankfläche von 12.600 cm² lediglich 0,3 Prozent der Filterfläche aus; bei Verwendung einer üblichen Arbeitsunterlage in der Werkbank von 2300 cm² liege der durch die Sonde überwachte Anteil bei 1,6 Prozent. Zudem müssten sich die unter der Werkbank freigesetzten Partikel gegen die laminare Luftströmung von 0,45 m/s bewegen, um überhaupt von der Sonde erfasst zu werden; dies könne jedoch überhaupt nur bei Zusammenspiel sehr vieler Zufallsfaktoren geschehen.
Für den Prozess holte er sogar ein Gutachten beim Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker (ZL) ein, doch das Gericht sah die Sache anders: Die Überprüfung dieser Reinraumbedingungen habe während eines jeden Herstellungsvorganges zu erfolgen; die kontinuierliche Bestimmung der Partikelzahl stelle für die Überwachung der Reinraumbedingungen hinsichtlich der Partikel in der Luft eine geeignete Kontrolle dar.
Verweis auf Inprozesskontrollen
Für eine kontinuierliche Partikelzählung bei jedem Herstellungsvorgang spreche bereits der Wortlaut der Vorschrift, wonach „während der Zubereitung und Abfüllung“ der entsprechende Luftreinheitsgrad hinsichtlich der Partikelzahl „einzuhalten“ sei. Dafür spreche auch, dass hinsichtlich der im Qualitätsmanagementsystem festzulegenden Herstellungsanweisungen und -protokolle unter anderem auf § 7 ApBetrO verwiesen werde, wo Inprozesskontrollen erwähnt würden. „Bei der Herstellung von sterilen Arzneimitteln, insbesondere Parenteralia, ist die Überwachung der Umgebung oder der Ausrüstung Teil der Inprozesskontrollen“, so das Gericht.
Dies gebe dem Apotheker vor Beendigung der Herstellung die Gelegenheit, „in den Herstellungsprozess korrigierend einzugreifen“, heißt es weiter. „Sie sollen hinsichtlich der Überwachung der Umgebung sicherstellen, dass die notwendigen Reinraumbedingungen während der Herstellung eingehalten werden. Daher sind die Inprozesskontrollen gerade für die Herstellung von Arzneimitteln zur parenteralen Anwendung wichtig.“ Dass Warn- und Aktionsgrenzen für Partikel- und Keimzahl festzulegen seien, spreche ebenfalls dafür, sie bei jedem Herstellungsvorgang durchzuführen.
Generell gehe die Herstellung von Arzneimitteln in offenen Systemen mit dem Risiko einer Partikelverunreinigung einher. „Dass Partikel – ungeachtet ihres Ursprungs – ab einer bestimmten Anzahl in Korrelation zu ihrer Größe grundsätzlich geeignet sind, die angestrebte Qualität und insbesondere Sterilität des Arzneimittels zu schmälern, ergibt sich schon daraus, dass der Verordnungsgeber unter Bezugnahme auf den Anhang 1 des EU-GMP Leitfadens für sie Grenzwerte festgesetzt hat. Wären Partikel vollkommen unschädlich für die Produktqualität, bedürfte es einer solchen Regelung indes nicht.“
Während andere Kolleg:innen nachgerüstet haben, will Krings-Grimm weiter kämpfen. Er werde in Berufung gehen, kündigt er an. Sein Anwalt Dr. Johannes Kevekordes moniert, dass sich das Gericht mit seiner Tatsachenbewertung in Gegensatz zu der gerichtlichen Sachverständigen gesetzt hat, ohne darauf hinzuweisen oder sich damit auseinanderzusetzen. Außerdem hätten die Richter die Beweislast unzulässigerweise umgekehrt: So habe das Gericht nicht geprüft, ob es eine anhand praktischer Vernunft anzunehmende Wahrscheinlichkeit gibt, dass die Probeentnahmesonde der Produktsicherheit dient, sondern vielmehr den aus seiner Sicht nicht haltbaren Rechtssatz aufgestellt, dass die Anordnung der Installation der Probeentnahmesonde geeignet sei, solange nicht feststehe, dass sie ungeeignet sei beziehungsweise unter keinen Umständen die Entdeckung einer relevanten Partikelverunreinigung des Arzneimittels und damit die Arzneimittelsicherheit fördern könnte..
Der Rechtsstreit betrifft aus Sicht des Anwalts nicht nur alle zytostatikaherstellenden Apotheken in NRW, sondern dürfte auch für die Praxis der Apothekenaufsicht in den anderen Bundesländern von Bedeutung sein, da die angegriffene Verfügung der Stadt Hamm auf einem Erlass des Ministeriums beruhte.