Gelegentlich muss Apotheker Volker Articus seine Arzneimittel über der Nordsee-Insel Pellworm sogar vom Flugzeug abwerfen lassen. Dann geht mal wieder gar nichts mehr wegen dem Wetter. Oder die Nordsee ist vereist und die Fähren können die Großhandelswannen nicht mehr mitnehmen. Pellworm liegt 28 Kilometer von der Küstenstadt Husum entfernt. Dort betreibt Articus mit der Pellwormer-Apotheke eine der wenigen Zweigapotheken Deutschlands.
1986 hat er die Pellwormer-Apotheke auf der drittgrößten Nordseeinsel eröffnet. Zuvor lief die Arzneimittelversorgung der Einwohner über den ansässigen Arzt, als der noch dispensieren durfte. „Weil die Menschen dort versorgt werden müssen, habe ich die Zweigapotheke eröffnet“, erzählt Articus. Anfangs sei das ein Zuschussgeschäft gewesen. Auf der Insel leben knapp 1700 Menschen in gut 600 Haushalten, die meisten sind Landwirte. Milchkühe und Mastbullen weiden auf den weiten Wiesen der 37 Quadratkilometer großen, fast runden Insel. Aus der Biomasse wird auch Strom produziert.
Wären aber die Touristen nicht, hätte Articus die Zweigapotheke wahrscheinlich längst schließen müssen: „Anfangs lief das Geschäft nur schleppend, ich habe Geld zugeschossen“, so Articus. Inzwischen kommen vor allem im Sommer viele Gäste auf die Insel. Dort gibt es 2000 Gästebetten und 160.000 Übernachtungen pro Jahr. „Wir müssen im Sommer unser Geld für das ganze Jahr verdienen.“
Denn die Pellwormer-Apotheke ist an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr dienstbereit. Vor 8 bis 18 Uhr stehen die Türen offen. Geführt wird die Zweigapotheke von Apothekerin Christiane Hain, zeitweise hilft eine PTA aus. Hain ist für Articus ein richtiger Glücksfall: Sie liebt das Inselleben, hat sich dort niedergelassen und ein Haus gekauft. Nur so kann sie die ständige Dienstbereitschaft überhaupt bewältigen.
Schwierig wird es nur, wenn Hain in Urlaub geht. Dann müssen Kollegen von der Schwan-Apotheke in Husum einspringen, die Articus als Hauptapotheke führt. Früher bereitete die Lieferung der Arzneimittel regelmäßig Probleme. Die Fähren konnten nur bei Flut auslaufen, man war von den Gezeiten abhängig. Inzwischen wurde für die Touristen ein gezeitenunabhängiger Fähranleger gebaut. Jetzt kann täglich ohne Rücksicht auf den Wasserstand geliefert werden.
Dann werden die Kisten des Großhandels auf die Fähre gepackt und in Pellworm von Hain abgeholt. Wenn bei Sturm und hoher See die Fähren mal nicht auslaufen können, fällt die Lieferung aus. Das kommt zwar nicht so häufig vor, aber trotzdem jedes Jahr mehrere Tage. In ganz dringenden Fällen hilft dann schon mal die Motorsportfluggruppe Husum aus. „Wir haben auch schon Arzneimittel vom Flieger abgeworfen“, erinnert sich Articus.
Es gibt nicht mehr viele Zweigapotheken in Deutschland – laut ABDA elf an der Zahl. Sie gehören neben den Notapotheken zu den Ausnahmen, um die flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Für sie gelten laut Apothekengesetz (ApoG) besondere Regeln. Tritt ein Notstand in der Arzneimittelversorgung ein, dürfen die zuständigen Behörden dem Inhaber einer nahe gelegenen Apotheke den Betrieb einer Zweigapotheke erlauben.
Eine Zweigapotheke muss laut ApoG mindestens aus einer Offizin, ausreichendem Lagerraum und einem Nachtdienstzimmer bestehen. Eine Mindestgröße ist nicht vorgegeben, auch ein Labor ist nicht Pflicht.
Ein Apotheker darf maximal eine Zweigapotheke führen. Die Erlaubnis für deren Betrieb erhält er von der zuständigen Behörde für fünf Jahre – danach muss er sie neu beantragen. Im Laufe des Genehmigungsverfahrens wird auch die jeweilige Apothekerkammer hinzugezogen, die die Notwendigkeit der Zweigapotheke begründet. Die wenigen Zweigapotheken finden sich in Schleswig-Holstein und in Flächenländern wie Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt.
In der Altmark betreibt Stephan Schwieterka ebenfalls eine Zweigapotheke: die Einhorn-Apotheke in Goldbeck. Für den Apotheker bieten sich mehrere Vorteile: „In der Einhorn-Apotheke brauche ich kein Labor vorzuhalten, Identitätsprüfungen werden in der Hauptapotheke durchgeführt“, erklärt er. Außerdem spart er beim Mitgliedsbeitrag für den Apothekerverband, da dieser nicht für zwei einzelne Apotheken erhoben wird, sondern für den summierten Umsatz.
Da Schwieterka zwar zwei Apotheken besitzt, aber keinen Filialverbund führt, kann er sich weiterhin von einem Pharmazieingenieur vertreten lassen. Bis 1992 konnte die Zweigapotheke sogar von einem Pharmazieingenieur geführt werden, das ist aber nicht mehr möglich.
In Arneburg und Goldbeck leben jeweils rund 1500 Menschen. Schwieterka versorgt aber auch die umliegenden Dörfer. Daher ist der kostenlose Botendienst besonders wichtig: „Wir kommen mit vier Autos auf insgesamt 60.000 Kilometer im Jahr“, so Schwieterka. Außerdem betreibt er insgesamt drei Rezeptsammelstellen im Umkreis.
Auch die Zweigapotheke ist in den Elf-Tage-Rhythmus eingebunden, alle fünf bis sechs Tage hat Schwieterka Dienst. „In beiden Apotheken ist dann wenig los, darum bin ich sehr froh über die Notdienstpauschale“, sagt er. Im Jahr erhält er rund 11.000 Euro aus dem Topf. Schwieterka kann dem Landleben aber auch Positives abgewinnen: „Man muss sich nicht mit der Konkurrenz rumärgern und kann es sich leisten, nicht in die OTC-Rabattschlacht einzusteigen.“
Insgesamt sieht sich der Apotheker in einer glücklichen Lage: „Die Apotheke liegt in einem regionalen Zentrum“, erklärt er. Selbst aus dem 15 Kilometer entfernten Stendal kämen Patienten. Er kann die Einhorn-Apotheke somit halten, obwohl es in Goldbeck schon seit Jahren keinen Arzt mehr gibt. Immerhin: Schwieterka hat vor drei Jahren die Genehmigung erhalten, die Einhorn-Apotheke weitere fünf Jahre als Zweigapotheke zu führen. Wahrscheinlich könnte er die Apotheke auch als Filiale halten, schätzt er. „Aber die Decke wird dünner.“
Seine Zweigapotheke in eine „normale Filiale“ umwandeln musste hingegen Apotheker Andreas Portugal im mecklenburg-vorpommerischen Tutow. Nach 30 Jahre entzog die Behörde dem Apotheker 2004 die Genehmigung zum Betrieb der Zweigapotheke – mit Verweis auf die neu geschaffene Möglichkeit, eine Filiale betreiben zu dürfen. Für Portugal war das kein größeres Problem: Er konnte Labor und Rezeptur in den bestehenden Räumen unterbringen. Von der Apotheke in Tutow aus versorgt er einen Pflegedienst und ein Pflegeheim im Ort. In der Apotheke sind meist zwei Mitarbeiter anwesend, ein Apotheker und ein Facharbeiter oder PTA. Rezepturen fertigt Portugal in seiner Filiale aber nicht. „Die mache ich in der Hauptapotheke.“ Seine „Apotheke Zu den drei Rosen“ liegt in Jarnen, knapp 20 Kilometer südlich von Greifwald.
Die einzige saisonale Zweigapotheke Deutschlands befindet sich auf Baltrum. Die Insel-Apotheke gehört Silke Hellberg, Inhaberin der Apotheke Dornum auf dem Festland. Hellberg darf nicht nur auf eine Rezeptur und ein Labor verzichten. Im Winter von November bis April, also außerhalb der Urlaubssaison, wird die Apotheke nur als Rezeptsammelstelle betrieben. Sie ist dann täglich von 11.30 bis 12 Uhr geöffnet. Patienten können dort Medikamentenbestellungen abgeben, die per Fax auf dem Festland geordert werden und meist schon am nächsten Tag abholbereit sind.
Nach ApoG möglich ist auch die Einrichtung einer Notapotheke: Findet sich innerhalb von sechs Monaten niemand, der eine Apotheke oder Zweigapotheke eröffnen möchte, dürfen Gemeinden ausnahmsweise eine Notapotheke betreiben. Geleitet wird diese von einem angestellten Apotheker. Die Gemeinden brauchen dafür die Genehmigung der zuständigen Behörde. Die Regelung ist bislang aber rein theoretischer Natur: In ganz Deutschland gibt es keine einzige Notapotheke.
APOTHEKE ADHOC Debatte