Zahlungsausfälle können Apotheken empfindlich treffen, das haben die Insolvenzen des Rechenzentrums AvP oder der Reimporteure Docpharm, Beragena oder zuletzt Canoma gezeigt. Doch auch wenn Kund:innen ihre Rechnungen nicht begleichen, kann es teuer werden. Hier kommt ein neues Risiko auf die Apotheken zu. Denn die AOK will nicht mehr einspringen, wenn ihre Versicherten bei der Befreiung geschummelt haben. Und es gibt weitere versteckte Inkasso-Risiken.
Verfahrensanpassung lautet der Euphemismus, den die AOK Plus im Zusammenhang mit einer gestrichenen Kulanzregelung bemüht. Seit Jahresbeginn erstattet die Kasse keine Zuzahlungen mehr, wenn diese von den Versicherten nicht gezahlt werden. Bislang konnten die Apotheken die Eigenbeteiligung nachberechnen, sofern diese nicht geleistet wurde. Die AOK leistete dann eine Rückvergütung – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.
Laut § 43c Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Leistungserbringer verpflichtet, alle Zahlungen, die Versicherte zu entrichten haben, einzuziehen und mit ihrem Vergütungsanspruch zu verrechnen. Auch der Ausfall ist gesetzlich geregelt: „Zahlt der Versicherte trotz einer gesonderten schriftlichen Aufforderung durch den Leistungserbringer nicht, hat die Krankenkasse die Zuzahlung einzuziehen.“
Genauso sollen es die Apotheken laut AOK Plus jetzt umsetzen. „Leistet der Kunde oder dessen Vertreter die Zuzahlung nicht bei Belieferung der Verordnung und auch nicht nachdem Sie ihn dazu schriftlich aufgefordert haben, rechnen Sie die Verordnung ohne Ausweisung der Zuzahlung bei uns ab.“ Damit der Apotheke keine finanziellen Nachteile entstehen, verweist die Kasse auch auf § 6 des Arzneimittelversorgungsvertrags. Danach sind die Rezepte höchstens zehn Tage lang zurückzuhalten – und können danach bei erfolglosem Mahnverfahren ohne Zuzahlung abgerechnet werden.
Daniela Hänel, 1. Vorsitzende des Vereins Freie Apothekerschaft (FA), sieht dennoch ein neues, nicht zu unterschätzendes Inkasso-Risiko für die Apotheken. Sie benennt gleich mehrere Fallkonstellationen, in denen die Neuregelung die Apotheken vor Herausforderungen stellt.
Bestimmte kühlkettenpflichtige Rx-Arzneimittel werden mit Einverständniserklärung des Versicherten direkt in die Arztpraxis geliefert, wo sie für die ambulante Operation eingesetzt werden. Das muss so erfolgen, da laut Fachinformation der Apotheker oder die Apothekerin für die korrekte Lagerung bis zu Applikation verantwortlich ist.
Die Zuzahlung wird erst im Nachhinein in Rechnung gestellt. Bislang konnten Apotheken die Rezepte über immerhin 1200 Euro ohne Zuzahlung abrechnen und die Eigenbeteiligung ohne weiteren Nachweis nachmelden.
Solche Fälle gibt es auch bei Patient:innen, die mehrmals in der Woche zur Dialyse müssen und bestimmte Arzneimittel dort erhalten.
In Pflegeheimen werden Medikamente oft in einem Schwung abgerechnet – muss hier künftig erst noch ein Mahnverfahren eingeleitet werden, könnte die Gültigkeitsdauer längst abgelaufen sein. Gerade Apotheken, die große Heime mit hunderten oder gar tausenden Betten beliefern, droht hier neuer unnötiger Ärger.
Dasselbe gilt für Patienten in Kurzzeitpflege oder im Krankenhaus. Auch hier kommen die Rezepte mitunter so spät in der Apotheke an, dass das vorgeschriebene Mahnverfahren den Gültigkeitszeitraum überschreitet. Zu spät abgerechnete Rezepte werden, sofern der Grund des verspäteten Einreichens nicht angegeben ist, nicht voll erstattet. Abgesehen davon gibt es laut Hänel keinerlei Aufwandsentschädigung für die Erstellung einer Rechnung und der darauf folgenden Mahnung zuzüglich entstehender Portokosten.
Hänel kennt aber noch viele andere Beispiele, in denen Apotheken das Inkasso-Risiko tragen, obwohl ihnen die Hände gebunden sind:
Bei Versicherten, bei denen ein staatlicher Betreuer eingesetzt ist, gilt die Vollmacht in der Regel auch für finanzielle Fragen – allerdings nur bis zum Tod. Verstirbt aber der Patient oder die Patientin und hat noch Außenstände bei der Apotheke, läuft diese ihrem Geld unter Umständen noch lange – oder am Ende sogar gänzlich umsonst – hinterher.
Vor einigen Jahren machten auch Fälle in den Medien die Runde, in denen die Zytoapotheken erhebliche Ausfälle bei verstorbenen Krebspatienten hinnehmen musste, bei denen die Hinterbliebenen sich weigerten, offene Rechnungen für angefertigte Sterilrezepturen zu begleichen.
Möglich ist auch seit einigen Jahren die Konstellation, in der mit Privatversicherten eine Direktabrechnung vereinbart wurde. Hier ist eine Abtretung der Forderung vereinbart, doch mitunter überweist die Versicherung das Geld dann doch an den Versicherten – aufgrund eines Versehens oder weil sie nicht die richtigen Informationen erhalten hat. Besonders problematisch wird es, wenn etwa der Betrag für einen Hochpreiser wie Humira auf ein Konto überwiesen wird, das im Rahmen einer Privatinsolvenz schon gepfändet ist. Mitunter scheitern Apotheken bei der Geltendmachung ihrer berechtigten Ansprüche schon daran, dass sie schlichtweg keinen Anspruch auf Auskunft haben.
Hänel fordert mit ihrem Verein schon länger, dass die Apotheken von Inkasso-Risiken befreit werden. „Wir brauchen eine einfache Lösung für Problemfälle.“ Der Verweis auf die Lieferverträge hilft ihrer Ansicht nach nicht weiter: „Das einzelne Mitglied macht keinen Vertrag.“
„Seit 1977 gibt es die gesetzliche Zuzahlung, die wir Apothekeninhaber und Apothekeninhaberinnen für die Krankenkassen kostenlos eintreiben“, kritisiert Hänel. „Bis heute wurde dieser Arbeitsaufwand in keiner Form entschädigt. Und nun zahlen wir ab Februar 2023 noch mehr Rabatt an die gesetzlichen Krankenkassen, obwohl wir schon so viel ohne Entlohnung leisten!“
Interessant wäre, was die Krankenkassen alleine durch das Inkasso der Zuzahlung in den 46 Jahren eingespart haben. Sie rechnet vor: 25.000 Packungen x 19.000 Apotheken x 25 Cent Inkassogebühr x 46 Jahre = circa 5,5 Milliarden Euro.
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