Der Notdienst gehört zu den mitunter lästigen Berufspflichten des Apothekers, auch wenn er seit einigen Jahren vergütet wird. Doch es gibt vereinzelt Kollegen, für die vor Jahrzehnten eine Sonderregelung geschaffen wurde – die teilweise bis heute gilt. In Bayern hat die Kammer aufgeräumt und sich mit den meisten Betroffenen geeinigt. Die Zugspitz-Apotheke in Grainau bei Garmisch-Partenkirchen ist seit Jahresbeginn gegen ihren Willen in den regulären Turnus einbezogen.
Grainau liegt am Fuß der Zugspitze; weil hinter dem Ort nur noch der Eibsee und dann die Berge kommen, ist das Bild der 3500-Einwohner-Gemeinde von Hotels und Privatunterkünften geprägt. Einkaufsmöglichkeiten sind eher im sieben Kilometer entfernten Garmisch-Partenkirchen zu finden. Eine Apotheke haben sie allerdings im „Zugspitzdorf“: die – wie könnte es anders sein – Zugspitz-Apotheke.
1988 gegründet, nimmt die Apotheke seit 1998 nicht mehr am Notdienst teil. Als die Kammer den Vorbesitzer der heutigen Inhaberin von der turnusgemäßen Bereitschaft befreite, ging es weniger um die Entlastung des Apothekers und seiner Mitarbeiter. Vielmehr waren sich alle Beteiligten einig, dass die Bevölkerung im zehnmal so großen Garmisch in Notfällen lieber durch zentral gelegene Apotheken versorgt werden sollte. Und davon gab es reichlich.
Nur für eine Stunde am Sonntag wurde die Apotheke in Grainau zur Dienstbereitschaft verpflichtet: Zwischen 11 und 12 Uhr musste ein Approbierter erreichbar sein. Über Jahrzehnte hinweg schien ein für alle Beteiligten guter Kompromiss zwischen Erreichbarkeit, Aufwand und Wettbewerbsgleichheit gefunden zu sein. Einheimische und Touristen nutzten die außergewöhnliche Öffnungszeit.
Doch im vergangenen Mai schloss die Oberland-Apotheke in Garmisch; die Kammer entschied, dass sich zunächst bis zum Jahresende die acht verbliebenen Apotheken den Notdienst teilen sollten. Doch in der Geschäftsstelle dürfte von Anfang an klar gewesen sein, dass man die Ausnahmeregelung abschaffen würde. Denn der Sonderfall ließ sich aus ihrer Sicht nicht mehr rechtfertigen.
Im September erhielt die Inhaberin den Bescheid, dass ihre Apotheke ab dem Jahreswechsel dem Notdienstkreis Garmisch-Partenkirchen zugeordnet und in die wechselnde Bereitschaft einbezogen werden würde. So könne der 9-Tage-Turnus für alle Apotheken beibehalten werden, argumentierte die Kammer. Die Anfahrt von 5,9 Kilometern sei Kunden zuzumuten, genauso wie der Apothekerin die Pflichtöffnungszeit von 29 Stunden in der Woche ohne beziehungsweise 46 bis 53 Stunden mit Notdienst. Außerdem gebe es ja jeweils rund 270 Euro aus dem Nacht- und Notdienstfonds.
Die Apothekerin zog vor Gericht, denn sie sah sich in ihrer Existenz bedroht. Derzeit jetzt habe sie 44,5 Stunden pro Woche geöffnet, je nach Lage der Notdienste drohten ihr bis zu 70 Stunden Bereitschaft, argumentierte sie. Sie beschäftige nur eine Apothekerin in Teilzeit, die die Übernahme von Notdiensten ablehne. Sie selbst könne aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustands keine weiteren Belastungen auf sich nehmen. 72.000 Euro für einen weiteren Apotheker in Vollzeit könne sie sich aber auch nicht leisten, zumal sie in einer ganz anderen wirtschaftlichen Lage als die Garmischer Apotheken sei.
Eine Befreiung am Samstagvormittag, wie sie von der Kammer ins Spiel gebracht wurde, komme nicht in Betracht, da sie hier einen großen Teil ihres Umsatzes erziele. Sollte sie keinen Bestandsschutz bekommen, müsse sie ihre Apotheke schließen. Und überhaupt: Die Apotheke sei gar nicht für Nachtnotdienste eingerichtet: Es fehlten Notdienstklappe, Notdienstklingel und eine benutzbare Übernachtungsmöglichkeit.
Das Verwaltungsgericht München entschied im Eilverfahren gegen die Apothekerin. Die Kammer habe die unterschiedlichen Interessen der Apothekerin, ihrer Wettbewerber und vor allem der Verbraucher abgewogen, rechtsfehlerfrei entschieden und den Bescheid auch ausreichend begründet. So sei nicht zu beanstanden, dass die Kammer sich entschieden habe, alle Apotheken der Region in den Notdienst einzubeziehen.
Die Ortskerne von Garmisch-Partenkirchen und Untergreinau lägen nur etwa sechs Kilometer auseinander – weit weniger als die als Grenze akzeptierten 15 Kilometer und die von der Apothekerin an ihrer Stelle vorgeschlagenen Apotheken in Mittenwald, Farchant und Grün, die mehr als 25 Kilometer entfernt lägen.
Auch die Ertragslage und Personalausstattung der Apotheke seien kein Argument: „Die grundsätzlich ständige Dienstbereitschaft gehört zu den berufstypischen Pflichten des Apothekenbetreibers und damit zu den allgemeinen Bedingungen des Wettbewerbs“, heißt es im Beschluss. „Die Gestaltung des Notdienstes soll die Wettbewerbsbedingungen zwischen den Apotheken vor diesem Hintergrund nicht verändern, sondern vielmehr darauf angelegt sein, die Belastungen und Nachteile, die der Notdienst mit sich bringt, möglichst gleichmäßig – und damit wettbewerbsneutral – auf alle Apotheken zu verteilen.“ Selbst dem Inhaber einer sogenannten Einmann-Apotheke werde zugemutet, den Bereitschaftsdienst gegebenenfalls allein wahrzunehmen.
Im Übrigen könnten aus Sicht der Richter die Dienste sehr wohl durch die Inhaberin und ihre 26 Stunden in der Woche arbeitende angestellte Approbierte abgedeckt werden – zumal 40 Notdienste im Jahr im Vergleich mit anderen in der Rechtsprechung gebilligten Modellen keine übermäßige Belastung seien. Bei Urlaub, Krankheit und sonstigen Personalengpässen gebe es verschiedene Möglichkeiten, unter anderem den Notdiensttausch oder die Befreiung im Einzelfall.
Das Argument der mangelnden räumlichen Ausstattung ließen die Richter nicht gelten, da Apotheken nach Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) zwingend über ein Nachtdienstzimmer verfügen müssen. „Dass der diensthabende Apotheker ständig erreichbar sein muss – und insoweit eine Einrichtung der Apotheke mit Notdienstklingel und Notdienstklappe zweckmäßig sein dürfte – ist der Pflicht zur Dienstbereitschaft immanent.“
Dasselbe gelte für das Warenlager: Es sei nicht ersichtlich, dass die neue Notdienstregelung eine erhebliche Ausweitung erforderte oder dass die Apothekerin unzumutbare Vorkehrungen treffen müsste, um sich auf die Verschreibungspraxis der Garmischer Ärzte einzustellen.
So schiebt die Apothekerin seit Anfang Januar Notdienst, alle neun Tage ist sie an der Reihe. Eine Klappe gibt es noch nicht, die Kunden müssen nachts durch das Fenster bedient werden. Mehr Zeit zur Vorbereitung musste die Kammer der Apothekerin laut Gericht allerdings nicht einräumen – und zwar laut Gericht gerade deshalb, weil diese die Absicht zur Aufgabe beziehungsweise zum Verkauf der Apotheke geäußert habe. „Dagegen sprechen schon die Rücksicht auf die anderen an der Notdienstregelung beteiligten Apotheken sowie auch der von der Antragstellerin genannte recht lange und ungewisse zeitliche Horizont.“
Grundsätzlich ist die Aufsichtsbehörde verpflichtet, den Notdienst zu regeln, wenn in einer Gemeinde oder in benachbarten Gemeinden mehrere Apotheken vorhanden sind. Innerhalb eines vorgegebenen Rahmens hat sie dabei einen weiten Ermessensspielraum: So müssten unter Wahrung der Wettbewerbsgleichheit zwischen den Apotheken die Arbeitsschutzinteressen des Apothekenpersonals und das Versorgungsinteresse der Bevölkerung gegeneinander abgewogen werden.
„Weder kann die Bevölkerung eine in jeder Hinsicht bequeme Arzneimittelversorgung verlangen noch das Apothekenpersonal einen uneingeschränkten Arbeitsschutz“, heißt es im Beschluss. Dabei sei die örtliche Situation zu berücksichtigen: Je mehr Apotheken es gebe, desto geringer seien die Wege für die Verbraucher und die Belastung für das Apothekenpersonal. Umgekehrt müsse die Bevölkerung Abstriche an einer bequemen Arzneimittelversorgung hinnehmen, wenn weniger Apotheken herangezogen werden können. „In keinem Falle aber darf die Notdienstregelung dazu führen, dass sich im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse die Bevölkerung außerhalb der allgemeinen Öffnungszeiten nicht mehr in zumutbarer Weise mit Arzneimitteln versorgen kann.“
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