Adler-, Charlotten- und Carl-Schurz-Apotheke: Jahrzehntelang ging es unter den Pharmazeuten in der Altstadt Spandau kollegial zu. Dann kamen Rolf und Cornelius Spielberger und starteten die Preisschlacht: Mit Rabatten am Rande der Legalität lockten sie Käufer. Auch unter dem neuen Eigentümer Martin Stahn reißen die Warteschlangen nicht ab. Jetzt hat die erste alteingesessene Apotheke aufgegeben – und ihren Kunden zum Abschied ausgerechnet den Wechsel zum aggressivsten Konkurrenten empfohlen.
Seit 1900 gab es in der Altstadt von Spandau die Privilegierte Adler-Apotheke, seit 1956 die Charlotten-Apotheke und seit 1971 die Carl-Schurz-Apotheke. Alle drei Betriebe gehörten zu den größeren Umsatzklassen und waren jahrzehntelang in der Hand alteingesessener Apothekerfamilien: Vogel, Diedrich und Knoll. 2001 kam die Arcaden-Apotheke im gleichnamigen Einkaufszentrum auf der anderen Seite des S-Bahnhofs hinzu.
Von vereinzelten Preisaktionen abgesehen, blieb es friedlich in Spandau. Das änderte sich, als Rolf Spielberger 2007 die Schurz-Apotheke übernahm. Ob der mittlerweile verstorbene Inhaber der Pelikan-Apotheke in Tempelhof nur vom Standort überzeugt war oder ob es weitere Gründe für den Ausflug in den westlichen Stadtteil gegeben hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Dem Vernehmen nach hatte es einige Jahre zuvor Streit mit Arcaden-Apotheker Dr. Herbert Kuberka gegeben, der sogar innerhalb der Elac für Aufregung sorgte.
Jedenfalls legte Spielberger einen Kaufpreis auf den Tisch, bei dem die damalige Pächterin trotz Vorkaufsrecht nur abwinken konnte. Nach der Übernahme wurde die Apotheke an den Sohn übertragen und in Spielberger-Apotheke umbenannt. Aus dem klassischen, konventionellen und eher konservativen geprägten Betrieb wurde eine Discountapotheke.
Selbst Rx-Boni wurden noch unter der Hand gewährt, als sie schon verboten waren, wie eine Mitarbeiterin vor Jahren berichtete. Weil das Berliner Kammergericht aber vor Kurzem in zweiter Instanz pro Spielberger entschied, geht die Sache nun vermutlich vor den Bundesgerichtshof (BGH).
Mit seinen Schnäppchen und Gutscheinen – von Frühaufsteher- bis hin zu Rentner-Rabatten – kaufte sich Spielberger in großem Stil Umsätze. Lange Warteschlangen vor seiner Apotheke waren keine Seltenheit – die umliegenden Apotheker mussten zusehen, wie sich der eine oder andere ihrer Stammkunden brav einreihte.
Jetzt strich der erste Mitbewerber die Segel. Anfang Mai war die Charlotten-Apotheke plötzlich dicht. Christian Lorenzen hatte den Betrieb erst 2008 von Dr. Hermann Diedrich übernommen. Unter dem alten Eigentümer galt die Apotheke als Institution, in der die Pharmazie noch „gelebt“ wurde. Bei Kunden, aber auch bei Pharmaziepraktikanten war die Apotheke daher als gute Adresse bekannt.
Was den Standort angeht, lag die Charlotten-Apotheke dagegen im Vergleich zur Konkurrenz eher abgeschlagen. So wundern sich die Kollegen im Umfeld nicht, dass Lorenzen schlussendlich aufgeben musste. Was überrascht hat, war die plötzliche Art des Abgangs: Selbst der Arzt im Haus hatte vorab keine Information bekommen. Auch die Kammer wurde völlig überrascht – und das obwohl Lorenzen als Mitglied der Notdienstkommission doch wissen sollte, wie wichtig eine frühzeitige Information über die geplante Schließung ist.
Mindestens genauso überraschend kam der Aushang im Schaufenster. „Die Charlotten Apotheke ist ab sofort geschlossen. Vielen Dank für Ihre jahrelange Treue“, hieß es kurz und knapp. Außerdem – und das ist das eigentlich Bemerkenswerte – wurde den Kunden empfohlen, „in Zukunft die Spielberger Apotheke zu besuchen“, nur 100 Meter weiter stadteinwärts gelegen.
Dort tauchte zur gleichen Zeit ebenfalls ein Aushang im Schaufenster auf: „50 Prozent auf Ihren Gutschein aus der Charlotten Apotheke“, hieß es da. „Lösen Sie bei uns Ihre Gutscheine der Charlotten Apotheke ein. Sie erhalten 50 Prozent des Wertes.“ Außerdem wurde darauf verwiesen, dass die Aktion bis Ende Mai gültig ist.
Laut Stahn gab es keine Absprache mit Lorenzen. „Der ein oder andere Kunde kam zu uns und hat sich beschwert, weil er seinen Gutschein nicht einlösen konnte. Wir haben es angeboten, damit die Kunden nicht traurig sind.“ Insgesamt sei der Aushang aber auch nur einen Tag im Fenster aufgehängt gewesen.
Die Zurückhaltung des Apothekers kommt nicht von ungefähr. Denn nach wie vor interessiert sich die Kammer dafür, welche Arten von Rabatten in Spandau gewährt werden. Zwar spendieren längst auch die anderen Apotheken ihren Kunden Taler oder Gutscheine. Doch die Spielberger-Apotheke steht unter besonderer Beobachtung. In mindestens einer Nachbarapotheke wurde kürzlich nachgefragt, ob unter dem neuen Besitzer weiter unzulässige Boni gewährt werden. Die Kunden seien von der aggressiven Preispolitik der vergangenen Jahre verwöhnt und erkundigten sich nach wie vor nach Nachlässen auf Hochpreiser, heißt es.
Stahn selbst weiß, wie heikel das Thema ist. Noch im Oktober erinnerte er sein Team daran, dass die Rechtsabteilung der Kammer in einem Schreiben Rx-Boni noch einmal für unzulässig erklärt hatte. Aus Kulanz könne man aber weiter Gutscheine herausgeben, etwa „Wartegutscheine“ oder „KK-Gutscheine“. Maximal sechs Gutscheine à 1 Euro sollten aber pro Kunde verteilt werden, heißt es im Protokoll zur Teamsitzung. Auch die Vorbestellung von Medikamenten wird belohnt.
So ist es kaum verwunderlich, dass Stahn die Gutscheine seines bisherigen Konkurrenten annimmt – wo er ja ohnehin Nachlässe in großem Stil gewährt. Er ist, da sind sich Beobachter einig, dazu verdammt, vorerst „Rabattkönig“ von Spandau zu bleiben. Denn auch wenn der Discountansatz eigentlich nicht zu ihm passt, wie man an seiner Hauptapotheke in Oranienburg sieht: In seiner Filiale muss er das Konzept seines Vorgängers weiterführen und Kampfpreise anbieten, wenn er nicht riskieren will, Kunden zu verlieren.
Seinen Vorgänger wird er kaum um Rat fragen können. Nachdem Stahn am Vorabend die Apotheke inspizierte, war Spielberger am Tag der Übergabe plötzlich weg. Gegen 10 Uhr wurde er am Morgen des 1. September 2017 zum letzten Mal in der Apotheke gesehen, die noch heute seinen Namen trägt.
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